Google Maps ausgetrickst : „Diese Realität gibt es nicht“
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Ein Stau ohne Autos: Mit einem Karren voller Smartphones manipulierte ein Berliner Künstler Google Maps. Bild: Weckert
Der Berliner Künstler Simon Weckert hat mit einem Handkarren und 99 Smartphones Google Maps ausgetrickst. Ein Interview über den erfundenen Stau, Navigationsdienste und die Macht von Apps.
Herr Weckert, Sie haben ein Video veröffentlicht, in dem zu sehen sein soll, wie man Google Maps manipulieren kann: Nutzern des Navigationsdienstes wurde auf einer Straße in Berlin ein Stau angezeigt, obwohl dort keine Autos unterwegs waren, sondern nur ein Mann mit einem Handkarren, in dem 99 Smartphones lagen. Wie kamen Sie auf die Idee?
Auf einer Demonstration am 1. Mai in Berlin ist mir aufgefallen, dass für komplett Kreuzberg ein Superstau angezeigt wurde – dabei war überhaupt kein Auto unterwegs. Das fand ich sehr interessant. Offenbar hatte Google Zugriff auf die Handydaten der Demonstranten, obwohl da mit Sicherheit kaum jemand Google Maps aktiviert hatte. Ich habe mir dann während der Hongkonger Proteste mal die Karte der Stadt angesehen. Da war es genauso.
Und das wollten Sie simulieren?
Genau. Die Frage war: wie? Man hätte natürlich einen Flashmob mit 100 Leuten organisieren können. Aber das wäre zu einfach gewesen. Mir ist außerdem aufgefallen, dass ich die Leute gar nicht brauche – sondern nur die Smartphones. Im Internet habe ich Anbieter gefunden, die Smartphones verleihen, das wird zum Beispiel bei Messen genutzt. Also habe ich mir für einen Tag 99 Smartphones ausgeliehen, in einen Handkarren geladen und bin damit durch die Stadt gefahren. Die Aktion ist schon eine Weile her, ich habe das Video jetzt veröffentlicht, weil Google Maps in dieser Woche 15 Jahre alt wird.
Hatten die Smartphones alle eine Sim-Karte?
Genau, und Google Maps war auf jedem Smartphone eingeschaltet und hat zu einer Adresse navigiert. Ich hatte das Gefühl, dass es so besser funktioniert. Wegen meiner Erfahrungen auf der Demonstration glaube ich aber, dass es auch ohne aktivierte App funktionieren würde. Das müsste man noch mal ausprobieren. Auf den Straßen in Berlin haben wir verschiedene Rhythmen getestet, mal sind wir gerannt, dann haben wir Stop-and-go simuliert. Bewegung ist immer notwendig, sonst reagiert die App nicht.
Wie schnell reagiert das System?
In Echtzeit. Bei Google Maps sieht man schon, wenn Autos an einer roten Ampel stehen. Ist viel Verkehr, färbt sich die Straße auf der Karte orange. Und Rot heißt: Stau. Dann wird anderen Autofahrern eine andere Strecke empfohlen. Um eine Straße rot zu bekommen, mussten wir mit dem Karren öfter hin und her laufen. Wir haben eine Stunde an einem Ort verbracht, bis das geklappt hat. In dem Video sieht man, wie die Straße langsam orange und irgendwann rot wird.
Was ist passiert, wenn ein Auto an Ihnen vorbeigefahren ist?
Dann wurde kein Stau mehr angezeigt, das hat das System also erkannt.
Was haben Sie noch über Google Maps gelernt?
Ich finde die physischen Auswirkungen, die so ein digitales Produkt hat, interessant. Wenn auf einer Autobahn Stau ist, werden alle Autos durch die Stadt geschickt, obwohl die städtische Infrastruktur darauf vielleicht gar nicht ausgelegt ist. Es gibt wissenschaftliche Papiere, in denen steht, dass es besser wäre, die Autos in so einem Fall in den Stau zu führen. Außerdem hat es Google Maps in den vergangenen 15 Jahren geschafft, dass jeder nur noch an diese App denkt, wenn es um Landkarten geht. Dabei gibt es Alternativen. Wieso basieren so viele andere Apps auf Google Maps, Uber zum Beispiel? Autofirmen nutzen das System sogar, um selbstfahrende Autos zu entwickeln. Ist es wirklich richtig, dass wir alle dieses eine zentrale System nutzen, oder wäre es sinnvoller, die Daten untereinander zu teilen und eigene Dienste zu entwickeln? Die könnten einen zum Beispiel zu freien Parkplätzen führen.
Aber Google Maps funktioniert ja gerade so gut, weil es so viele Menschen nutzen. Und ich möchte ja nicht aufgrund irgendwelcher wissenschaftlicher Papiere in einen Stau geleitet werden.
Klar, es gibt Vorteile – aber auch Nachteile. Ich bin Künstler, mich interessiert, wie Technologien unsere Gesellschaft formen. Ein berühmtes Zitat lautet: „We shape our tools, and then our tools shape us.“ Und so ist es – wir passen uns immer mehr der Technologie an, anstatt andersherum. Das zeigt meine Aktion: Wir glauben, dass diese Karten uns die Realität anzeigen, und passen unser Verhalten an diese Realität an. Dabei gibt es diese Realität nicht. Das lässt sich auf viele andere Apps übertragen: von Airbnb bis zu Tinder.