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Die zweite Befreiung

Selbst im Zentrum wirkt Harare nicht wie eine Metropole.

Seit Präsident Robert Mugabe weg ist, sind die Menschen in Zimbabwe voller Hoffnung. Die Stimmung ist aufgeräumt, die Natur sensationell – und die Touristenströme sind noch nicht da. Nichts wie hin also!

10.09.2018

Text: CAROLINE WIEDEMANN
Fotos: NICHOLE SOBECKI

Christina Magenga wollte uns warnen. Zimbabwe sei das schönste Land der Welt – aber bevor man drin sei, müsse man eben einreisen. Und das sei schrecklich. Ein chaotischer Flughafen, autoritäre Beamte; man dürfe sich nicht einschüchtern lassen.

Das sagte sie uns in der Luft zwischen Johannesburg und Harare. Einen Direktflug von Europa gibt es nicht. Noch nicht. Im Flugzeug saßen ein paar Touristen aus Südafrika, Geschäftsleute – und Menschen aus Zimbabwe, die im Nachbarland leben. Christina Magenga war vor zehn Jahren fortgegangen, um in Kapstadt zu studieren, 2008, als Präsident Robert Mugabe die Wahlen so offensichtlich wie nie zuvor manipuliert hatte. Jetzt war sie auf dem Weg zurück in das schöne Land mit der hässlichen Geschichte. Jetzt, da Mugabe weg sei, sagte Magenga, könne sich schließlich alles ändern.

Eine Geschichte aus „Frankfurter Allgemeine Quarterly“, dem neuen Magazin der F.A.Z.

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Der alte, kleine Flughafen ist dann viel ordentlicher als angekündigt. Und der Mann hinter dem Schalter, der 30 Dollar für das Visum will, fragt zwar, ob man wirklich bloß Urlaub machen wolle, wartet die Antwort aber gar nicht ab, grinst und stempelt den Pass.

Die sanfte Skyline der Hauptstadt

Die Abendsonne taucht alles in ein Licht, das man in Europa nicht kennt. Harare glänzt orange und ist so weitläufig gebaut, dass man sich schwertut, es für eine Stadt zu halten, für die Hauptstadt von Zimbabwe. Die Kontrollposten sind weg. Noch vor einem Jahr hielten Polizisten die Autos an jeder Kreuzung an; man musste dafür bezahlen, dass man die Straße benutzte – man musste zahlen, damit die Polizisten etwas verdienten. Unter Mugabes Regime konnten nur die Reichen entspannt die Stadt durchqueren. Und reich war nur, wer zu seiner Clique gehörte. Der einstige Befreier, der das Land 1980 in die Unabhängigkeit geführt hatte, war nach 37 Jahren an der Macht zum Schreckensherrscher geworden. Er quälte die Menschen, beutete sie aus. Im vergangenen November reichte es ihnen. Am Anfang war es das Militär, das sich gegen den Regierungschef stellte, die Leute draußen folgten, und gemeinsam schafften sie es, Mugabe aus dem Amt zu jagen. Seitdem sitzt der alte Herr in seinem Privathaus mit 25 Schlafzimmern – weit weg vom Regierungsviertel.

Die Menschen feiern immer noch, dass der alte Präsident Mugabe weg ist.

Die Menschen auf der Straße strahlen. „Man kann ihre Erleichterung gar nicht hoch genug bewerten“, sagt Riana Landman, die zusammen mit ihrem Mann eines der schönsten Boutique-Hotels der Stadt betreibt, die „Jacana Gardens“. Das Paar aus Holland war zwanzig Jahre lang für Ärzte ohne Grenzen unterwegs und ist in Harare hängengeblieben. Weil es hier schöner sei als überall sonst; weil die Menschen, die Zimbabwer, mit denen sie gearbeitet haben, integer seien, nett; und: „Nirgends ist das Wetter so gut wie hier.“ Das ganze Jahr warm, selten zu heiß und trotzdem immer sonnig. Ihr Hotel umfasst einen tropischen Garten voller hoher Bäume und Palmen, die fünf Zimmer sind alle ebenerdig und öffnen sich direkt auf die knallgrüne Wiese. Das Grundstück liegt dort, wo das Villenviertel Borrowdale langsam in das Township Hatcliffe mündet. Die sozialen Gegensätze sind groß, doch die Armut sticht nicht ins Auge. Die Landschaft, in die sich die windigen Hütten betten, ist üppig und fruchtbar, das Klima so angenehm, dass alles wachsen kann, Karotten und Papaya.

Gegensätze: Das Villenviertel Borrowdale …
… mündet in das Township Hatcliffe

In Hatcliffe steigt Elizabeth Marowa aus dem Wagen und versinkt mit den Absätzen ihrer Sandalen in der matschigen Erde. Sie trägt ein rosa-weiß-geblümtes Kleid, das bis zu den Knien reicht, die Perücke mit den aalglatten schwarzen Haaren ist ein bisschen in die Stirn gerutscht. „Hello, my friends“, ruft sie, und dass sie über siebzig ist, würde man nie erraten. An der Seite von Mugabe hat sie einst für die Unabhängigkeit gekämpft, heute will sie zur Politik nichts sagen. Hauptsache, sie bekommt genügend Geld für ihre Projekte, für die Schule etwa, die sie mit Unterstützung der NGO Zim Relief in Hatcliffe betreibt. Bei Tee und Keksen in ihrem kahlen Büro in einem Lehmbau erzählt sie von früher, von der Revolution. Es ist der letzte Schultag vor den Ferien, die Kinder tanzen auf dem Hof. Über Marowas Schreibtisch hängt das Bild von Emmerson Mnangagwa, einst Mugabes Stellvertreter, der die Regierung bis zur Neuwahl im Juli übernommen hat. Egal, was dann passiert, ob Mnangagwa gewinnt oder doch der junge Oppositionsführer Nelson Chamisa, meint sogar Elizabeth lachend: Es kann nur besser werden. Die Medien, vor kurzem noch Mugabe zu Diensten, prophezeien eine herrliche Zukunft: Ausländische Investoren werden kommen, öffentliche Infrastrukturen wieder aufgebaut. Und, vor allem die Nationalparks werden die Touristen locken, und die Touristen werden Geld ins Land bringen.

Deshalb muss man jetzt ganz schnell nach Zimbabwe. Weil die Menschen voller Hoffnung sind und die Parks noch leer.

Jenseits der gewaltigen Victoria Falls, die doppelt so hoch sind wie die Niagarafälle, ist noch keine Spur von den Safaritouristen, die Botswana, Namibia und Südafrika abklappern und jeder Antilope das Smartphone entgegenstrecken. Seit 2009 die Bilder der leeren Supermarktregale von Harare im Netz kursierten, ist es leichter, in Zimbabwe einen scheuen Leoparden zu entdecken als einen Europäer.

Das Boutique-Hotel „Jacana Gardens“ wird von ehemaligen „Ärzten ohne Grenzen“ betrieben.

Nirgends sonst auf der Welt kann man in diesen Tagen so gut die Wildnis erkunden wie hier. Den Tieren ist egal, wo die Grenzen der Parks liegen; Elefanten, Kudus, Gnus und Impalas kreuzen die Straßen. Menschen sieht man nur selten, Weiße fast gar nicht. Vielleicht wird sich auch das bald ändern, Mnangagwa jedenfalls will die weißen Farmer zurückholen, die Mugabe, anders als seine südafrikanischen Kollegen, in den letzten 17 Jahren seiner Amtszeit enteignet und vertrieben hat.

Die Gischt der Victoria Falls kitzelt wie Federn auf der Haut und malt Regenbögen in die Luft.
Zwischen den Felsen im Matobo-Park liegt der britische Imperialist Cecil Rhodes begraben.

Wer als Weißer trotzdem geblieben ist, liebt entweder seine Heimat sehr – oder tut sich schwer damit, sich den Verbrechen der Vorfahren zu stellen. Oder beides, wie Thomas Miller, der im zentral gelegenen Matobo-Gebiet als Guide arbeitet und dort am liebsten über Cecil Rhodes referiert, den Briten, der Rhodesien seinen Namen gab, jenem Land also, dessen südlicher Teil heute Zimbabwe heißt (das ehemalige Nordrhodesien ist Sambia); Rhodes ist hier, im Matobo-Park, beerdigt. Zuerst führt Miller die Urlauber aber zu den Nashörnern. Es geht zu Fuß durch den Busch. Stundenlang verfolgt er die Spuren im Sand. Dann geht es weiter. Rhodes’ Grabstätte liegt in einem riesigen Areal voll rostroter Felsen, die sich in Millionen Jahren zu Türmen, Kugeln, Figuren formten. Miller schnauft, als er sich die steile Kuppe zum Grab hinaufschleppt. Oben angekommen, erklärt er: Männer wie Rhodes, die weißen Männer, die nach Zimbabwe kamen, hätten dem Land nur helfen wollen. Die Besucher schauen trotzdem skeptisch, und so ruft Miller: Rhodes war ein bescheidener Mann! Schaut wie klein seine Grabtafel ist! Und zeigt auf die riesige Platte, unter der Rhodes’ Körper auf dem höchsten Punkt im Park begraben liegt. „World’s View“ nannte der Brite die Aussicht damals – von hier aus, glaubte er, sehe man bis zum Ende der Welt. Seinen bescheidenen Plan, den afrikanischen Kontinent von Kapstadt bis Kairo für die britische Krone zu erobern, konnte er nicht mehr vollenden. Jetzt fotografieren sich Jugendliche aus der nahen Stadt Bulawayo, die über das Wochenende herausgefahren sind, mit der Grabtafel, strahlen, machen das Victory-Zeichen dazu. Sollen die Weißen sich um die Tiere kümmern!

Was die Besitzer des „Farmhouse“ auch tun, einer Unterkunft, die eine Art eigener Park umgibt, in dem man schlafen, essen und Fahrrad fahren kann. Auf einer Lichtung stehen zwanzig Zebras, ein paar Warzenschweine, drei Gnus und vier Giraffen und schauen neugierig, aber entspannt zu den Besuchern. Die Besitzer des „Farmhouse“ haben ein Wasserloch für die Tiere gegraben und Futterschalen aufgestellt, damit sie nicht auf die andere Seite des Geländes laufen, wo Wilderer unterwegs sind auf der Jagd nach Horn und Haut.

Die Besitzer des „Farmhouse“ füttern die wilden Tiere, damit sie nicht dort Futter suchen, wo die Wilderer unterwegs sind.

Wegen der Wilderer tragen die Ranger in den Parks Maschinengewehre. Zimbabwe ist Wildnis und Wilder Westen: Mugabe hatte verfügt, dass man Menschen, die auf Tiere schießen, einfach abknallen dürfe. Vor allem im Gebiet des Hwange-Parks, des zweiten riesigen Nationalparks, konnten sich die Elefanten deshalb so vermehren, dass sie jetzt alles platttrampeln, was die Antilopen essen wollen. Die Antilopen haben es ohnehin schwer, denn auch die Zahl der Löwen nimmt zu. Am meisten hassen die Ranger nämlich Löwenjäger. Einer hat ihnen Cecil genommen, der wegen seiner schwarzen Mähne und des hohen Alters bei den Menschen besonders beliebt war und der seinem Namen alle Ehre machte – bis ein amerikanischer Zahnarzt ihn am ersten Juli 2015 aus dem Reservat lockte und mit seiner Armbrust erschoss. Die Nachricht von Cecils Ende und die Kunde der Rache der Ranger verbreiteten sich im Internet.

Mahlzeit! Die Giraffe hat Hunger.
Ihnen ist egal, wo die Grenzen des Parks verlaufen: Zebras sind überall unterwegs.

Für Politik scheinen die Ranger im Hwange-Park sich nicht zu interessieren; bei der Frage nach den Wahlen Ende Juli zucken sie mit den Schultern. In dieser Gegend leben mehr Angehörige des Volks der Ndebele als überall sonst im Land, wo die Nachkommen der Schona verbreitet sind. Bevor die Kolonisatoren aus Europa kamen, waren die Ndebele in Zimbabwe an der Macht; später rebellierten sie gegen Mugabe, der sich selbst zu den Schona zählt. Unter seiner Regierung wurden die Aufrührer zwischen 1982 und 1987 mehrmals gewaltsam niedergeschlagen, dabei mindestens 10.000 Menschen getötet. Maßgeblich beteiligt war Emmerson Mnangagwa, der jetzige Präsident.

Darauf verweist auch Marowa unter dem Porträt des neuen Machthabers in Harare. Aber nein, sie macht eine flotte Handbewegung in die Luft, diese Konflikte sind Vergangenheit. Auf dem Schulhof läuft noch Musik. Teenager mit Sonnenbrillen, Baseballkappen und Jeans, die unten ganz eng zusammenlaufen, rappen und schwingen die Hüften, bis die kleinen Kinder kichern.

Lebensmittel bekommt man zu jeder Tageszeit

Hinter dem Township führt die Domboshawa Road aus der Stadt hinaus, dorthin, wo die Bewohner und Besucher von Harare den Sonnenuntergang bewundern. Sie steigen eine leichte Anhöhe hinauf, über Steinkuppen, die aussehen, als wäre man schon hier weit weg von Häusern und Straßen, von allem, was Menschen je geformt haben, und von dort oben aus hat man einen Blick ringsum und ohne Ende. Die Menschen haben Bier dabei, das um die Ecke gebraut wird, und wenn es leer ist und die Sonne unten, fahren sie weiter zum „Paramount Signature“. Das ist ein Biergarten von der Größe eines Fußballplatzes. Aus den Boxen tönt Tehn Diamond, der berühmteste Rapper der Stadt, auf dem Grill liegen Rindersteaks. Der Fisch, den der Kellner serviert, ist aus dem Karibasee im Norden des Landes. Alle Gerichte kommen in die Mitte des Tisches, der Fisch, eine Schale mit Sadza, ein dicker Maisbrei, und eine weitere voll Gemüse, Brokkoli, Bohnen, Paprika, Zucchini. Immer, wenn ein Bier ausgetrunken ist, steht schon die nächste Flasche bereit. Und die Menschen stoßen darauf an, dass Mugabe weg ist.

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Quelle: Frankfurter Allgemeine Quarterly

Veröffentlicht: 10.09.2018 11:10 Uhr