Umweltaktivismus in Russland : Wer kämpft in Moskau fürs Klima?
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Aktivist Arschak Makitschjan lässt sich nicht einschüchtern. Bild: Alice Milchin
Die Temperaturen steigen in Russland schneller als anderswo. Aber Klimaaktivisten werden verfolgt und verspottet, Kritik an der Rohstoffwirtschaft ist tabu. Doch der Druck auf den Kreml wächst.
Wer westlicher Klimawandelkämpfe müde ist, kann in Russland auftanken: kann den großen Geländewagen mit Tempo 80 durch Moskaus Innenstadt steuern. Im Winter, wenn die Heizung dank Fernwärme auf Hochtouren läuft, die Fenster auflassen, solange frische Luft in die Wohnung soll. Kann Berge von Plastik und Papier, die sich nach Supermarkt- wie Onlineeinkäufen auftürmen, in den Restmüllcontainer werfen und den Restmüll in die Wertstoffcontainer, wie es viele Moskauer tun. Vielleicht weil sie erst seit Kurzem Müll trennen können. Dafür, dass einen Umweltaktivisten nicht übermäßig behelligen, sorgt der Staat.
Es gibt sie aber, der bekannteste von ihnen, gleichsam Russlands Greta Thunberg, ist Arschak Makitschjan, ein 27 Jahre alter Russe mit armenischen Wurzeln. Der „Skolstrejk för klimatet“ der Schwedin hat ihn einst inspiriert. Dutzende Male stellte sich der Geiger, der das Moskauer Konservatorium abgeschlossen hat, im Moskauer Zentrum zu Mahnwachen auf. In der Hand hielt er Zettel, auf die er „Streik für das Klima“ oder „Globale Erwärmung, das sind Hunger, Kriege und Tod“ geschrieben hatte. In Russland war er damit ein Pionier, fand bald junge Mitstreiter. Im Dezember 2019 saß Makitschjan zu Thunbergs Linker beim UNKlimagipfel in Madrid. Zu Thunbergs Rechter saß die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer.
Doch anders als die beiden jungen Frauen aus westlichen Demokratien kämpft Makitschjan nicht nur gegen Gewohnheiten, Wirtschaftsinteressen und die Zeit, um die Erderwärmung zu begrenzen. Russlands Staatsmacht begegnet jeder unabhängigen Regung der Gesellschaft mit Argwohn. Kaum war Makitschjan aus Madrid zurück, verhängte ein Gericht eine Arreststrafe von sechs Tagen gegen ihn, wegen eines angeblichen Versammlungsrechtsverstoßes.
Eine Geschichte aus der aktuellen Ausgabe des Magazins der F.A.Z. „Frankfurter Allgemeine Quarterly“
Jetzt abonnierenNeubauer ist in Deutschland, Thunberg weltweit ein Star. Makitschjan wird manchmal auf der Straße erkannt. Niemand lädt ihn zu Talkshows ein. „Die Medien schweigen über die globale Erwärmung, und wir leiden darunter!“ stand auf einem seiner Schilder. Öl und Gas sorgen für mehr als ein Drittel der Staatseinnahmen, Kritik an der Rohstoffwirtschaft ist tabu. Die Staatspropaganda machte sich über Greta Thunberg lustig, heimische Aktivisten werden ignoriert. Als Makitschjan Ende 2020 doch einmal in Moskau eingeladen wurde, zu einer EU-Russland-Klimakonferenz, fühlte er sich wie auf einer Dauerwerbeshow für den Staatsnuklearkonzern: Redner um Redner habe Rosatom gelobt, erzählt Makitschjan in einem Moskauer Café. Da spricht der junge Mann so laut und überzeugt von seiner Sache, dass ein Gast irritiert das Weite sucht.
Dabei sind Russlands Umweltprobleme Legion. Vielerorts laufen schmutzige Zellstoff- oder Metallwerke. Im südsibirischen Kohlegebiet Kusbass klaffen Krater neben Wohnhäusern, Brände schwelen auf Schutthalden. Die Erderwärmung ist für Russland sogar besonders dramatisch: Die Temperaturen steigen hier zweieinhalbmal schneller als im Weltmittel. Das Ausmaß der Waldbrände in Sibirien hat Rekorde gebrochen. Den dritten Sommer in Folge verpestete Rauch die Luft in mehreren Großstädten. Der Permafrost, der mehr als die Hälfte der russischen Landfläche bedeckt, taut, schwindet. Straßen, Schienen, Gebäude sacken ab. Im Frühsommer 2020 brach ein Tank des Unternehmens Norilsk Nickel im instabil gewordenen Arktisboden ein, 21.000 Tonnen Diesel liefen aus.