Zum Tod von Thierry Mugler : Und er entwarf sich selbst
- -Aktualisiert am
Thierry Mugler nach seiner Modenschau im Oktober 1999 in Paris. Bild: Helmut Fricke
Manfred Thierry Mugler revolutionierte die Mode in den Achtzigern mit seinen extremen Entwürfen. Am Sonntag ist der Designer im Alter von 73 Jahren gestorben.
Modeausstellungen wirken meist verstaubt – denn Mode wirkt nur am lebenden Subjekt, nicht an der Puppe. In der Kunsthalle München allerdings wurde man 2020 gleich im ersten Raum in die Welt des Modeschöpfers Thierry Mugler gezogen, in diese eigenartige Mischung aus Futurismus und Fetischismus, diese Zwischenwelt, in der die Frauen und sogar die Puppen im Chrom-Bustier so martialisch wirken wie nirgends sonst und doch auch so weiblich wie selten. Das neumodische Spiel mit den Geschlechterrollen – es wurde nicht erst in unseren Tagen geboren, sondern schon vor einem halben Jahrhundert. Seit der Ausstellung „Couturissime“ weiß man sogar in München, dass man Weiblichkeit auch anders sehen kann.
Thierry Mugler, der am Sonntag im Alter von 73 Jahren gestorben ist, war schon biographisch gezwungen, Grenzen zu überschreiten. Am 21. Dezember 1948 wurde er in eine Familie geboren, die in den Nachkriegswirren aus Linz in Oberösterreich nach Straßburg gezogen war. Die Spießigkeit in der Familie und die Beschränktheit der Fünfzigerjahre wollte der Junge überwinden. „Ich habe nicht in diese Welt gepasst. Und ich habe nicht in diese Familie gepasst. Gar nicht. Ich habe sehr gelitten“, sagte er 2020 der F.A.Z. „Aber ich war auch ein sehr beschäftigtes Kind: Ich habe Tag und Nacht gearbeitet, im Theater, an Kostümen, an Puppen, an Gedichten – ich habe immer irgendetwas kreiert, um dieser Enge zu entkommen.“ Schon im Alter von 14 Jahren begann er eine Ausbildung als Balletttänzer an der Opéra national du Rhin und lernte dann Kostümdesign an der École supérieure des arts décoratifs in Straßburg. So begann seine theatralische Sendung.
Es war Zeit für etwas Neues
Wie so viele junge Schwule aus der Provinz zog er Ende der Sechziger nach Paris – auch das eine Art biographischer Zwang, wie ihn der Soziologe Didier Eribon später beschrieben hat. Aber anders als Yves Saint Laurent und seine Gefolgsleute gab er sich im Zuge der Studentenrebellion nicht den Hippie-Looks hin, den fließenden Looks der frühen Siebziger, die irgendwann in Retrokitsch mündeten. Vielmehr radikalisierte er die aus den zukunftsgläubigen Sechzigerjahren stammenden Konzepte des Space-Age-Pioniers André Courrèges und des Kettenhemden-Klempners Paco Rabanne, die den Futurismus in eine andere Umlaufbahn geschossen hatten.
Was für ein treffender Zufall, dass er in Paris mit Claude Montana zusammenlebte, der seit seinen Jahren in London ebenfalls genug hatte von der Pariser Mode, die trotz der Revolution des Prêt-à-porter zu verknöchern drohte – Yves Saint Laurent war immerhin zwölf Jahre älter als sie. Coco Chanel, Cristóbal Balenciaga und Elsa Schiaparelli starben in schneller Folge zu Beginn der Siebziger. Es war Zeit für etwas Neues.
Donnerstags um 14.00 Uhr
ANMELDENMugler und Montana experimentierten mit skulpturalen und zugleich körperbetonten Silhouetten, die für die Achtzigerjahre wie geschaffen waren. Sie stellten den Körper aus und schützten ihn trotzdem. Sie persiflierten den Look der „Powerfrauen“ mit den breiten Schultern und bedienten ihn ironisch doch. Statt aber die Frauen auf ihrem langen Weg durch die Emanzipation in Nadelstreifen-Hosenanzüge zu stecken und ins Büroleben einzufügen, enthob Mugler sie trotz aller martialischen Anflüge ins überirdisch Ungefähre und gab ihnen dadurch ein ganz neues Gefühl von Freiheit. Im Body-Suit kamen sie wieder zurück, nicht auf den Boden der Tatsachen, aber immerhin auf den Boden der Tanzflächen.