Tod von Virgil Abloh : Er entwarf sogar sein Leben
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Abloh, Gründer und Chef der Modemarke Off-White sowie für die Herrenkollektion von Louis Vuitton zuständig, 2017 bei einer Pressekonferenz in Florenz. Bild: Helmut Fricke
Virgil Abloh, einer der wichtigsten Modemacher seiner Generation, ist im Alter von 41 Jahren an Krebs gestorben. Fasziniert hat ihn das Dazwischen von mehreren Welten. Sein Label macht Mode, die man nicht zuordnen kann.
Virgil Abloh hat oft genau das gemacht, was niemand erwartete. Als junger Mann in einem Vorort von Chicago, der am liebsten Skateboard fuhr und Platten auflegte, studierte er Bauingenieurwesen. Als Hip-Hop-Fan liebte er auch Guns N‘ Roses. Und als Erwachsener, der eigentlich Architekt werden wollte, wurde er zu einem der wichtigsten Modemacher seiner Generation. „Eine ziemliche Mischung“, sagte er der F.A.Z. einmal und musste selbst darüber lachen. „Menschen sind entweder so oder so. Ich bin beides.“
Nun ist der Mann, der mehrere Leben lebte, am Sonntag im Alter von nur 41 Jahren gestorben. Das teilten seine Angehörigen am Abend auf Instagram mit. Demnach litt Abloh, der seine Frau Shannon und zwei Kinder hinterlässt, seit mehr als zwei Jahren an einem kardialen Angiosarkom, einer aggressiven Krebsart. Seit 2019 hatte er mehrere kräftezehrende Behandlungen über sich ergehen lassen und auf ärztliche Anweisung hin im Herbst 2019 auch eine Arbeitspause eingelegt. Aber öffentlich gemacht hat er die Krankheit nicht. Im Gegenteil: Mit großer Energie verfolgte er weiter all seine Projekte in Design, Mode und Kunst.
„Wir sind alle schockiert von dieser schrecklichen Nachricht“, teilte der Luxuskonzern LVMH am Sonntag mit. „Virgil war nicht nur ein genialer Designer und Visionär, er war auch ein Mann mit einer schönen Seele und großer Weisheit“, sagte Bernard Arnault, der Vorstandsvorsitzende von LVMH. „Wir alle denken an seine Angehörigen, die ihren Ehemann, ihren Vater, ihren Bruder oder ihren Freund verloren haben.“
Als Virgil Abloh 2018 als Herrenmodedesigner zur Marke Louis Vuitton kam, begann ein neues Kapitel der jüngeren Modegeschichte. Nun konnte er alles zusammenführen, was er bis dahin an Erfahrungen gesammelt hatte. Den Eklektizismus, den er als junger Mann schon pflegte, als er die Coolness von Polo Ralph Lauren mit billigen Nachahmer-Looks aus dem Eckladen konterkarierte, brachte er nun in den größten Luxuskonzern der Welt ein. Seine erste Modenschau in Paris im Juni 2018 markierte den Augenblick, in dem Streetwear in die Luxusmode einzog. Und es war der Moment, in dem zum ersten Mal ein schwarzer Modemacher für ein Pariser Modehaus über den Laufsteg ging.
Am 30. September 1980 wurde Virgil Abloh in Rockford (Illinois) als Sohn ghanaischer Einwanderer geboren. Seine Mutter war Näherin, sein Vater leitete ein Farbenunternehmen und bestand auf einer soliden Ausbildung. „Mein Dad hat meinen Bauingenieurs-Studiengang ausgesucht“, sagte Abloh im Jahr 2017 der F.A.Z. Sein Vater habe eben gemeint: „Mein Sohn soll etwas Richtiges lernen.“
Nach dem Bachelor an der University of Wisconsin-Madison im Jahr 2002 studierte er Architektur am Illinois Institute of Technology. Dabei habe er gelernt, das Praktische mit dem Ästhetischen zu versöhnen. Als er in Chicago studierte, wo die moderne Architektur gewissermaßen erfunden worden war, vollendete dort Rem Koolhaas das McCormick Tribune Campus Center, sein erstes Gebäude auf amerikanischem Boden. Das habe ihn fasziniert, sagte Abloh. Umso mehr, als er erfuhr, dass Koolhaas auch mit Miuccia Prada zusammenarbeitet, dass man Architektur und Mode also durchaus zusammendenken kann.
Als er diese beiden Welten verknüpft hatte, kam er seiner Mission näher. 2009 machte er ein Praktikum bei Fendi, lernte dort Kanye West kennen und arbeitete gleich mit ihm zusammen. Der Rapper ernannte Abloh zum Kreativdirektor seiner Kreativagentur Donda und bat ihn, das Album „Watch the Throne“ von Kanye und Jay-Z künstlerisch zu gestalten, das 2011 erschien. Schließlich gründete er 2013 sein eigenes Label: Off-White. Der Name ergibt sich nicht nur daraus, dass Off-White „zwischen Schwarz und Weiß ist“, wie er sagte. Sondern weil er zwischen den Welten nicht festzulegen war: „Jeder wird klassifiziert. Aber ich bin heute das, morgen das. Etwas zu erschaffen, bedeutet Freiheit.“ Er sei Mode und Nicht-Mode, Kunst und Nicht-Kunst, alte und neue Welt. Mit wem er am liebsten zusammenarbeiten würde, fragten wir ihn 2017: Chanel? Louis Vuitton? Hermès? „Mit allen.“
Im März 2018 ging er zu Louis Vuitton, wo Markenchef Michel Burke schon früh auf ihn aufmerksam geworden war. Sein Leben im Paradox machte Virgil Abloh äußerst anziehend für große Luxushäuser, die sich oft genug nach einer Befreiung aus ihrem hergebrachten Stil sehnen. Insofern war die Arbeit für Louis Vuitton ein glücklicher Zufall für beide Seiten. Das heißt aber nicht, dass ihn das in seiner ausufernden Kreativität und seinem Drang nach Freiheit zwischen allen Welten aufgehalten hätte.
So arbeitete er mit dem Design-Team von Braun in Kronberg zusammen und ließ die berühmte Wandanlage von Dieter Rams verchromen. Im Ergebnis war das seltsam schräg, aber immerhin zeigte es, dass er die Klassiker auch des deutschen Designs zu würdigen wusste. Und am kommenden Mittwoch wollte Abloh gemeinsam mit Mercedes-Benz Chief Design Officer Gorden Wagner seine Zusammenarbeit anlässlich des hundertjährigen Jubiläums von Maybach auf der Art Basel Miami vorstellen – ein elektrisches Showcar, wie es die Welt noch nicht gesehen hat, so ungefähr wurde es angekündigt.
Womöglich wollte er mit seiner rastlosen Kreativität zuletzt dem Tod einen Strich durch die Rechnung machen. Immerhin schafft er das durch sein Werk: Viele seiner Entwürfe, die weder Schwarz noch Weiß sind, sondern Off-White, leben weiter.