Sinnbild
Von JESS COLE, Fotos von MARIUS UHLIG16.11.2017 · Sehen, hören, riechen, schmecken – und fühlen. Mit Schmuck und Uhren dieses Herbstes tastet sich unser Model an den fünften Sinn heran. Und erzählt, wie sie zu warten lernte.
W enn ich in den vergangenen Monaten irgendetwas als Model gelernt habe, dann vor allem, dass man Geduld haben muss. Das mag vielleicht wie ein Widerspruch in sich klingen. Ausgerechnet die sich so rasant verändernde Mode, in der von heute auf morgen irgendetwas zu einem neuen Stil erhoben werden kann und ebenso schnell wieder gewöhnlich ist, soll eine Übung in Geduld sein? Aber ja doch! Seit ich im August vor einem Jahr in Portland im Westen der Vereinigten Staaten von einem Modelscout angesprochen wurde und kurz darauf bei der Agentur IMG unterschrieb, habe ich das wirklich gelernt: Um in dem Auf und Ab der Mode länger dabei zu sein als nur eine Saison, muss man lernen zu warten und die Dinge wertzuschätzen.
Als ich meinen Modelvertrag unterschrieben hatte, verschwendete ich viel Zeit darauf, in die Zukunft zu schauen: Wohin würde mich mein neuer Job wohl führen? So vergingen die Monate. Hier und da wurde ich für Produktionen gebucht. Die Zahl der Castings, zu denen ich ging, ohne hinterher den Job zu bekommen, war groß.
Es dauerte ein paar Monate, bis es richtig losging, bis man mich für Burberry auswählte. Das war im vergangenen Dezember. Der Fotograf, der die Kampagne für die Kollektion des folgenden Frühjahrs schießen würde, hieß Josh Olins. In London ist er eine Größe. Der Ort: Hertfordshire, ein Park mit Skulpturen des Bildhauers Henry Moore, eines der wichtigsten britischen Künstler überhaupt. Seine halbabstrakten Figuren, die an die Kurven von Frauenkörpern erinnern, inspirierten den Kreativ-Chef von Burberry, Christopher Bailey, bei seiner Arbeit an der Kollektion.
Wir waren gut 100 Leute an diesen vier kalten Tagen im Dezember und produzierten mehrere Varianten für die Kampagne. Auf so etwas hatte ich gewartet, ohne genau zu wissen, wie es überhaupt sein würde. Am dritten Tag, als die Sonnenstrahlen gerade auf die Bronze-Skulpturen von Moore fielen, verstand ich die Sache mit der Wertschätzung plötzlich. Henry Moore hatte sich auf seinen Spaziergängen übers Land die Ideen für fließende Formen geholt. Er brauchte dann Monate, bis er daraus seine imposanten Figuren entwarf. Jetzt standen wir hier. Das Team hatte sich zuvor genau mit den Details von Moores Arbeit befasst, um sie in der Produktion unterzubringen. Ich staunte darüber, wie intensiv sie sich damit auseinandersetzten.
Und dann holte mich der Alltag ein: Plötzlich war ich wieder Praktikantin beim Magazin „Vice“ und in den letzten Zügen meines Studiums der Literaturwissenschaften. Die Zeit nahm wie von alleine ihren Lauf.
Drei Monate später spazierte ich mit meinem Vater durch Soho im Stadtzentrum von London, und wir liefen geradewegs auf ein Plakat im Fenster des Burberry-Shops an der Regent Street zu. Darauf war ich zu sehen, verschmitzt lächelnd. Plötzlich schien die Zeit wieder stillzustehen, und ich erinnerte mich an die Kraft, die es gekostet hatte, diese einzigartigen Momente in Bildern einzufangen.
Ich bin seitdem wirklich geduldiger geworden. Vor ein paar Wochen war ich in Paris und sollte zum ersten Mal bei einer Modenschau laufen, für Céline. Da man mich exklusiv gebucht hatte, ich also für niemanden sonst arbeiten durfte, verbrachte ich schon die Tage zuvor mit dem Team als sogenanntes fit model. Das heißt, sie probierten an mir die Kollektionsteile aus.
So wie zuvor bei der Burberry-Produktion entwickelte ich auch jetzt eine Wertschätzung für die Intensität der Arbeit, die hinter den Kulissen vor sich geht, und die damit verbundenen schlaflosen Nächte. Es herrschte so viel Energie, so viel Ehrgeiz, eine Vision zu erschaffen, die für mich bis zum Tag der Schau kaum zu erschließen war. Am 1. Oktober war es so weit, ich eröffnete die Schau. Was für eine Ehre!
Schon ein paar Tage später war ich auf dem Weg nach Frankfurt für die Arbeit an den Bildern für dieses Magazin. Sie sehen das Ergebnis auf dieser Seite. Wir nahmen die Fotos in einem Haus auf, das der Architekt Richard Neutra einst entworfen hatte. Er war ein Meister der Moderne. Als ich mit der Hand über die Wände strich, konnte ich den Zeitaufwand, etwas so Schönes zu erschaffen, geradezu spüren.
Mode und Design bauen einen großen Mythos darum auf, dass sie für ihre ästhetischen Qualitäten wahrgenommen werden. Für Visionen, die so schnell aufpoppen wie sie wieder verschwinden. Ich bin nur ein Model und stehe mit meiner Arbeit für diese oberflächlichen Werte.
Es braucht aber Geduld, um zu erkennen, was sich hinter alledem verbirgt. Und man braucht ein bisschen Zeit dafür, das Handwerk schätzen zu lernen, das sich über flüchtige Augenblicke so souverän hinwegsetzt. Viele Leute staunen nicht mehr. Ich habe das Staunen als Model gelernt. Ausgerechnet als Model!
Fotos: Marius Uhlig Styling: Almut Vogel Haare und Make-Up: Ute Hildenbeutel Styling-Assistenz: Nina Köhler Foto-Assistenz: Philipp Trocha Produktion: Regina Kaczmarek Model: Jess Cole (IMG London)
Fotografiert am 11. Oktober 2017 im Haus Rang in Königstein im Taunus.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Magazin
Veröffentlicht: 07.11.2017 14:04 Uhr
