Pariser Modewoche : Chanel im Supermarkt
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Bild: Helmut Fricke
Karl Lagerfeld inszeniert seine Herbstkollektion zwischen gigantischen Regalreihen. Den Kommentar zum Shopping-Wahn muss er gar nicht mitliefern – das machen die Schauengäste schon selbst.
Er selbst war schon lange nicht mehr im Supermarkt, erzählt Karl Lagerfeld gut gelaunt nach seiner Schau. Für den Eigenbedarf geht er nur in die Buchhandlung seines Vertrauens, in den Trendshop Colette und in die Männerabteilung bei Givenchy. „Ich arbeite“, meint er süffisant, „ich gehe nicht einkaufen.“
Da geht es vielen Moderedakteurinnen ganz anders. Denn kaum ist die Prêt-à-porter-Schau von Chanel mit der Mode für Herbst und Winter vorbei, stürzen sie sich auf die Regale des gigantischen Supermarktes, den der Chanel-Chefdesigner im Grand Palais hat aufbauen lassen. Anna Dello Russo, Über-Stylistin und Street-Style-Star, fällt fast von ihren hohen Hacken, als sie in der Baumarktabteilung des Mega-Stores zu den Fußmatten mit der Aufschrift „Mademoiselle privé“ rennt.
Ja, Mademoiselle Gabrielle („Coco“) Chanel hätte ihre Freude gehabt an der so simplen wie genialen Idee ihres Nachfolgers Karl Lagerfeld. Er überrascht am Dienstagmorgen die rund 2000 Besucher des Defilees mit sage und schreibe 100.000 sorgfältig eingeordneten Produkten – und liefert gleichzeitig einen Kommentar zum hemmungslosen Konsum in Zeiten des immer weiter wachsenden Luxusmarktes. Und zwar ohne selbst etwas dazuzutun: Die Moderedakteurinnen offenbaren ihre niederen Triebe im hemmungslosen Wettlauf um Fußmatten und Staubfeudel schon selbst.
Der Supermarkt ist also auch ein „Über-Markt“ in dem Sinne, dass er die Shopping-Sehnsüchte und Shopping-Süchte von heute offenlegt. Aber man darf von Lagerfeld auch kein anti-kapitalistisches Manifest erwarten. Er macht sich vielmehr einen Spaß daraus, die aus den schönsten Tweed-Stoffen hergestellten Kostüme mit den überweiten Schultern, die üppig bestickten Kleider und Röcke über den glitzernden Hosen und die knallbunten „Turnschuh-Stiefel“ durch eine Regalwelt laufen zu lassen, die das Verlangen nach immer mehr herausschreit. Dabei ist Lagerfeld selbst eher auf „immer besser“ versessen: „Kein Stoff, den Sie heute gesehen haben, können Sie einfach so kaufen. Alles wurde selbst von Chanel gemacht.“
Die Konsumgüter in den Regalen sind zumindest laut Etikett aber ebenfalls vom Feinsten: „Coco Cookies“ bei den Süßwaren, „Lait Coco“ bei den Milchprodukten, der „Brie Gabrielle“ an der Käsetheke mit dem strengen Geruch und „Signorina Farfalle“ bei den Nudeln erinnern an Coco Chanel. Das „Eau de Chanel“ mit wirklichem Wasser und der echte Schinken „Jambon Cambon“ erinnern an die Firma in der Rue Cambon, um die Ecke von der Rue St. Honoré, die wiederum im Goldton der Wandfarbe verewigt ist: „Doré St. Honoré“.
Die Models – unter ihnen die deutschen Neu-Stars Anna Ewers und Larissa Hofmann – laufen zunächst zielstrebig durch diese Warenwelt. Dann bleiben sie doch stehen, prüfen fachmännisch die Kettensägen und das Motoröl, packen alles in Einkaufskörbe, die wiederum von der Goldkette der Chanel-Taschen eingefasst sind. Nach oben schauen sie nicht: Da könnten sie lesen, dass ab sofort alles 30 Prozent mehr kostet. Abgehalten hätte sie die Information wahrscheinlich aber auch nicht.
Denn der Reichtum, der sich in einer solchen Schau zeigt, erstreckt sich von der Anzahl und der Qualität der Models über die Zahl der Millionärinnen im Publikum bis zur aufwendigen Machart der Mode. Lagerfelds Genie zeigt sich darin, dass das Event für die Gäste aus aller Welt aus den weit mehr als 100 Schauen in dieser Prêt-à-porter-Woche herausragt – was nicht ganz unwichtig ist angesichts der vielen Asiaten, die außer an Glanz auch an Größe gewöhnt sind, zum Beispiel, was ihre Shopping-Tempel angeht. Und nebenbei erringt Kaiser Karl mal wieder die Vorherrschaft im weltweiten Bilderwettstreit der Luxusmarken.
„Alle Früchte und alle Bonbons bitte mitnehmen“, ruft Lagerfeld am Ende mit einem Humor, dem man so manchem Supermarkt-Leiter wünschen würde. „Die sind umsonst!“ Da sind die meisten Redakteurinnen mit ihrer Beute längst verschwunden.