New Yorker Modewoche : Kurz vor Panik
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Goldig: Präsentation der Kollektion von Jason Wu Bild: AP
Die New Yorker Mode steckt in der Krise. Billigmarken, mangelndes Interesse und Angst vor Trumps Politik sind nur ein paar der Gründe. Da hilft auch keine Fashion Week.
Es muss ja keine große Schau sein. Zehn Models kommen in den Saal, stellen sich vor die Videowand, bleiben ein paar Minuten und gehen wieder. Das war’s. „Die Mode reflektiert ihre Zeit“, sagt Designer Thakoon Panichgul. Das heißt in diesem Fall wohl: Wenn man eine kleine Präsentation veranstaltet, dann spart man sich das Geld für eine große Schau. Und damit das alles nicht zu trostlos nach Herbst und Winter 2017 aussieht, blühen auf den Kleidern des New Yorker Modemachers Frühlingsblumen.
Aber die Lage bleibt traurig. Ausgerechnet zur Fashion Week, die am vergangenen Mittwoch begann und noch bis Donnerstag dauert, herrscht trübe Stimmung in der New Yorker Modebranche, in der mehr als 900 Unternehmen etwa 180000 Menschen beschäftigen.
Bei vielen Marken sinken die Umsätze
Nur eine Schau verbreitet eine andere Stimmung: Raf Simons’ Premiere für Calvin Klein am Freitag ist von durchschlagendem Erfolg bei Kritikern und Einkäufern. Die angeblich 20 Millionen Dollar, die der Designer pro Jahr bekommt, müssen für den Konzern Phillips-Van Heusen kein rausgeschmissenes Geld bedeuten. Das Beispiel Gucci, wo ein neuer Designer zuletzt zu einem Umsatzwachstum von 20 Prozent führte, beweist: Mit starkem Design ist noch immer viel zu holen.
Aber natürlich nicht überall. Ralph Lauren legt schlechte Quartalszahlen vor und entlässt den Geschäftsführer Stefan Larsson nach nicht einmal anderthalb Jahren. Michael Kors, der ewige Sunnyboy, steht nicht mehr auf der Sonnenseite – der Umsatz ist im letzten Quartal auf 1,35 Milliarden Dollar gesunken. Und erst Marc Jacobs! Der ehemalige Louis-Vuitton-Designer fand bei einem Gespräch des LVMH-Chefs mit Investoren eine denkwürdige Erwähnung: Bernard Arnault sagte, er habe zur Zeit mehr Probleme mit seiner Marke Marc Jacobs als mit dem neuen amerikanischen Präsidenten.
Krise trifft auch die Kaufhäuser
Weiter geht’s zu Tiffany & Co.: Wegen schlechter Zahlen wird nach der Kreativdirektorin nun auch der Vorstandsvorsitzende ausgewechselt. Zu einem geringen Teil liegt das an den Sicherheitsvorkehrungen und Demonstrationen vor dem Hauptgeschäft am Trump Tower, zum größeren am vergeblichen Versuch, die „Millennials“ für sich zu begeistern.
Auch die Kaufhäuser leiden. Allein Macy’s wird in diesem Jahr 63 Geschäfte schließen. Plötzlich stellen die Amerikaner fest, dass sie all ihre Einkaufszentren nicht mehr brauchen – weil sie pro Einwohner fünf Mal so viel Mall-Fläche haben wie die Briten und acht Mal so viel wie Italiener.
Ärger mit Ivanka sorgt für steigende Aktienkurse
Und als ob das nicht genug wäre, muss sich Nordstrom nun auch noch mit dem Präsidenten herumschlagen. Die Kaufhauskette aus Seattle hatte angekündigt, die Ivanka-Trump-Kollektion nicht mehr anzubieten, weil sie sich vor allem im zweiten Halbjahr 2016 schlecht verkaufte; auch Neiman Marcus nahm die Produkte aus dem Sortiment. Und schon kam eine Twitter-Mitteilung von „@realDonaldTrump“ himself: „Meine Tochter Ivanka wurde so unfair von Nordstrom behandelt. Sie ist eine tolle Person – bringt mich immer dazu, das Richtige zu tun. Schrecklich!“
Als Trumps Beraterin Kellyanne Conway daraufhin sagte, „Kauft Ivankas Sachen“, geriet sie wegen Verletzung der Ethikstandards in Bedrängnis. Immerhin ging der Nordstrom-Aktienkurs nach oben.
Angst vor hohen Produktionskosten
Gefahren lauern für die Modebranche überall. Die Billiganbieter wachsen weiter. So eröffnet Primark im März das erste Großgeschäft in New York, in der Staten Island Mall. Der wachsende Online-Handel – auch Amazon baut das Modesortiment weiter aus – bringt Boutiquen und Kaufhäuser in Schwierigkeiten. Nachwachsende scheren sich kaum noch um alte Marken. Und nun müssen sich Hersteller und Händler auch noch vor Trumps „border adjustment tax“ fürchten. Eine unterbrochene Lieferkette vom Billiglohnland Mexiko nach Norden könnte nicht durch Produzenten in den Vereinigten Staaten aufgefangen werden – denn die gibt es kaum noch.
Und die amerikanischen Verbraucher müssten bei höheren Preisen für Konsumartikel, die in Mexiko hergestellt werden, an anderer Stelle sparen – vermutlich am Luxus, fürchtet die Luxusbranche. Nicht zuletzt würde auch Mexiko Zollschranken errichten, und der wichtigste Auslandsmarkt für die amerikanische Textilindustrie mit einem Volumen von fast sechs Milliarden Dollar wäre nur noch schwer zugänglich. Ein Handelskrieg, so sagte ein Fachmann der Zeitschrift „WWD“, „würde die New Yorker Modebranche auslöschen, denn wo sollen wir unsere Produkte herstellen lassen, wenn nicht in China?“
Die Modemacher verlagern ihre Schauenorte
All die krisenhaften Symptome zusammengenommen, ist die Stimmung in der New Yorker Mode kurz vor Panik.
Kein Wunder, dass sich Tommy Hilfiger, Rebecca Minkoff und Rachel Zoe auf den Zug der Zeit setzten und ihre Kollektionen vor Beginn der New Yorker Woche in Los Angeles zeigten – um die frühe Aufmerksamkeit abzugreifen. Nicht einmal der Wettergott kannte Gnade: Weil am Donnerstag ein Blizzard die New Yorker Flughäfen heimsuchte, kamen viele Modeleute so spät aus dem Westen herbei, dass sie die ersten Defilees verpassten.
Das Ende der Demütigungen ist damit noch nicht erreicht. Die beiden einzigen Marken, die auf Pariser Niveau arbeiten, Rodarte und Proenza Schouler, werden in der nächsten Saison wirklich nach Paris gehen. Die Trendmarke Hood by Air ist schon dieses Mal dort, und Vera Wang zeigt einen Film an der Seine statt ein Defilee am Hudson. DKNY muss sich neu orientieren und hat ebenfalls keinen Auftritt.
Entwicklung der Branche sorgt für Durcheinander
Das Hin und Her zeigt die Orientierungslosigkeit. Alles geht in der Mode gerade durcheinander. Die Saisons lösen sich auf, weil einige Designer ihre Ware schneller in die Läden bringen wollen, um der Fast Fashion zu trotzen. Die Geschlechter gleichen sich an, so dass Gucci, Bottega Veneta und am Freitag in New York auch Calvin Klein Männer und Frauen zusammen über den Laufsteg schicken. Die Modewochen geraten in die Krise, weil sie durch neue Veranstalter bedrängt werden oder sich selbst Konkurrenz machen, wie London und New York mit überflüssigen Männermodewochen.
Sponsoren drohen abzuspringen. Fern Mallis, die vor fast einem Vierteljahrhundert die New Yorker Modewoche gründete, winkt nur noch ab angesichts der Misere und setzt sich in die erste Reihe bei den Designern, die auch durch ihr Organisationstalent groß wurden. Ihr Nachfolger Steven Kolb, jetzt Geschäftsführer des Council of Fashion Designers of America, nimmt das Scheitern gleichmütiger zur Kenntnis.
Neue Wege für die Shows nutzen
Nicht einmal auf die Unterstützung der First Lady kann – oder will – man noch hoffen. Melania Trump trug zwar zur Inauguration Kleider amerikanischer Designer. Aber vor einer Woche schwenkte sie auf ein Cape von Givenchy und ein Kleid von Christian Dior um, bevor sie dann doch noch mit The Row und Derek Lam zwei amerikanische Marken nutzte. Die meisten Marken werben nicht damit, dass nun auch die First Lady zugegriffen hat. Wehren können sie sich freilich auch schlecht gegen Melania Trump: Das Givenchy-Cape könnte die First Lady auf der Neiman-Marcus-Website für 2000 Dollar bestellt haben. Auch Derek Lam wusste nichts von seinem Glück – das er zu vermeiden gehofft hatte.
Bei so viel Krise braucht es neue Ideen. Marcus Wainwright von Rag & Bone macht es vor. Auch er spart sich eine Show. Stattdessen hängt er Fotos auf, die Freunde in seinen Entwürfen zeigen. Und am Abend der Eröffnung dieser kleinen Kollektionsvorschau sind sie alle da: der Maler Walton Ford, das Model Joan Smalls, die Annie-Lennox-Tochter Tani, seine eigenen drei Kindern sowie die vielen anderen, in genau den Entwürfen, die sie auf den Bildern tragen. Und sie alle werden nochmal, nochmal und nochmal fotografiert. Es ist ein Fest der sozialen Medien und der virtuellen Vermarktung. Womöglich hilft’s.