Seidenblumen : Blütenpracht, handgemacht
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Kunstwerk aus Sachsen: Camillas Kopfschmuck bei ihrer Trauung Bild: F.A.Z. - Matthias Luedecke
Seidenblumen, sagt die Mode, kann man sich an den Hut oder ins Knopfloch stecken. In Sachsen, jenseits der „Schnickschnackgrenze“, blühen in Heide Steyers Werkstatt immer noch die schönsten. Das weiß selbst Camilla.
Der Main sei die "Schnickschnackgrenze", behauptet Heide Steyer, "für Hüte zumindest". Und der Kopfputz von Camilla Parker Bowles, der Herzogin von Cornwall? Das sei kein Hut, sondern ein Kunstwerk, sagt sie stolz. Bei der Hochzeit mit Prinz Charles seien mindestens zwei, wenn nicht sogar drei solcher Exemplare zu sehen gewesen.
Inzwischen wird Camillas Modell in Serie gefertigt. Vielleicht nicht bei Philip Treacy, dem Hutmacher der englischen Königin. Aber das aparte Straußenfedern-Bukett dazu, mit dem das Prunkstück von sich reden machte, wurde in Heide Steyers sächsischer Manufaktur produziert. Und dort war, der seit Mitte April merklich gestiegenen Nachfrage wegen, eine ihrer Mitarbeiterinnen tagelang damit beschäftigt, solche Federn zu vergleichbar bizarren Ensembles zusammenzubinden.
Zeichen der Lebensart
Mag also sein, daß Camillas Hut beziehungsweise eine Kopie davon nicht nur durch britische Parks und Gärten, sondern auch auf deutschen Straßen und Plätzen flaniert; nördlich wie südlich jener Grenze, die hierzulande das barock schwelgerische vom gotisch distinguierten Lebensgefühl trennt: die südlich vitalen Bajuwarinnen von den nordisch ranken Hanseatinnen zum Beispiel. Die Hüte trügen die einen wie die anderen als Zeichen ihrer Lebensart zur Schau, sagt Gerald Steyer. Und lächelt dazu wie ein Liebhaber, der sich bei beiden gleichermaßen wohlfühlt.
Im vierten Jahrzehnt stellen Gerald und Heide Steyer Kunstblumen her: anfangs in Bremen, seit 1970 in Berlin, seit Januar 1998 in Wallroda östlich von Dresden, unweit von Radeberg und Sebnitz. Gerald Steyer, Jahrgang 1943, hat dort gelebt, bevor seine Eltern der DDR den Rücken kehrten. Klar, daß er nach der Wende dorthin zurückwollte: ins Zentrum der sächsischen Seidenblumenindustrie, wo es, anders als im Westen, noch qualifizierte Fachkräfte genug gab.
Konkurrenz aus Fernost
Der "VEBKunstblume", mit 3000 Mitarbeitern weiland der größte Seiden- und Papierblumenproduzent Europas, wurde abgewickelt, nachdem das Unternehmen seine Kundschaft an die Konkurrenz aus Fernost verloren hatte. Die Mehrzahl der Produktionsstätten mußte schließen, die meisten Arbeitnehmer wurden entlassen - ausnahmslos Kunstblumenfacharbeiterinnen mit zwei bis drei Lehrjahren. Versierte Fachkräfte also, die sich aufs Höhlen und Pielenziehen verstehen, mit Boule- wie mit Stanzeisen umgehen können und wissen, wieviel Hitze das Blütenblatt einer Seidenrose verträgt, bevor es zu schmoren anfängt.
Also entschlossen die Steyers sich 1990 zu einem Standortwechsel. Und hätten auf der Stelle die viel zu enge Produktionsstätte in Berlin-Wilmersdorf gegen geeignete Räume in Sebnitz getauscht, wenn das möglich gewesen wäre. Mit Sack und Pack zog man 1997 schließlich auf einen geräumigen Vierseithof im Dörfchen Wallroda und nahm dort mit acht Angestellten Anfang 1998 die Produktion auf. Inzwischen beschäftigt das Unternehmen, auf einer Fläche von derzeit 800 Quadratmetern, 22 Mitarbeiter - die Eigentümer nicht gerechnet.
Spiritus- statt Veilchenduft
Die Herstellung von Seidenblumen, ebenso zeitaufwendig wie personalintensiv, ist in Deutschland, anders als beispielsweise in Italien, ein vom Aussterben bedrohtes Kunsthandwerk, seit Massenware aus Hongkong und Taiwan, Thailand und Südkorea den Markt überschwemmt. Die Steyers halten erfolgreich dagegen: mit solidem Handwerk und ästhetischer Raffinesse auch in den vertracktesten Details. Und ihre Kunden - Hutmacher wie Philip Treacy, Steven Jones oder Philip Somerville, Modelabels wie Escada und Gucci, Joop und Boss - wissen es zu schätzen.