60 Jahre Jeans : Als die Amihosen laufen lernten
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Die Jeans ist aus unseren Kleiderschränken nicht mehr wegzudenken Bild: dpa
Vor 60 Jahren holte Albert Sefranek die Jeans nach Deutschland - das erfolgreichste Kleidungsstück der Nachkriegszeit. Er hat sie gefunden und neu erfunden. So gut, dass man Mustang noch heute oft für eine amerikanische Marke hält.
Albert Sefranek, Mustang-Hemd, Mustang-Jacke, Mustang-Jeans, Mustang-Gürtel, geht heute nicht mit der Fürstin spazieren. Nach zwei Stunden Hochgeschwindigkeitsinterview wächst der Hunger. Er fährt nicht nach Hause zum Essen, die Fürstin muss ihren Hund alleine ausführen, Sefranek geht ins Gasthaus, er hat noch zu erzählen. Von seinen Jeans, dem Leben und der besten Markklößchensuppe im Ort.

Verantwortlicher Redakteur für das Ressort „Deutschland und die Welt“ und das Frankfurter Allgemeine Magazin.
Er springt, 88 Jahre alt, aber jung wie eine Jeans, die Treppen des Mustang-Museums hinab, hinein in die Welt. Links die Firma. Geradeaus Künzelsau, im Niemandsland zwischen Heilbronn und Würzburg, 15.000 Einwohner, Heimat der Techniker für Montage (Würth), Werkzeug (Berner), Präzision (P+V), Förderung (Stahl) und Elektro (Ziehl-Abegg). Und Geburtsort der europäischen Jeans. Albert Sefranek hat sie vor genau 60 Jahren gefunden und neu erfunden. Rechts der Weg zum Gasthaus Frankenbach, heimische und schwäbische Spezialitäten.
„Ferdl, der Albert ist vom Krieg zurück! “
Vielleicht brauchte es für die größte Revolution der Nachkriegsmode den Querkopf eines Oberfranken, der in der Nähe des Levi-Strauss-Geburtsorts Buttenheim geboren wurde und hierher nach Hohenlohe kam. Eigentlich wollte er Vermessungsingenieur werden wie sein Vater in Nürnberg. Aber für den Junior, kaum den Lederhosen entwachsen, war etwas anderes vorgesehen. Drüben in Künzelsau gebe es ein Mädchen für ihn bei der Familie Hermann, sagte der Vater. 1938 machte Albert erst einmal Abitur. Dann Reichsarbeitsdienst, Wehrmacht, Polen, Russland, Frankreich, bis zum Ende. In einem Urlaub von Russland verlobte er sich 1944 mit Erika, der Tochter des Holzhändlers Hermann.
Und der Bekleidungsfabrik Hermann. Denn die Weltwirtschaftskrise hatte dem Holzhandel zugesetzt. Also fertigte Holzhändlergattin Luise Hermann, tatkräftig und unternehmungsfreudig, seit dem 2. Juli 1932 in der oberen Diele des Wohnhauses Berufsbekleidung. Das Geschäft ging immer besser. 1938 wurde ein Nähsaal angebaut. Dutzende Mitarbeiter fertigten Drillichanzüge für Wehrmacht und Reichsarbeitsdienst. Nach dem Krieg fielen da natürlich wichtige Auftraggeber weg.
Und da trat auch schon Albert Sefranek ins Bild. Dem Ruhrkessel entronnen, kam er am 5. Mai nach Künzelsau, ohne Ausweispapiere. Von dort radelte er unerkannt nach Nürnberg. Die Mutter, glücklich, wenigstens einen ihrer beiden Söhne zu sehen, fuhr zum Internierungslager Hersbruck, wo ihr Mann Gefangener war, und rief über den Zaun: „Ferdl, der Albert ist vom Krieg zurück!“ Prompt wurde sie verhaftet. So kam es, dass, als Albert ein paar Wochen später heiratete, sein Vater im Lager war, sein Bruder noch vermisst und die Mutter im Gefängnis.
Mit den Amerikanern zum Standesamt
Warum er so schnell heiraten musste? Bei den Hermanns waren amerikanische Unteroffiziere einquartiert. Die Familie musste in ein kleines Haus ziehen, und er hätte unter einem Dach mit seiner Verlobten gewohnt. Der frommen Schwiegermutter verbat sich das: „Ihr müsst heiraten!“ Na gut. Der Bräutigam nahm sich Zwanzig-Liter-Benzinkanister vom Treibstoffdepot der Amerikaner am Bahnhof, um mit dem Opel P4 das Hochzeitsessen zusammenzukaufen. Am Hochzeitsmorgen, dem 22. Juli 1945, klopften die Amerikaner dennoch an: Razzia.
Albert Sefranek, noch immer ohne Papiere, wäre wohl in Gefangenschaft gelandet. Als er ihnen sagte, er heirate an dem Tag, gratulierten sie, tranken einen Schnaps und eskortierten ihn zum Standesamt: Jawort im Kriegsgerichtssaal, der mit amerikanischen Flaggen geschmückt war. Sefranek hatte sich die Smokinghose vom Apotheker, die Smokingjacke vom Lederfabrikanten, die Schuhe von der Schuhfabrik und den Chapeau claque vom Metzger geliehen. „Ich war perfekt gekleidet!“ Die Braut nicht ganz: Die Schleppe des Kleids hatten Amerikaner als Halstuch zweckentfremdet.
Jeans waren nicht sein Beruf, sondern sein Leben
Vom ersten Tag an half er im Betrieb, besorgte Ersatzteile und nach den Konfiszierungen Nähmaschinen und Stoffe. Eigentlich wollte er noch studieren. Aber die Schwiegermutter meinte: „Wir brauchen hier keinen Studierten, sondern einen, der schafft.“ Für eine Ausbildung in der Textilbranche blieb auch keine Zeit. Vielleicht blieb er deshalb so unkonventionell, vielleicht fährt er deshalb noch heute im Mercedes vor und steigt in Jeans aus. Jeans waren nicht sein Beruf, sondern sein Leben. Das ist natürlich auch Marketing: Wenn er fotografiert wird, ist der Mustang, der übers Hemd galoppiert, immer im Bild. Oft fotografiert Sefranek zurück: Er führt seit Jahrzehnten ein Tagebuch mit Bildern, erzählt er auf dem Weg zum Gasthof. Vielleicht schafft er sich so seine fashion moments, die ihm in der Innovationsregion Hohenlohe fehlen: „Die Trends entscheiden sich nicht in Künzelsau!“ Sefranek grüßt freundlich nach recht und links und marschiert zum Gasthof Frankenbach.