Neue Hektik in der Modebranche : Das Elend des schnellen Konsums
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Alles Geheimnisvolle geht verloren
Aber das nur nebenbei. Denn grundsätzlich zu bewerten ist vor allem die internethafte Hektik des See-now-buy-now-Konzepts. Die Idee, wie am Fließband die Ware direkt vom Laufsteg ins Publikum zu befördern, bestätigt nämlich die schlimmsten Befürchtungen der längst vergessen geglaubten Kapitalismuskritik. „Die Mechanisierung hat solche Macht über den Freizeitler und sein Glück, sie bestimmt so gründlich die Fabrikation der Amüsierwaren, dass er nichts anderes mehr erfahren kann als die Nachbilder des Arbeitsvorgangs selbst.“
Die turbokapitalistisch überproduktive Gesellschaft, die sich selbst dauernd zu überholen droht, so könnte man Theodor Adornos und Max Horkheimers Diagnose aus der „Dialektik der Aufklärung“ fortführen, will genau das auch von ihren „Amüsierwaren“: dass sie zum so schnellen wie effizienten Gebrauch bereitstehen.
Man will ja niemandem verbieten, seine Produkte an den Kunden zu bringen, schon gar nicht unter Berufung auf eine Kapitalismuskritik mit Bart (und Glatze). Aber dass Massenprodukte, die der uralten Kritik als „aufdringlich, vulgär und geheimnislos“ galten (so Ästhetik-Professor Heinz Drügh), in der schnellen Erledigung nur ihre unterkomplexe Shoppingtriebbefriedigung offenbaren, müsste auch Verkaufsstrategen zu denken geben: Denn noch das schönste Objekt verliert ohne Spannungsbogen am tieferen Reiz des Geheimnisvollen.
Bailey hat als Vorstandsvorsitzender abzudanken
Es geht auch noch grundsätzlicher. Norbert Elias beschrieb in seiner Studie „Über den Prozess der Zivilisation“ von 1939 die zunehmende Fähigkeit des Menschen, sich selbst unter Kontrolle zu haben. Wenn Triebverzicht und Affektregulierung zivilisatorische Werte sein sollen, dann ist die Gier nach sofortiger Befriedigung (Shoppen ist schließlich psychoanalytisch gesehen nur eine Ersatzhandlung) ein Rückfall in das Mittelalter. Was bedeutet denn die zunächst höfische und dann bürgerliche Verfeinerung? Dass man sich die Wildschweine in den Mund schiebt wie Obelix? Und dass man nach der Schau, die natürlich live im Internet übertragen wird (Bailey hat's erfunden, wer sonst), in den Laden rennt und die Kleider grapscht wie Lieschen Müller beim Sommerschlussverkauf?
Karl Lagerfeld hat die Apostel des flinken Konsums schnell entzaubert: „Die haben nichts anderes anzubieten als das Geschwätz über dieses Thema.“ Er wusste gar nicht, wie recht er damit hatte, denn die wahre Revolution kam erst Wochen danach ans Licht. Im Juli teilte man mit, dass Marco Gobbetti, CEO der Pariser Marke Celine, Christopher Bailey 2017 als Vorstandsvorsitzenden bei Burberry ersetzen wird. Bailey bleibt Chefdesigner und wird gleichzeitig auf den neu geschaffenen Posten des Präsidenten hoch- und weggelobt. Gobbetti, ein im Luxusbusiness erfahrener Siebenundfünfzigjähriger, soll dem flauen Geschäft wieder aufhelfen.
Bailey braucht einen erfahrenen Geschäftsmann
Die zeitliche Abfolge bringt es also an den Tag. Bailey, nervös geworden durch schlechte Zahlen und von Aktionären unter Druck gesetzt, präsentiert im Februar ein so revolutionäres wie disruptives Konzept, um dem Geschäft und seinem eigenen Schicksal eine andere Richtung zu geben. Solche öffentlichkeitswirksamen Marketingideen muss man erst mal haben! Allein: Es war zu spät.
Christopher Bailey braucht einfach einen erfahrenen Geschäftsmann an seiner Seite. Das ist natürlich niemand, der Öffentlichkeitsarbeit und Social-Media-Kompetenz so gut beherrscht. Sondern jemand, der das Business kennt und den falschen Wettbewerb mit der fast fashion womöglich gar nicht erst aufnimmt. Nach Gobbettis Ernennung stieg der Börsenkurs. Mit Bailey, dem Präsidenten, wird der Manager schon auskommen. Die Marke bringen sie wohl auch wieder auf Kurs. Aber der gute alte Kapitalismus, das hat der Schnellschuss der Instantbefriedigung gezeigt - er muss sich heute wirklich vor seinen besten Freunden fürchten.