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© Andreas Müller

Lachen ist lächerlich

Interview von TIMO FRASCH

28.12.2016 · Wolfgang Joop weiß, warum Models besser Bitches sind als liebe Mädchen. Im Interview verrät er zudem, wieso er fast Mitleid mit Günther Jauch und Sehnsucht nach einer Lederhose hat.

Herr Joop, Sie haben an zwei Staffeln von „Germany’s Next Topmodel“ als Juror teilgenommen. Warum?

First I did it for the money. Second I discovered my part. Die Teilnahme hat mir in Deutschland neuen Credit gegeben, von dem ich finde, dass er beinahe überfällig war. Ich war in der Show immer auf der Seite der Mädchen. Für mich war es wichtig, von den Teenagern vor dem Bildschirm gemocht zu werden, von deren Müttern und Großmüttern. Das tut gut, und es ist mir nicht durch meinen Roman, nicht durch meine Kollektionen gelungen, sondern dank Heidi Klum. Die Leute haben jetzt begriffen, dass ich nicht dieser Exzentriker bin, der in seinem Luxustempel sitzt, sich das nackte Model bucht, und dann fällt ein Kleid von der Decke und vielleicht ziehen wir es an oder vielleicht auch nicht und machen lieber eine Orgie.

Haben die Deutschen eine falsche Vorstellung davon, was es bedeutet, ein Modeschöpfer zu sein?

Wir sind Industrie-Designer, die ihre Kunden mit der Erfüllung von Wünschen überraschen, die sie eventuell gar nicht hatten. Nur mit Attitude kannst du diesen Beruf nicht lange machen. Das geht nur mit Arbeit und Schmerz. Aber das ist kaum bekannt. Selbst gute Freunde sagen zu mir: Ach, schreib’ doch mal wieder ein Buch, Du schreibst doch so gut, warst sogar auf der Bestsellerliste. Dann erwidere ich: Darf ich euch mal was sagen? Ich bin berufstätig.

Einer der beliebtesten Deutschen im Fernsehen wohnt in Ihrer Nachbarschaft: Günther Jauch.

Es ist das Land, das solche Figuren macht oder zumindest zulässt. Günther Jauch spielt in Deutschland die Rolle des ewigen Junglehrers. Er erweckt beinahe schon Mitleid: Der Hemdkragen scheuert, deswegen macht er immer so komische Halsbewegungen, dann die zu großen Schuhe, nichts sitzt richtig. Die Deutschen sind sehr empfindlich, wenn Sachen sitzen. Man gilt dann als oberflächlich, eitel. Hat der nichts anderes zu tun, als sich die Sachen auf Maß arbeiten zu lassen? Man erinnere sich an Kanzler Schröder, den Brioni-Schröder, der hatte damit gleich verschissen.

Wie natürlich kann man in einer Sendung wie „Germany’s Next Topmodel“ sein?

Ich habe zu den Produzenten ab Ankunft in L.A. gesagt, Ihr dürft das ganze Drehmaterial senden, Joop verschwitzt, durchnässt, frierend, wie er sich umzieht. Das wurde sogar in der F.A.Z. mal positiv vermerkt: dass ich mich vor laufender Kamera umgezogen habe. Der Sender hat natürlich einiges rausgeschnitten, was wohl auch besser für mich war. Ein Beispiel: Als die Mädchen bei einem Walk unglücklich guckten, hab’ ich zur ersten gesagt: Ihr guckt alle unglücklich, weil Ihr alle scheiße ausseht – genauso wie ich. Denn wir sind alle mit dem selben Schwamm von der selben Make-up-Tante geschminkt worden – nur Heidi hat ‛ne eigene.

© Henning Kaiser/dpa Thomas Hayo und Wolfgang Joop beim Finale von Germany’s Next Topmodel 2014

Die Sendung ist gerade wegen der Art, wie mit den Mädchen umgegangen wird, umstritten.

Ich finde großartig, wie die Sendung gehasst und dennoch von so vielen gesehen wird. Sie bedient eine ganze Menge Emotionen. Man sieht die Mädchen leiden, zittern. Ehrlich gesagt, quält man sie zum Teil auch unnötig. So läuft das im wahren Leben nicht. Aber wer sich diesem Fernsehformat andient, muss das wissen. Das ist so ähnlich wie das Dschungelcamp. Man sitzt zu Hause vor dem Fernseher und sagt sich: Dieses Mädchen ist viel hübscher als ich, aber dafür fliegt sie gleich auf ihre hübsche Fresse.

Wie kamen Sie mit Klum zurecht?

Bevor ich Heidi kannte, habe ich auf sie grundsätzlich genervt reagiert. Aber das ist eine ganz dumme deutsche Haltung, auf Leute, die glamourös-professionell und massenkompatibel sind, einfach genervt zu reagieren. Da bin ich nach Canossa gegangen.

Sie waren mit ihr einige Zeit bei Dreharbeiten in Amerika. Wie reagieren die Leute dort auf sie?

Da ist sie das Format: Heidi Klum. Vom deutschen Model, auf das die Modewelt nicht gewartet hatte, zum mega-präsenten Super-Star, Super-Mama, always in love, always in a good mood. Sie hält die Fäden selbst in der Hand. Sie könnte Politikerin werden.

© Henning Kaiser/dpa In der Sendung Germany’s Next Topmodel tritt Wolfgang Joop gemeinsam mit Heidi Klum und Thomas Hayo als Juror auf.

Aber Sexyness zeigt sich doch gerade im Kontrollverlust.

Die Amerikaner sehen das anders. Aber für mich ist es so. Deswegen glaube ich oder hoffe, dass der Tod auch eine sexuelle Erfahrung ist, nicht das Sterben oder die Agonie, aber der Tod. Weil er dir die Kontrolle über dich nimmt, über deinen Körper, deine Sinne. Aus dem selben Grund finde ich auch, dass Narkosen eine gnadenreiche Erfindung sind. Ich verstehe total, warum Michael Jackson scharf war auf Propofol. Erst wehrst du dich noch, dann auf einmal schwindet alles, vor allem die Vernunft.

Wie viel hat Ihr Beruf mit Sex und Erotik zu tun?

Viel, aber anders, als die Leute denken. Es ist ein tief erotischer Ansatz, dass ich komme und dir an die Wäsche gehe. Nicht persönlich, sondern intellektuell. Oder als ich Parfum gemacht habe unter meinem Namen: Da hast du unter deiner Achsel nach mir gerochen.

Wie finden Sie das Phänomen Donald Trump?

Wie gesagt: Jedes Land lässt seine eigenen Figuren zu. In diesem Fall kommt zu dem provozierend Neuen das unheimlich Vertraute. Etwas Ronald Reagan, etwas Liberace, der schwule Entertainer, mit dem Trump mehr Ähnlichkeit hat, als er weiß. Da braucht es hier eine Frau wie Angela Merkel, die sich nicht provozieren lässt.

Sie finden Trumps Gebaren ästhetisch interessant?

Man denkt natürlich: So schlimm, wie es aussieht, kann es nicht bleiben. Nun lass mal die Luft aus den Backen und hol mal die Haarbürste! Aber irgendwie erinnert die Umkehrung von jedem Geschmack auch an die Kunst von Jeff Koons, einem von mir sehr geschätzten Künstler.

Mit dem Unterschied, dass Koons das Geschmacklose als solches reflektiert.

Für Amerikaner ist das zu komplex, die haben Koons sowieso nicht verstanden. Sie haben es gerne eins zu eins. Ein anderes Wort dafür wäre: Porno. Der Ästhetizismus des Mainstreams ist heute sowieso Porno. Ich habe gerade von dem Trend gelesen, sich die Vagina vor den Titten machen zu lassen. Das sagt doch alles.

Was sagen Sie zu Melania und Ivanka?

Es ist erst einmal interessant, dass sie alle diesen osteuropäischen Einschlag haben. Es gibt ja viele Models aus der Gegend, hohe Wangenknochen, ein bisschen Hardcore. Man hat das Gefühl, die sind etwas zäher als die Westfrauen, schmerzunempfindlicher, die haben schon mehr durchgemacht. Sie sind auch sehr viel luxusaffiner, hinterfragen nicht so viel. Bling-Bling ist für sie selbstverständlich, auch die Schönheitskorrekturen, die Optimierung der eigenen Person mit allen Mitteln. Aber die Trump-Frauen sind so anti zu dem, wonach die Fashion sucht. Die Tochter etwa, Ivanka, hat diese hotdogartige Schönheit, die schon David LaChapelle faszinierte.

© Andreas Müller Niemals allein: In der Halle seiner Villa wird Wolfgang Joop von Frank Thiels „Soldaten am Checkpoint Charlie“ bewacht.

Was meinen Sie mit „hotdogartige Schönheit“?

Wie eine Bockwurst: dieses Pralle, Runde, Glatte. Gleichzeitig strahlt sie Disziplin, Ehrgeiz, Leistung aus. Amerika ist eine leistungsfixierte Nation, die no mercy hat mit dem, der es nicht schafft. Dass Melania eine Rede gehalten hat, die fast komplett von Michelle Obama abgekupfert war, passte perfekt. So geht Optimierung.

Es heißt, anders als die Deutschen verziehen die Amerikaner Pleiten und Niederlagen...

...wenn man danach wieder aufsteht und geständig war. In Deutschland darf man Dinge weniger zugeben. Wenn ich publik machen würde, dass ich irgendetwas Teures verkauft habe, ein Gemälde, ein Haus, hieße es sofort: Joop ist pleite. Das kann fatal sein, denn dann wirken auch die Klamotten so ansteckend, dass die Kundinnen denken: Wenn ich seine Bluse anziehe, dann zieht mich das in den Abgrund.

Ein womöglich weiterer Unterschied zwischen Amerika und Deutschland: Während man dort auf den ersten Blick erkennen soll, wenn sich jemand einer Schönheits-OP unterzogen hat, soll es in Deutschland möglichst natürlich aussehen.

Das ist bei uns auch schon anders geworden. Es fing damit an, dass die Zahnspange zum Statussymbol wurde. Und: My daddy bought me boobs for my I4th birthday – das gibt es nicht nur in den Vereinigten Staaten.

Was halten Sie von der Theorie, dass man durch Schönheitsoperationen Sexualpartnern signalisiert: Ich strenge mich an...

... ich tue alles für dich. Ein Geschäftspartner erzählte mir mal, er habe einen Autounfall gehabt, mit seiner Geliebten, nicht mit seiner Ehefrau. Die Geliebte nannten wir „Nutella“, weil sie immer braun angemalt war. Die habe sich beide Arme gebrochen. Als er zu ihr ins Krankenhaus gekommen sei, habe sie ihn, mit ihren beiden Armen in Gips, darum gebeten, er möge sie mit Selbstbräuner eincremen. Der Geschäftspartner fing an zu weinen, als er mir das erzählte. Da fragte ich: Warum weinst du? Da sagte er: Sie will für mich schön sein, verstehst du, für mich, für mich!

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat Sie vor einem halben Jahr in einer Reihe mit Costa Cordalis und Sylvester Stallone genannt. Es ging dabei um Schönheitsoperationen.

Erstens habe ich das gar nicht nötig, und zweitens kann man an der Folge von Fotos aus unterschiedlichen Jahren sehen, dass es nicht stimmt. Aber wenn ich es wollte, würde ich es sofort tun. Und wenn es nötig ist, werde ich mich diesem Schmerz unterziehen. Ich bin wirklich kein Masochist, aber ich glaube, du begreifst in dieser Welt, die so laut ist, so zu, so überfüllt, den Wert deiner Existenz nur dann, wenn es wehtut.

© F.C. Gundlach Wolfgang Joop und ein weibliches Model posieren in Pelzmode. Hamburg, 1971

Was ist das Problem am Alterwerden?

In Amerika habe ich das deutlich gesehen, da gibt es nur zwei Krankheiten: arm und alt. Beides ist das Todesurteil. Wissen Sie, warum ich noch in dieser Welt der Fashion und der unendlichen Jugend sein darf? Weil es Karl Lagerfeld gibt. Das ist etwas, was ich noch nie gesagt habe, aber wirklich schon lange fühle. Lagerfeld ist wohl 83 oder 84. Er lässt mich in dem Wahn existieren, dass ich nicht alt sei. Er lässt mich immer elf Jahre jünger sein!

Sie selbst haben mal gesagt, Ihnen gefalle „das Bröckelnde“. Warum sollte das nicht auch für Gesichter gelten?

Ich weiß doch aus den Tests, die wir gemacht haben, dass dicke Frauen keine dicken Models sehen wollen. So geht es den Leuten auch mit alten Menschen. Ich zum Beispiel kenne keinen Siebzigjährigen.

Sie haben vorher, während der Fotoaufnahmen, gesagt, das Lachen falle Ihnen heute schwerer als früher. Warum?

Ich muss zu viel vom Gesicht nach oben schieben. Das Gesicht will ja, je älter man ist, desto mehr nach unten.

Gibt es auch einen inneren Grund?

Ich will keine sich grotesk anbiedernde ältere Person sein. Was im Alter hilft, ist der freiwillige Rückzug. Unabhängig davon bin ich natürlich durch und durch auch eine Fashionfigur. Das habe ich den Mädchen bei Heidi immer wieder gesagt: Wenn du verführen willst, entziehe dich. Lachen verführt nicht; Lachen ist lächerlich. Man nimmt sich ernst, man ist blasiert, schaut ins Leere, man ist eine Bitch. Sehen Sie ein lachendes Model? Nein. Ich bin zu sehr „Fashion-Now“, um noch zu lachen wie in den Achtzigern.

© Andreas Müller Diese Affen sitzen ihm im Nacken: Tiere sind die Lieblingsmotive seiner eigenen Kunstwerke.

Hatten Sie damals ein Bewusstsein für Ihr gutes Aussehen?

Ich konnte immer schon genau hinschauen. Ich wusste immer, was mir nicht passte. Aber mir passte jede aktuelle Mode, auch die geschmacklich fragwürdigste. Die passt mir heute noch, ohne dass ich den Bauch einziehen muss. Aber wer wie ich ganz genau hinschaut, dem gefällt am eigenen Bild stets irgendwann nichts mehr. Es gibt immer neue Standards, die man zwar selbst mit aufgestellt hat, deretwegen man sich aber auch selbst aussortieren müsste.

Haben Sie sich je gewünscht, nicht so gut auszusehen? Für viele Künstler war ihr bestenfalls mittelmäßiges Aussehen die Quelle ihrer Kreativität...

Zumindest hat mir mein Aussehen, meine Wirkung auf andere, nicht immer genützt. Ich ahnte oft nicht, wenn Menschen in mein Magnetfeld gerieten und dann eine Nähe einforderten, die ich nicht geben konnte. Das führte oft zu Verwerfungen. An der Hochschule in Braunschweig, wo ich ab 1968 Kunsterziehung studierte, wurde ich angefeindet, weil ich zu hübsch war – und meine Zeichnungen angeblich zu schön. Das passte nicht in die Zeit, in der fettige Haare, schlechte Haut und Schweißgeruch als Avantgarde galten.

Was sehen Sie, wenn Sie heute in den Spiegel blicken?

Die Frage beschäftigt mich seit meiner Kindheit: So, wie Sie mich sehen, werde ich mich nie sehen. Warum sehe ich mich nur durch ein anderes Medium, durch Sie, durch einen Spiegel, durch ein Foto? Ich sehe nicht die Aura dieser Figur. Aber natürlich möchte ich, dass sie nicht peinlich ist, dass sie nicht zu lange da ist, wenn man sie eigentlich schon längst nicht mehr auf der Bühne sehen möchte. Diese Sorge beschäftigt mich schon sehr. Ich will ja nicht „Jopie“ werden, der heut’ noch im „Maxim“ intim wird.

© Andreas Müller Es ist ein tief erotischer Ansatz, dass ich komme und dir an die Wäsche gehe. Nicht persönlich, sondern intellektuell.

Und wenn ich Ihnen nun sagen würde, dass Sie ein gut aussehender älterer Herr sind, nachdenklich, witzig, überhaupt nicht peinlich?

Dann würde ich Ihnen sagen, dass ich eben das nicht sein will: ein gut aussehender älterer Herr.

Wer sind Sie?

Ich habe keine wirkliche Identität. Heute erschrecke ich mich darüber, wie jung ich mich fühle, und es nicht mehr bin. Diese Disharmonie spüre ich deutlich, und ich glaube, ich habe sie immer schon gespürt. Dass ich zu lange jung aussah, als man von mir schon erwartete, Vater und Geschäftsmann zu sein. Ich habe den Zeitpunkt verpasst, wo ich identisch mit mir selbst war.

Wer oder was wären Sie gerne?

Ein Vagabund. Manchmal denke ich, es grenzt an Umweltverschmutzung, dass ich ständig neue Kollektionen mache, in diesem schnellen Stakkato. Wer räumt das weg, wer entsorgt es? Ich habe über die Jahre des Wohlstands zu viel gesammelt, finde ich heute. Alles hier wächst wie die Pilze im Wald, das Haus wird immer größer und größer und ich proportional immer kleiner.

Was meinen Sie mit Vagabund?

Ich hätte nur einen Rucksack und eine Kreditkarte bei mir. Ich würde nicht trampen, nicht mit der Eisenbahn fahren, sondern immer fliegen. Und wenn ich nach Bayern fliege, dann kaufe ich mir da am Flughafen eine Lederhose. Und wenn ich Bayern verlasse, dann schmeiße ich sie weg. Und wenn ich in Honolulu bin, kauf ich mir einen Bastrock, den ich am Flughafen wieder wegschmeiße. So geht das weiter. Ich werde mich immer kleiden, wie es Landestracht ist, ich werde essen, was es dort zu essen gibt. Ich mache die Moden mit, wie sie singen, tanzen, Liebe machen. Und dann fliege ich first class ins nächste Abenteuerland.

Glauben Sie, dass es je so kommen wird?

Ich weiß es nicht. Es ist schwer fortzugehen.

Warum?

Aus zwei Gründen. Der erste: Man lässt mich nicht. Wunderkind war der Versuch, als Person, mit meinem Namen, hinter der Kunst zu verschwinden. Aber hier in Deutschland ist meine Legende einfach viel größer. Die Legende erstickt mein Werk, sie lässt Kunst nicht zu. Veruschka hat das auch mal gesagt: Veruschka, das Model, hat die Künstlerin Vera von Lehndorff nicht leben lassen.

© Andreas Müller Künstler, Modeschöpfer, Autor, Unternehmer, Sammler, Fernsehunterhalter: Wolfgang Joop, der gerade 72 Jahre alt geworden ist, in der Villa Wunderkind in Potsdam.

Der zweite Grund?

Man geht nicht, weil man nicht geht. Ich habe diesen Film gesehen mit Keira Knightley, „Alles, was wir geben mussten“. Der handelt von Waisenkindern, denen erklärt wird, dass sie nur dazu da sind, Organe an reiche Leute zu spenden. Der Film ließ mich erstarren. Ein Freund, der ihn mit mir schaute, sagte: Warum sind sie nicht gegangen? Dann hab ich gesagt: weil man nicht geht. Die Schicksale der Flüchtlinge erschüttern mich auch deshalb, weil sie gegangen sind. Diesen Akt finde ich die größte Performance, die man einem Menschen abverlangen kann: Gehen.

Bei den Flüchtlingen liegt auf der Hand, warum sie gehen. Aber bei Ihnen?

Ich bin gescheitert am Konzept Heimat. Hier in Potsdam habe ich meine schöne, behütete Kindheit verbracht. Wir mussten dann weg, nach Niedersachsen. Schon das Wort war Demütigung für mich. Als die Mauer fiel, bin ich zurückgekommen. Mein größter Wunsch, um den ich einst im Schloss Friedrich den Großen gebeten hatte, wurde mir dadurch erfüllt. Aber der Moment ist längst verbraucht, die alte, ganz andere Welt, mit den Menschen, die mein Leben geprägt haben, ist längst versunken. Da ist keine Mutter mehr, keine Großmutter und kein Großvater. Ich habe das Gut Bornstedt, wo ich meine ersten Lebensjahre verbracht habe, meinen beiden Töchtern übergeben, die eine andere Erinnerung daran haben. Logischerweise. Aber das alte Heimatgefühl will sich nicht mehr einstellen. Ich trage diesen Sehnsuchtsbegriff nicht mehr in mir.

Wie werden Sie Weihnachten verbringen?

Verordnete Feiertage überfordern mich. Ich habe Angst davor wie vor einer Modenschau. Man arbeitet ein halbes Jahr lang auf die Inszenierung hin, versucht, alles perfekt zu machen, alle Leute zu befriedigen – Was sagt die deutsche „Vogue“, was die japanische, verstehen die Japaner und die Deutschen zur selben Zeit dieselbe Aussage? –, und dann hat man alles richtig gemacht, aber die Belohnung findet nicht statt. Die Geschenke sind verkehrt. Mich erinnert das immer an den John-Waters-Film „Female Trouble“: Das fette Mädchen Dawn Davenport, gespielt vom Travestiekünstler Divine, reißt unterm Weihnachtsbaum alle Geschenke auf, aber das, was sie wollte, Schuhe mit hohen Hacken, ist nicht drin. Sie reißt daraufhin wütend den Baum um, rennt nach draußen. Auch ich würde am liebsten den Weihnachtsbaum umschmeißen und rennen. I‛m sorry.

Sie sind in Ihrem Leben doch wirklich reich beschenkt worden.

Das stimmt. Plötzlich kamen so viele Geschenke vom Himmel gefallen, dass ich bis heute am Auspacken bin. It‛s too much. Vielleicht passt hier der Satz: Wen die Götter bestrafen wollen, dem erfüllen sie seine Wünsche.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Glauben, zur Kirche?

Als Kind bin ich gerne in die Kirche gegangen und hab’ mir den Jesus angeguckt, der natürlich blond war, frühes 19. Jahrhundert. Heute denke ich: Der Jesus war ein armes Schwein. Ein Vater, der seinen Sohn opfert und sich gegenüber den Menschen verhält wie ein unsicherer Liebhaber. Er stellt uns dauernd auf die Probe, er lässt uns leiden – um endlich doch unnahbar zu bleiben. Was ist denn das für ‛ne Horror-Story! Ich finde den Gott, den sich die Kirche ausgedacht hat, einen rachsüchtigen Gott, der uns in ständiger Angst hält. Mich auch, denn ich staune nicht genug über das Wunder seines Planeten.

Auch Sie hatten ein schwieriges Verhältnis zu Ihrem Vater, der, als Sie bereits acht Jahre alt waren, aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach Hause kam.

Ich bin eigentlich immer noch dieses Kind, das auf den Vater wartet. Der Vater war ein Phantom, das ich mir selber zurechtschusterte. Der Vater, den ich erwartet habe, der ist nie gekommen, das tut mir bitter leid für uns beide.

© Privat/Wolfgang Joop/Collection Rolf Heyne/dpa Ein Kinderfoto von Wolfgang Joop

Halten Sie die Bibel für einen Schauerroman?

Sie wurde irgendwann mal von Menschen geschrieben und passt nicht mehr in unsere Zeit. Wie übrigens auch der Koran nicht in unsere Zeit passt. Die Bibel hat allerdings gute Legenden, gut aufgeschrieben. Noah zum Beispiel. Das war bestimmt nicht nur ein Einzelner, sondern das Sinnbild für Überlebende. Und die Sintflut gab es, mit Sicherheit. Damals ist vielleicht eine Rasse ausgelöscht worden. Die auf dem Berg ganz oben, das sind immer die Kleinen. Unten im Tal sind die Großen. Jetzt sind die Großen alle weg, ertrunken – und wir sind die Nachfahren der Kleinen. Wir halten uns für Halbgötter, dabei sind wir Wichte.

Sie sagten, Gott halte auch Sie in Angst. Glauben Sie an ihn?

Ich bin sicher, es gibt dieses überkreative Wesen. Aber wir haben dafür kein Bild, mit diesem Nicht-Bild müssen wir zurechtkommen. Das ist wie bei Heidi: Ich habe kein Foto für dich.

Vom Schriftsteller Don DeLillo stammt der Satz: „Talent ist erotischer, wenn es verschwendet wird.“ Können Sie diesem Gedanken etwas abgewinnen? Sie haben Ihres ja nun nicht verschwendet...

Vielleicht schon. Aus einer bestimmten Perspektive kann man die Mode und alles, was ich da gemacht habe, sehr überflüssig finden. Man kann der Ansicht sein, ich hätte mich besser auf mein Talent zu malen und zu schreiben konzentriert. Diesen Konflikt habe ich auch in meinem Roman „Im Wolfspelz“ beschrieben. Da steht der Protagonist vor einem Gemälde, und dieses Gemälde sagt zu ihm: „Warum hast du mich gekauft und nicht gemalt?“

Sie hätten, statt Ihre eigenen Unternehmen zu führen, sich anstellen lassen können, so wie Karl Lagerfeld. Dann hätten Sie womöglich Zeit und Nerven gespart.

Es ist schon physisch für mich nicht vorstellbar, mich in diesem Korsett zu bewegen. Ich bin eben ein Kind der siebziger Jahre und wäre überall gekündigt worden.

Was halten Sie von Lagerfeld?

Ich schätze ihn heute mehr als je zuvor. Er war früher schon ein besonderer Mensch, mit besonderen Menschen um ihn herum. So habe ich ihn ja auch kennengelernt, vor Jahrzehnten auf der Straße in Paris, als er meine damalige Frau und mich ansprach und in sein Schloss in die Bretagne einlud.

© Helmut Fricke Wolfgang Joop beim Präsentieren seiner Kollektion bei den Pariser Prêt-à-porter-Schauen, 2015.

Wusste Lagerfeld, dass Sie Teil der Modewelt sind?

Nein, wir waren einfach hübsch, das war genug. Für mich war das eine beeindruckende Begegnung, begriffen habe ich ihn bis heute nicht. Aber was er geschafft hat, ist einmalig: Die Pariser, die ganz sicher nicht auf einen Deutschen gewartet hatten, zur Arbeit anzutreiben, sie mit seiner Idee zu infizieren, sie dazu zu zwingen, wie in einer Sekte an ihn zu glauben. Als Designer nimmst du ihnen ja alle Entscheidungen ab, du sagst rot oder grün oder blau. Und sie müssen diese Mega-Inszenierung erst basteln und danach wieder wegräumen. Dass Lagerfeld das geschafft hat, bewundere ich zutiefst. Ob das nötig war, sollen Philosophen beantworten. Das gilt genauso für mich und meine Arbeit.

Es gibt noch eine dritte Große im Bunde: Jil Sander. Wie kommt es, dass das Verhältnis zwischen Ihnen dreien zumindest als sehr schwierig gilt?

Erst einmal bin ich Zeuge. Ich bin zum Beispiel Zeuge von Jil Sanders Anfängen, wir kannten uns damals in Hamburg sehr gut. Zeugen werden nie geliebt, weil sie oft Dinge wissen, die andere nicht wissen sollen. Ich habe auch hin und wieder etwas gesagt, was Kollegen als brisant empfunden haben. Dabei verstehe ich die Brisanz bis heute nicht. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum sich jemand jünger machen muss, als er ist, oder aus dem Alter ein Geheimnis macht. Generell beschäftige ich mich lieber mit der Analyse von Phänomenen und Personen als mit deren Anbetung. Mich fasziniert die Realität, nicht der Schein. Dessen ungeachtet finde ich, Feindschaften bedienen nur den Voyeur und den Neider.

Sie haben mal gesagt, Kate Moss sei ein Topmodel, weil sie schweigt, Heidi Klum eher nicht, weil sie spricht. Haben Sie selbst in Ihrem Leben womöglich zu viel geredet?

Ich glaube, es hätte mir manchmal besser gestanden, nichts zu sagen. Dieses Gesicht, das ich Ihnen auf dem Handy gezeigt habe, ist so charmant, weil es nichts sagt. Da kann man eine Menge reininterpretieren. Aber ich brauche auch das Wort. Zum Beispiel, um meine Psychosen zu benennen. Das ist wie bei einer Teufelsaustreibung, die funktioniert, indem man den Namen des Teufels nennt. Ich sage das wörtlich so zu meinen Dämonen, die alle einen Namen haben: Ihr haltet jetzt die Fresse, Ihr seid jetzt nicht dran.

© Helmut Fricke Ein schönes Paar: Wolfgang Joop stellt im September 2004 im Showroom in New York seine neue Marke Wunderkind vor.

Inwieweit haben Mode- und Sprachschöpfung etwas miteinander gemein?

Ich bin unsicher in dem, was ich tue, wenn ich es nicht benennen kann. Ich arbeite auch wie ein Drehbuchautor: Ich ringe um die Worte, ich suche die Dialoge und die Figuren, die ich haben will. Dann kleide ich sie ein.

Über den Designer Alexander McQueen, der sich 2010 umgebracht hat, sagten Sie mal, seine Kleider verrieten Ihnen zu viel, wonach Sie nicht gefragt hätten. Wo ist da der Unterschied zu Ihnen, der Sie von Ihren Dämonen sprechen?

Mode hat aus meiner Sicht, bei aller Schwierigkeit der Umstände, unter denen sie geschaffen wird, die Funktion, uns zu entführen in eine andere, idealisierte Welt. Nietzsche sagte: „Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen.“ Ich weiß noch, dass meine Mutter „Film und Frau“ gelesen hat in den Fünfzigern, da gab es eine Spalte „Goldstaub“, ganz schicke Leute, mit Drink, alle rauchten, die Frauen im Petticoat. McQueen hingegen zeigte missgebildete, gequälte Kreaturen. Das überfordert den Begriff Fashion.

Sie sagen doch immer, Mode müsse wehtun.

McQueen ist an seinen eigenen Nightmares zugrunde gegangen. Gerade das möchte ich nicht. Es muss wehtun, aber es soll nicht töten!

Was meinen Sie genau mit wehtun?

Fashion muss wehtun beim Hinschauen, beim Tragen, spätestens beim Bezahlen. Denn auch der Preis ist ein Kick. Sehr viele Frauen finden es geil, wenn eine Hermès-Tasche 20.000 Euro kostet und wenn man auf sie warten muss wie auf einen Gigolo.

© PR Wunderkind, Herbst/Winter 2016 und Frühjahr 2017 Kleider aus Joops Wunderkind-Kollektion für Frühjahr 2017

Und was tut dem Modeschöpfer weh?

Die Nächte durchzuarbeiten, sich tagelang mit winzigen Stoffschnipseln zu beschäftigen und dann, wenn auf einmal 200 Meter Stoff auf dich zugerollt kommen, zu erkennen, es ist die falsche Farbe, die falsche Schwere, zum falschen Preis. Meine Arbeit hat weniger mit dem Maler Gerhard Richter gemein als mit der Schmerzens- und Performancekünstlerin Marina Abramovic, die sich hinsetzt und sich anstarren lässt. Ich lasse mich auch anstarren, schon über Jahrzehnte. Meine Mitarbeiter sehen mich verschwitzt, k.o., mit Kopfschmerzen komme ich die Treppe herunter, weil ich auf einmal denke, alles ist falsch. Dann sitze ich da, nachts, und zeichne alles neu. Warum? Warum? Ich habe Nächte und Millionen investiert, wurde verfolgt von Investoren, die nur den Profit sahen. Und dann, nach den acht Minuten Inszenierung auf dem Laufsteg, stehe ich da, tief traurig, weil die Kollektion in dem Moment für mich gestorben ist. Warum das Ganze?

Ja, warum?

Es ist eine Sucht. Alle Leute in der Mode leben wie Süchtige. Der Kick kommt nicht, die Belohnung kommt nicht – beim nächsten Mal, nächster Versuch, und dann gleich richtig... Aber dann hat die Zeit sich verändert. Der Zeitgeist fickt dich, wenn du nicht aufpasst. Du musst ihn erkennen, aber du darfst ihm keinesfalls die Hand reichen. Um in einer visuell überfüllten Welt durchzudringen, muss eine Nicht-Verabredung mit dem Zeitgeist stattfinden. Das hat jeder große Künstler so gemacht. Warhol hat das verbrauchte Image von Liz Taylor aus dem Müll geholt und es ikonisiert. Darum geht es: Finde das Untouchable und spreche es heilig.

In gewisser Weise wurden auch die Supermodels vom Zeitgeist gefickt.

Die Zeit der glorreichen Sieben, Naomi, Claudia, Cindy, Linda, Nadja, Christy, Kate begann, als Aids aufkam. In einer Sendung auf Arte wurde das kürzlich schön analysiert. Die Supermodels waren Figuren, die unbesiegbar aussahen, gesund und optimistisch. Aber das ist das Gefährliche an der Mode, diesem Planeten der Schönheit und der Eitelkeit: Du wirst plötzlich Star, weil du schön bist, und dann kommst du morgen und bist einfach nicht mehr cool. Die Supermodels sind nicht mehr cool. Nur eine überlebte: Kate Moss. Sie gehörte dazu und gleichzeitig nicht.

© Peter Lindburgh Sie gehören zu den glorreichen Sieben: Kate Moss, Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford

Was ist denn cool?

Momentan geht es in der Mode darum zu negieren, was andere lockt, was andere tun. Ganz wichtiger Satz: Du musst auch ugly können. Wir mussten für eine Schau Jungs von Berlin nach Mailand einfliegen lassen, weil wir alle wussten, du kannst keinesfalls diesen gut aussehenden Typus aus den Mailänder Modelagenturen benutzen.

Wie stehen Sie zu Street-Styles, zu den Leuten, die sich im Umfeld der Schauen modisch inszenieren?

Ich finde es großartig, dass man die Freiheit hat, sich von anderen abzusetzen. Wenn aber alle aussehen, als wären sie aus der Norm gefallen, ist das auch schon wieder eine Form der Uniformität. Ich kenne ja diese Street-Styler. Von denen geht eine Blasiertheit aus, ein ignorantes Besserwissen, dass ich oft erschüttert bin. Nur ganz wenige von denen wissen, dass die coole Jacke, die sie anhaben und die aussieht wie von Peter Frankenfeld geerbt, mal ganz große Scheiße war. Und nur weil sie immer noch scheiße ist, ist sie jetzt cool.

Warum muss man von so etwas Ahnung haben?

Wer sich mit Mode befasst, wer meint, mit ihr spielen zu müssen, sollte ihre Gesetzmäßigkeiten kennen. Gestern zog mein Assistent meinem Model Sara einen doppelreihigen Blazer mit einem einreihig geknöpften Rock an. Ich fragte ihn, ob er nicht wisse, dass das wirklich nicht geht, dass das gegen jedes Fashion-Gesetz verstößt. Da sagte er: Wieso? Du selbst zerstörst doch jedes Gesetz. Daraufhin ich: Ja, aber ich kenne sie. Das ist der Unterschied.

Gemessen an der Schnelllebigkeit und der Brutalität Ihrer Branche, haben Sie sich lange gehalten.

Vielleicht hat man mich nicht abgeschossen, weil man mich nicht als Wild erkannte.

Bereuen Sie den Weg, den Sie gegangen sind?

Ich frage mich schon, ob es der einzig richtige gewesen ist. Aber erstens ist es jetzt sowieso zu spät: Es ist, wie es ist. Und zweitens denke ich, mein Gott, es war wirklich selbstbestimmt, dieses nutzlose Dasein. Wenn man Kaschmir verarbeitet, das man der Himalaja-Ziege aus dem Hals gekämmt hat, gibt es unweigerlich auch Abfall. Natürlich kann man sich da fragen: Warum hat man die Ziege nicht ungeschoren gelassen? Ich muss mich das nicht fragen, ich kann mir diese Dekadenz erlauben.

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Quelle: Frankfurter Allgemeine Magazin

Veröffentlicht: 28.12.2016 13:32 Uhr