Interview Julia Stoschek : Die Kunst der Zeit
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Sie probiert nie etwas an, sondern kauft es gleich: Julia Stoschek, hier im H&M-Overall im Ausstellungshaus ihrer Sammlung in Düsseldorf, ist sich selbst gut bekannt. Bild: Jonas Lindstroem
Julia Stoschek, die Sammlerin, Unternehmerin und Museumsgründerin, über Videokunst, Stil, Familie und Geschäft.
KUNST.
Frau Stoschek, Kunstkenner sind angetan davon, wie intensiv Sie Videokunst sammeln.
Zeitbasierte Medienkunst!
Ah, ja, genau. Video ist ja heute fast schon ein altes Wort.
Die zeitbasierte Medienkunst umfasst noch stärker den Aspekt der Rauminstallation. Meine Sammlung hat auch eine skulpturale Dimension.
Und warum eigentlich zeitbasiert?
Hier kommen zwei wesentliche Aspekte zusammen: die Echtzeit - die spezifische Dauer einer Arbeit - und die Rezeptionszeit, die der Betrachter benötigt, um ein Werk zu erfassen. Mit der tragbaren Videokamera war es für Künstler erstmals möglich, Zeit abzubilden.
Heute kann man schon mit dem Handy tolle Fotos und Videos machen. Zeitbasierte Medienkunst ist also immer überall verfügbar.
Ja, das Bewegtbild umgibt uns dauernd. Diese gesellschaftliche Umwälzung möchte ich mit meiner Sammlung reflektieren.
Ihre private Sammlung zeitgenössischer Kunst stellen Sie in Düsseldorf in einem eigenen Ausstellungshaus aus. Welche der Kunstwerke können in Zeiten dauernden Medienkonsums noch Gültigkeit für sich beanspruchen?
Ich verstehe die Sammlung nicht als Ansammlung, sondern als ein kohärentes Gesamtkonzept, als ein Archiv von Zeitlichkeiten. Somit hat jedes einzelne Werk seine Gültigkeit.
Sie haben Glück. Die Videokunst-Szene ist viel überschaubarer als Malerei oder Fotografie.
Medienkunst ist die jüngste Gattung der Kunstgeschichte, deshalb ist sie vielleicht auf den ersten Blick überschaubarer. Ich denke aber nicht in solchen Kategorien.
Vollständig wird Ihre Sammlung nie werden.
Das ist auch nicht mein Anspruch. Aber den wichtigsten Protagonisten gebe ich eine Plattform. Ich verfolge lieber intensiv einen Künstler über einen langen Zeitraum hinweg, um die Schlüsselarbeiten zu erwerben, als von vielen Künstlern Einzelarbeiten.
Der technische Fortschritt ist schnell. Da veraltet doch Ihre Sammlung dauernd.
Sicher nicht. Eines meiner wichtigsten Anliegen: dafür zu sorgen, dass das nicht der Fall ist. Was die technische Archivierung angeht, so unterscheiden wir zwischen den historischen Arbeiten, die zum Beispiel auf Digi-Betacam-Formaten oder auf Filmrollen gespeichert sind, und den digitalen Medien, die als Files archiviert werden. Der gesamte Sammlungsbestand wird digitalisiert.
Bei all den Freizeitangeboten von Festivals bis Fußball: Wie kann man die Menschen da noch für Kunst begeistern?
Ich verstehe die Problematik nicht. Nie haben sich so viele Menschen für zeitgenössische Kunst interessiert. Gerade zeitbasierte Medienkunst mit ihrer lebensnahen Dynamik scheint einen aktuellen Nerv zu treffen. Alles ist in Bewegung, alles verändert sich fortwährend. Das Ephemere ist ein wesentliches Merkmal unserer Zeit. 10.000 Menschen kommen im Jahr in unser Ausstellungshaus.
Aber kann Medienkunst den Menschen wirklich unmittelbar einnehmen? Oder ist die Rezeption nicht immer nur vermittelt, nach dem Motto: Jetzt gucken wir uns Kunst an.
Ich bin absolut davon überzeugt, dass gerade die Medienkunst eine unmittelbare Erfahrbarkeit ermöglicht. Die von ihr ausgehende Synästhesie - räumlich, akustisch und visuell - ist eins zu eins, oft sogar interaktiv spürbar.
Aber die Malerei zum Beispiel hat den großen Vorteil, dass die Rezeption ein sozialer Akt ist. Man kann sich also in Ruhe darüber unterhalten.
Warum soll man das bei einer Videoarbeit nicht tun? Falls ein Sound die Arbeit begleitet, müssen Sie eben etwas lauter sprechen!
Man muss sich auch sehr konzentrieren.
Ja, Medienkunst ist fordernd. Es ist ein intensives, forderndes Medium, aber gerade deshalb so spannend. Wir versuchen in unserem Ausstellungshaus, die Rezeption der Werke für den Betrachter so angenehm wie möglich zu gestalten. Zum Beispiel mit einem durchchoreographierten Besucherrundgang, soundabsorbierenden Wänden statt Teppichen und Vorhängen sowie mit indirektem Licht, das es dem Auge erleichtert, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Damit es nicht ganz so anstrengend ist.
Damit es ein großartiges, intensives Raumerlebnis wird. Das Thema Vermittlung ist wichtig und bereitet mir besondere Freude.
So eine Ausstellung frisst jedoch viel Geld.
Sicher. Aber zum Glück gibt es so etwas wie einen kulturellen Mehrwert, an den ich fest glaube. Sammeln ist das eine - ausstellen etwas anderes. Ich wollte von vornherein die Menschen an der Kunst, die ich sammle, teilhaben lassen. Dass die Kosten für den Ausstellungsbetrieb mein Ankaufsbugdet übersteigen, sei hier nur nebenbei erwähnt.
Der Kunstmarkt ist unheimlich aufgeheizt. In der Medienkunst ist es noch nicht so schlimm, oder?
Zum Glück. Medienkunst wird noch nicht oder kaum auf dem „secondary market“ angeboten. Natürlich gibt es Privatsammler, die sich für Medienkunst interessieren. Aber vor allem die Museen konkurrieren mit mir um die guten Arbeiten.
Und große Privatsammler wie Pinault oder Arnault wildern nicht in Ihrem Terrain?
Das kann ich nicht so beantworten. Aber es fällt schon auf, dass François Pinault Medienkünstlern eine Ausstellung widmet, die schon bei mir in der Sammlung sind.

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Privatmuseen haben jedenfalls mehr Macht denn je und machen den staatlichen Museen das Leben schwer.
Nein. Ich bin überzeugt davon, dass die Zukunft in der Zusammenarbeit liegt und nicht in der Konkurrenz. Gerade mit Privatsammlungen kann man sich einer Nische verschreiben.
Wahrscheinlich wird auch Ihre Sammlung eines Tages Teil einer öffentlichen Sammlung sein.
Das könnte mal so sein. Aber bitte sehen Sie es mir nach, wenn ich da noch nicht konkreter werde.
STIL.
Ihr Markenzeichen ist der Pony. Oder lassen Sie den jetzt rauswachsen?
Der Pony kommt und geht - immer wieder.
Was ist eigentlich das Schöne an diesem Haarschnitt?
Das müssen Sie doch beurteilen! Es ist klar, dass ein Pony ein Gesicht gravierend verändert - ob's gefällt oder nicht.
Eine Statement-Frisur, sozusagen.
So ist es.
Im Overall von H&M auf unserem Bild sehen Sie aus wie eine Künstlerin.
Wie bitte? Wie sieht denn eine Künstlerin aus? Ist das ein Kompliment?
Klar. Und Overalls sind gerade sehr in Mode.
Ja, sie sind zeitlos und schön.
Haben Sie eigentlich eine Stylistin, die Sie einkleidet?
Nein, ich kümmere mich gern selbst um meine Outfits.
Haben Sie dafür denn Zeit?
Ich bin extrem schnell. Ich probiere nie etwas an. Ich kenne meinen Körper. Ich nehme die Kleidungsstücke einfach mit, und es passt immer.
Und Sie bereuen es hinterher nicht?
Nein, ich bin durch eine gute Sehschule gegangen. Ich arbeite so viel mit Bewegtbild, dass ich die Dinge schnell erfassen kann.
Wo kaufen Sie am liebsten ein? Madison Avenue?
Die großen Marken gibt es ja überall. Ich finde es äußerst spannend, in kleineren Boutiquen einzukaufen, egal ob in Budapest oder Tel Aviv.
Und übers Internet?
Auch. Es spart viel Zeit, ich kenne meine Größen, und es wird schnell geliefert.
Jedenfalls muss es praktisch sein, denn Sie reisen viel.
Ja, und ich reise nur mit Handgepäck.
Ach!
Bis zu drei Wochen lang. Manchmal trickse ich ein bisschen und habe eine Extra-Tasche. Unfassbar, was in einen kleinen Rimowa-Koffer so alles reinpasst. Man muss eben gut kombinieren. Ich habe früher viel zu viel mitgenommen, was ich dann gar nicht angezogen habe.
Mit Handgepäck kommt man schneller weiter.
Ja, am Gepäckband verliert man zu viel Zeit. Besser die Sachen dabei haben und gleich zum nächsten Termin.
Die Mode muss also so passen, dass Sie in New York morgens zu einem Künstler ins Atelier, nachmittags zu einer Sitzung am MoMA PS 1 und abends zu einer Vernissage gehen?
Ja. Vor allem mit Schuhen und kleinen Accessoires kann man ein Outfit wunderbar verändern.
Kunstleute sind ja sehr modeinteressiert. Früher waren sie zum Beispiel auf Helmut Lang, heute sind sie auf Céline fixiert. Nervt diese Fixierung nicht?
Warum? Wenn man sich mit ästhetischen Fragen auseinandersetzt, dann legt man auch in der Mode viel Wert auf Materialien und Verarbeitungsqualität.
Aus dem Blau und Schwarz der Kunstszene stechen Sie heute mit einer Polkatupfen-Bluse von Valentino heraus.
Wie schön für Sie!
Und Sie tragen gerne High-Heels. Dagegen ist der Trend zu den Stan-Smith-Sneakern von Adidas spurlos an Ihnen vorübergegangen.
Absolut. Hohe Schuhe sind feminin. Vom erhöhten Standpunkt aus lässt sich die Welt auch viel besser betrachten!
Als Absolventin der Betriebswirtschaft haben Sie sich noch anders gekleidet, nehme ich an.
Ja, eher klassisch mit Kostüm und Louis-Vuitton-Tasche. Aber bei Geschäftsterminen trage ich gern ein Business-Outfit.
Dafür sparen Sie beim Schmuck?
Generell trage ich nicht so viel Schmuck. Heute sind's zwei Ringe und zwei Ohrringe.
Und eine Rolex Daytona.
Die hilft, dass ich nicht dauernd aufs Handy schaue.
FAMILIE.
Sie sind ein Kind der MTV-Generation. Das ist wahrscheinlich prägend.
Ja. Ich bin im Oberfränkischen groß geworden, das war, zugegeben, nicht der Nabel der Welt. MTV war das Medium, um mit Musik und Popkultur in Kontakt zu kommen.
Und wie kamen Sie von da zur Kunst?
Ich komme aus einem sehr kreativen Haushalt. Meine Großmutter, die Tochter des Firmengründers Max Brose, war Schauspielerin und hat schon sehr früh selbst Filme gedreht. Mein Großvater war Generalmusikdirektor und Dirigent am Landestheater Coburg. Mein Vater wollte eigentlich Fotograf werden.
Die Gene und die Erziehung gaben Ihnen die Medienkunst mit?
Ja, das kann man so sagen. Technikaffinität war von zu Hause vorgegeben.
Ihre Familie wirkt recht unkonventionell.
Ja, wir sind eine sehr schnelle, flexible, originelle, dynamische Familie. Keine ganz schlechte Vorbereitung aufs Leben.
GESCHÄFT.
Ganz nebenbei sind Sie noch im Familienunternehmen tätig, das mechatronische Komponenten und Systeme für Automobile anbietet.
Ich bin aktive Gesellschafterin und stolz darauf, für ein so erfolgreiches Familienunternehmen in der vierten Generation tätig zu sein. Als Familienunternehmen zu agieren spielt eine enorme Rolle. Daher stehen Firmeninteressen immer ganz klar vor den Privatinteressen einzelner Familienmitglieder. Alle Gesellschafter haben sich einem Firmenkodex verschrieben, der auch so gelebt wird.
Angesichts des verschärften Wettbewerbs in der Autobranche wäre es einfacher, wenn Ihre Familie die Firma jetzt verkaufen würde.
Diese Frage verstehe ich nicht. Ein Verkauf ist indiskutabel und kommt für uns nicht in Frage.
Können Sie aus dem Unternehmen etwas lernen für den Kunstmarkt?
Ja, auch im Kunstmarkt muss man - ähnlich der Einkaufsstrategie im Management - clever verhandeln. Ich erwarte einen Institutionsrabatt - ohne den tätige ich keinen Einkauf. Was die Kunst an sich betrifft: Über die vielen Jahre habe ich durch das Familienunternehmen vor allem zwei elementare Prinzipien kennen und schätzen gelernt, Verbindlichkeit und Verantwortung. Das unterscheidet ein Familienunternehmen von einem großen anonymen Konzern mit wechselnder Eigentumsstruktur. Das langfristige verantwortungsvolle Wirtschaften hat mich sehr geprägt. Vielleicht lege ich auch deshalb in meinem eigenen Ausstellungshaus einen so großen Wert auf die Themen Archivierung und Konservierung. Ich will die Sammlung nicht nur gut erhalten, sondern an die nächste Generation weitergeben.
Sie sind Diplom-Betriebswirtin.
Ja, ich habe in Bamberg Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Automobilwirtschaft studiert.
Durchblicken Sie die Autotechnik eigentlich?
Technisches Detailwissen wird als Gesellschafterin glücklicherweise nicht von mir verlangt. Dafür haben wir hervorragende Ingenieure. Mein Aufgabenbereich umfasst die strategische Ausrichtung und Langfristplanung der Brose Unternehmensgruppe.
Kann man denn von der Kunst etwas lernen fürs Geschäft?
Ich bin davon überzeugt, dass Kunst als Motivation und Impulsgeber dienen und neue Denkanstöße ermöglichen kann. Soft Skills werden im Managementbereich immer wichtiger. Deshalb integrieren viele Unternehmen Kunst oder eine Kunstsammlung in ihre Unternehmensphilosophie. Im übrigen glaube ich, dass Manager und Künstler wesensverwandt sind. Beide kennzeichnet die Fähigkeit zu Mut, Improvisation und visionärem Denken.
Aber der Umgang mit quasi-göttlichen Künstlern ist bestimmt nicht so einfach.
Ich finde die Frage despektierlich. Solche Künstler kenne ich nicht. Die Künstler, mit denen ich arbeite, zeichnen sich durch Ernsthaftigkeit und Professionalität aus. Ich verstehe es als große Bereicherung, mich mit ihnen auszutauschen.