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Fotografin Lee Miller : Von Glamour und Grauen

  • -Aktualisiert am

Diese wartenden kleinen Jungen fotografierte Lee Miller 1945 in Luxemburg. Bild: Lee Miller Archives

Bilder, die nachwirken: Für die „Vogue“ dokumentierte die Fotografin Lee Miller Momente des Zweiten Weltkriegs in Europa – und ließ sich selbst in Hitlers Badewanne fotografieren.

          5 Min.

          Auf den ersten Blick meint man, eine Schlafende zu be­trachten. Entspannt und doch anmutig liegt die junge Frau auf einem dunklen Sofa, blondes Haar fällt in die makellose Stirn, zierlich wirkt sie, die Augen ge­schlossen, der Mund leicht geöffnet. Doch dann sind da ihre Hände. Kraftlos liegen sie da, aber auch seltsam verkrampft. Während der Blick noch über den Mantel der Frau wandert, über das DRK-Abzeichen am Ärmel und wieder zum Gesicht, bahnt sich leise, aber vehement das Verständnis seinen Weg ins Bewusstsein: Dies ist nicht das Bild einer Schlafenden. Es ist das einer Toten. Es ist das Bild von Regina Lisso, Tochter von Ernst Kurt Lisso, von 1940 an stellvertretender Bürgermeister von Leipzig. Aufgenommen hat es Lee Miller, am 20. April 1945, zwei Tage nach dem ge­meinsamen Suizid von Vater, Mutter und Tochter mit Zyanidkapseln im Leipziger Rathaus.

          „Ein phänomenales Bild“, findet Anne-Marie Beckmann, Kunsthistori­kerin und Direktorin der Deutsche Börse Photography Foundation: „Nichts drängt sich auf, man erobert sich jede einzelne Facette beim Betrachten. Es ist ein Bild, das man nicht vergisst.“ Und eines, in dem sich die so unterschied­lichen Einflüsse im Werk der Fotografin Miller widerspiegeln: das Inszenieren der Modefotografie, der subtil wirkende Effekt des Surrealismus und die Grausamkeit der Kriegsfotografie.

          Bilder, die man nicht vergisst

          „Es mag paradox klingen, aber ich habe mich an dieser Aufnahme nie satt­sehen können“, sagt Felicity Korn, Kunsthistorikerin und Kuratorin am Düsseldorfer Kunstpalast. Dort wurde 2019 die Ausstellung „Fotografinnen an der Front“ gezeigt, kuratiert von Korn und Beckmann. In kleinerer Form ist sie zurzeit im Musée de la Libération de Paris zu sehen und zeigt Fotos, die Miller ab 1939 in England, Frankreich und Deutschland machte. Zudem präsentiert momentan eine Ausstellung in Monschau Bilder von Miller aus den letzten Kriegsjahren im Rheinland.

          Als Kriegsfotografin war die am 23. April 1907 im Bundesstaat New York geborene Miller für die „Vogue“ akkreditiert. Das überrascht, gilt das Magazin doch eher als Zuhause aufwendiger Modestrecken als erschütternder Dokumentationen über Zerstörung und Abgründe. Miller hatte selbst in den Zwanzigerjahren für die US- „Vogue“ gemodelt, zierte mehrfach das Cover, wechselte dann hinter die Ka­mera, blieb aber zunächst der Modefotografie treu. Den Kriegsbeginn er­lebte sie in London und überzeugte das Magazin, sie das Geschehen in Europa mit der Kamera dokumentieren zu lassen. Ihre Aufnahmen waren – und sind – erschütternd.

          Bruch mit Fotografiegewohnheiten

          „Die Art, wie sie die Grausamkeit des Krieges und im Gegensatz dazu den scheinbar friedlichen deutschen Alltag fernab der Front einfing, brach völlig mit den gängigen Weisen“, so Beckmann. Nicht nur durch ihren Fokus auf ungewöhnliche Details, etwa die Hosenbeine von Häftlingen in Konzentrationslagern, hob sich Miller von ihren Kollegen ab, ergänzt Korn: „An der Auswahl der Motive, ihrer Inszenierung und Komposition, sieht man ihren künstlerischen Hintergrund, aber auch ihre Erfahrung in der Werbefotografie.“

          Die Surrealisten Max Ernst und Leonora Carrington, von Lee Miller festgehalten 1937
          Die Surrealisten Max Ernst und Leonora Carrington, von Lee Miller festgehalten 1937 : Bild: Lee Miller Archives

          Mit einem Amateurfotografen als Vater, der von seiner heranwachsenden Tochter (nicht unumstrittene) Aufnahmen machte, war Miller von klein auf mit der Fotografie vertraut. In New York studierte sie Bühnenbild und Beleuchtung, bis der Journalist Condé Nast, damals Herausgeber von „Vogue“ und „Vanity Fair“, Miller höchstpersönlich ent­­deckte: Der Legende nach lief sie 1926 in Manhattan beinahe vor ein Auto, Nast zog sie gerade noch rechtzeitig zurück – und bot ihr einen Modelvertrag an. Es folgte eine rasante Karriere vor den Kameras von Größen wie Edward Steichen und George Hoyningen-Huene.

          In Paris umgab sie sich mit Künstlern

          Nach nur zwei Jahren zog es Miller weiter. „Aus irgendeinem Grund möchte ich immer lieber woanders hin“, heißt es in ihren Aufzeichnungen. In Paris schloss sie sich den Surrealisten an. Vor allem einem: Man Ray. Mit dem Fotografen, Maler und Filmemacher ar­beitete Miller eng zusammen; sie wurden ein Paar, umgaben sich mit Künstlern wie Max Ernst und Pablo Picasso. Den Platz vor der Kamera gab Miller nicht ganz auf: Bei vielen Fotos drückte Man Ray auf den Auslöser, die Bearbeitung übernahm sie selbst – und damit auch die Kontrolle über ihr eigenes Bild und dessen Wirkung, meint Korn.

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