Altes Handwerk neu entdeckt : Verflochten
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Hier wächst ein Weißenhof-Stuhl aus Natur- und Stahlrohr. Bild: Franziska Gilli
Das Handwerk der Korbflechter ist in Deutschland fast ausgestorben, aber an Bauhausstühlen kommt es groß raus. Besuch bei einem Vertreter dieser Zunft im niedersächsischen Lauenförde.
Etwas neu beginnen und etwas zu Ende bringen – diese beiden Dinge sind im Leben häufig die schwierigsten und erfordern am meisten Mühe, Fingerspitzengefühl und Aufmerksamkeit. Ist man mittendrin, dann geht alles wie von selbst voran, wenn’s läuft, dann läuft’s eben. Wie im Leben, so ähnlich ist es auch beim Flechten, weiß Hansgert Butterweck.

Redakteurin in der Wirtschaft.
Der Flechtwerkmeister aus dem ostwestfälischen Dalhausen beginnt auch gerade etwas von vorn: Er flicht einen Weißenhof-Stuhl, im Bauhaus-Sprech auch D42 genannt. Besser gesagt: Er flechtet Sitz und Lehne des frei schwingenden Stuhles, und zwar aus einem Guss. Das Geflecht legt sich um eine Metallkonstruktion herum, die aus einem einzigen Stahlrohr gebogen ist. Der Architekt Ludwig Mies van der Rohe hatte das Original 1927 in seinem Berliner Atelier entworfen, das Flechtwerk stammt aber von seiner Mitarbeiterin Lilly Reich.
Gemeinsam mit Korbmachern entwickelte sie charakteristische Details: zum Beispiel zwei Stege als Querverbindungen zwischen den Stahlrohren, die dem Flechtwerk seinen Rahmen geben. „Diese Details sind entscheidend. Sie zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung in den dreißiger Jahren mit dem Thema Geflecht: Wie fange ich an, wie höre ich auf, wie gestalte ich die Übergänge“, sagt Butterweck.
Auch andere Hersteller setzen auf Flechtoptik
Der 49 Jahre alte Korbflechter arbeitet im Nachbarort Lauenförde beim Bauhausmöbelhersteller Tecta, der ihn eigens für die Produktion der handgeflochtenen Modelle angeheuert hat. Auch andere Hersteller von Designerstühlen setzen auf die Flechtoptik. Üblicherweise übernehmen meist Maschinen die Flechtarbeit, etwa bei Marcel Breuers S32 von Thonet. Dem Gedanken des Bauhauses von Handwerk und Technik als Einheit folgend, zeichne den Weißenhof-Stuhl das „Spannungsverhältnis zwischen der nackten, kalten Optik des Stahlrohrgestells und dem warmen, biegsamen, natürlichen Material des Naturrohrs“ aus, sagt Tecta-Geschäftsführer Axel Bruchhäuser.
Diese Materialien zu kombinieren stellt auch für den Flechter eine Herausforderung dar. Damit auf dem glatten Metall nichts verrutscht, umwickelt er am Stahlrohr die Stellen mit Klebeband, an denen die Sitzfläche beginnen und die Stuhllehne enden soll. Er bringt oben und unten jeweils einen kleinen Steg an und beginnt am vorderen Ende der Sitzkante, den Steg mit Flechtmaterial zu umwickeln.
Butterweck verarbeitet für den D42 Naturrohr, ein Schälprodukt der indonesischen Rotangpalme, das auch Rattan genannt wird. Es gilt als biegsam, wetterbeständig und strapazierfähig – verhält sich beim Flechten aber widerspenstiger als angenommen. Was nach dem Schälen übrigbleibt, ist Peddigrohr, das Tecta für Modelle aus den siebziger Jahren verwendet. Für weitere Stuhlvarianten verflechten Mitarbeiter auch Fäden aus Polypropylen von Hand. Der Vorteil: Das synthetische Material gibt es in allen Farbtönen, bei lackiertem Naturrohr würde die Farbe hingegen irgendwann abblättern.
„Es sieht so einfach aus“
Das Naturrohr hat Butterweck zuvor in einem Eimer mit Wasser eingeweicht, so wird es noch flexibler. Dabei verflicht er zwei Fäden übereinander, die er an der glatten Seite zusammenlegt und die sich auf der anderen Seite linsenförmig wölben – das sogenannte Doppelgeflecht, ebenfalls eine Idee von Lilly Reich. Mit diesen zwei Naturrohrfäden umwickelt er den Steg, so ergibt sich eine flexible, frei federnde Kante, filigran, aber stabil.
Durch jede fünfte Umwicklung des Steges zieht Butterweck einen Faden zur Hälfte hindurch. So entstehen 15 Querstreben, die Staken, durch die er das doppelte Naturrohr von links nach rechts hindurchfädelt. Damit die Fläche am Ende schön gleichmäßig wird, fixiert er die bisher geflochtenen Reihen mit den Fingern, so dass die querliegenden Naturrohre parallel zueinander bleiben. „Es geht nicht nur darum, die Fäden um die Staken herumzulegen, sondern auch darum, die Staken zu steuern“, erklärt Butterweck. „Es ist immer ein Wechselspiel zwischen Zug, Druck, Ausrichtung, links, rechts. Es sieht so einfach aus, aber ich bin bei jedem Schlag konzentriert und mir bewusst, was ich da mache.“
Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Butterweck schon als Flechtwerkmeister. Der letzte Korbflechter hierzulande ist er aber nicht. Etwa 60 bis 70 Meister seiner Zunft gibt es in der Bundesrepublik, schätzt Butterweck. Zwei Orte in Deutschland gelten als Hochburgen des Flechthandwerks. Das erste Zentrum ist Lichtenfels in Oberfranken, dort gibt es ein Korbmachermuseum und Deutschlands einzige staatliche Berufsfachschule für Flechtwerkgestaltung, die eine dreijährige Ausbildung anbietet und im Sommer eine Flechtakademie veranstaltet. Das zweite Zentrum ist Dalhausen, Butterwecks Heimatort, in dem er seit nun 25 Jahren eine eigene Werkstatt betreibt.