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Suizid eines Elternteils : Was jungen Erwachsenen helfen kann, wenn Vater oder Mutter sich umbringen

Dass sie sich nicht von ihrer Mutter ver­abschieden konnte, belastet sie indessen nicht. Schließlich habe sie sich über viele Jahre hinweg in vielen kleinen Schritten immer wieder von ihr verabschiedet. „Zum Beispiel wie bewusst ich sie wahrgenommen habe in den letzten Jahren: Ich hab sie in den Arm genommen, sie gerochen, hatte immer im Hinterkopf, es könnte das letzte Mal sein.“

Nach dem Tod der Mutter hat es ihr auch sehr geholfen, wenn ihr Mann sie in den Arm nahm, oder sie Zeit mit ihm oder ihrem besten Freund verbrachte: „Zusammensitzen, reden und schweigen, zusammen musizieren.“ In der Tat würden Hinterbliebene in aller Regel besser mit einer solchen Tat fertig, wenn sie in ihrer Familie oder mit Freunden offen darüber sprechen können, sagt Medizinerin Birgit Wagner. Schlecht sei es, wenn Geldsorgen oder ein Umzug mit dem Suizid einhergingen. Und alles, was verschwiegen werde, belaste die Hinterbliebenen zusätzlich, wenn sie es dann doch irgendwann er­führen.

„Sie war die beste Mutter, die sie sein konnte“

Tröstlich könne indes sein, wenn man Wege findet, wie man dem Vater oder der Mutter nahe sein kann, so Wagner. Auch bei Antonia Goldschmidt ist das so. Das erste Mal wieder glücklich war sie, als sie nach dem Suizid ihrer Mutter in deren Garten stand und die Vögel sah, die zum Vogelhaus kamen. „Die hat sie so ge­liebt.“ In den Wo­chen nach ihrem Tod hat sie auch immer wieder an ihrer Kleidung gerochen: „So hatte ich sie noch ein Stück weit bei mir.“

Tatsächlich ist der Geruch ein starkes Medium, um Erinnerungen wachzu­halten. Nils Retzlaff war einige Jahre nach dem Tod seiner Mutter auf einer Ausstellung in einer alten Frankfurter Fa­brik. „Da malte jemand mit Öl, und wegen des Leinöls, mit dem Ölfarben verdünnt werden, roch es da wie zu Hause. Es hat mich körperlich gepackt“, be­richtet er. Noch tagelang habe er über diese Erfahrung nachgedacht. An­sonsten denkt er aber eher weniger an seine Mutter. Ab und zu hat er das Be­dürfnis, an ihr Grab zu fahren, um Antworten auf schwierige Fragen zu finden. Und manchmal werden Erinnerungen an sie beim Kochen wach: „Ich habe noch Kü­chengeräte von ihr, zum Beispiel einen Ausschaber für Apfelkerngehäuse.“

Ansonsten kann der Umgang mit dem, was Vater oder Mutter hinterlassen, aber auch schwierig sein. „Können wir Mutters Skizzen und Gemälde einfach wegwerfen?“, fragten sich Nils Retzlaff und seine Schwester. Und kamen überein: Nein, wir wollen diese Dinge als Schatz bewahren. Ei­nen Teil nahmen sie mit in ihre Studentenbuden in Düsseldorf und Berlin, ei­nen anderen lagerten sie ein. Aber was tun mit dem Stoffäffchen, mit dem die Mutter als Kind immer gespielt hatte? Was mit ihrem Reisepass, ihren Fotos? Erst nach und nach wird er sich davon trennen können, glaubt er.

Was dann bleiben kann, sind die Ge­danken an sie. Und die kann man kontrollieren. Antonia Goldschmidt trägt ih­re Mutter im Geiste immer bei sich und hält oft Zwiesprache mit ihr. „Sie war die beste Mutter, die sie sein konnte.“ Wenn sie sich erinnert, denkt sie jetzt immer öfter an die strahlend starke, lachende Frau, die ihre Mutter in ihrer Kindheit für sie war.


Hilfe bei Suizidgedanken

Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie – auch anonym – mit anderen Menschen über Ihre Gedanken sprechen können.

Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.

Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222.
Der Anruf bei der Telefonseelsorge ist nicht nur kostenfrei, er taucht auch nicht auf der Telefonrechnung auf, ebenso nicht im Einzelverbindungsnachweis.

Ebenfalls von der Telefonseelsorge kommt das Angebot eines Hilfe-Chats. Die Anmeldung erfolgt auf der Website der Telefonseelsorge. Den Chatraum kann man auch ohne vereinbarten Termin betreten. Sollte kein Berater frei sein, klappt es in jedem Fall mit einem gebuchten Termin.

Das dritte Angebot der Telefonseelsorge ist die Möglichkeit der E-Mail-Beratung. Auf der Seite der Telefonseelsorge melden Sie sich an und können Ihre Nachrichten schreiben und Antworten der Berater lesen. So taucht der E-Mail-Verkehr nicht in Ihren normalen Postfächern auf.

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