Kneipp im Selbstversuch : Erster Guss um halb 6
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Kneipp-Wanderung: Über Steine und durch kleine Bäche Bild: Angelika Bucerius
Knieguss, Spanischer Mantel, Sitzbad: Fünf Tage hat unsere Reporterin die Kneipp-Kur ausprobiert. Der größte Schock war nicht die kalte Dusche, sondern die Uhrzeit der ersten Anwendungen.
Wenn Kneipp-Kur nicht allein Wassertreten ist – was dann? Um das herauszufinden, fahre ich an den Ort, der wie kein anderer für Sebastian Kneipp und seine Therapie steht: nach Bad Wörishofen. Das Kurhotel Fontenay ist eines der traditionellen Häuser, in der die Kneipp-Therapie seit mehr als 30 Jahren authentisch angewendet wird.
Die erste eiskalte Dusche bekomme ich ohne Wasser und ohne Kälte, dafür aber auf einem Zettel: meinen Behandlungsplan. Da steht es schwarz auf weiß: erste Anwendung um 5.30 Uhr. Der zweite um 7 Uhr. Der erste Gedanke: Das werde ich noch auf eine christlichere Zeit verschieben. So viel Authentizität erscheint mir dann doch etwas zu viel des Guten. Doch der Chef des Hauses, Hubertus Holzbock, überzeugt mich innerhalb weniger Minuten, es zumindest am ersten Tag mit dem empfohlenen Kurbeginn zu versuchen. „Eine Kneipp-Kur, die erst um halb acht Uhr morgens oder später beginnt, ist keine richtige“, stellt der Kneippianer klar. Denn in den frühen Morgenstunden seien die inneren Organe besonders empfänglich für Reize, fügt er klärend hinzu.
Mit kalten Güssen gegen Burn-Out
Ähnlich wie Kneipp hat Holzbock persönlich die heilende Wirkung der Wasserkur erlebt, und es zu seiner Lebensaufgabe gemacht, anderen Menschen diese Form der natürlichen Heilkraft zu ermöglichen. Holzbock ist zwar kein Geistlicher oder Naturheilkundler wie Kneipp, dafür aber die gute Seele seines Hauses. Obwohl der heute 64-Jährige in Dillingen aufgewachsen ist – also an dem Ort, an dem Kneipp als Student seine Wasserkur begann, um sich von TBC zu heilen –, kam er nur durch Zufall zu dieser Therapieform. Als junger Hotelier mit 80-Stunden-Woche sei er an dem erkrankt, was man heute Burn-Out-Syndrom bezeichnet, erzählt Holzbock. Ein Freund habe sich ähnlich ausgelaugt und erschöpft gefühlt und eines Tages vorgeschlagen: Meine Alten fahren immer zur Kur nach Bad Wörishofen. Das kann nicht schlecht sein. So fuhren die beiden Kumpels zur Kneipp-Kur. Nach fünf Wochen habe er sich so gesund und gestärkt gefühlt wie seit Jahren nicht mehr, erinnert sich Holzbock. Das war 1977. Vier Jahre später ist er selbst Besitzer des Kneipp-Kurhotels Fontenay.
Wer könnte solcher Überzeugungskraft widerstehen? Ich lasse mich also darauf ein, den Empfehlungen zu folgen. Ganzkörperwaschung steht für den ersten frühen Morgen auf dem Programm. „Körperwaschungen gehören zu den mildesten Anwendungen“, erklärt der Kneipparzt und Vorsitzende der Ärztevereinigung von Bad Wörishofen, Dr. Peter Schneiderbanger. Auf Hochleistung werde der Organismus getrimmt, wenn die gesamte Haut – ausgespart wird immer die Kopfpartie – einem Kältereiz ausgesetzt wird. Das könne ein Ganzkörperguss, der Spanische Mantel oder ganz originalgetreu ein Tauchbad in eiskaltem Wasser sein, wie es bereits Sebastian Kneipp bei seiner Selbstheilung in der Donau angewendet hat. Dies sei nur für Gesunde und geübte Kneippianer geeignet, betont der Mediziner.
Wie funktioniert Kneipp?
Ob mild oder intensiv – alle äußerlich angewendeten Wasserkuren setzten an dem gleichen Ansatz für eine heilende Wirkung an. Sobald kaltes Wasser auf die warme Hautoberfläche komme, reagiere der Körper auf diesen Reiz, indem er dem Wärmeregulationszentrum im Zwischenhirn einen Wärmeverlust melde, erklärt der Mediziner. Daraufhin verengten sich die Blutgefäße. Um den Abfall in der körperlichen Betriebstemperatur auszugleichen, werde Blut in die Bereiche des Körpers geleitet, die dem Kältereiz ausgesetzt seien. Beim Knieguss sind dies beispielsweise die Beine und Füße, beim Armguss die Extremitäten von Schulter bis Fingerspitzen.