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Kirchenaustritt : Ein bemerkenswerter Brief

  • -Aktualisiert am

Über dem Bamberger Dom ist die Leuchtschrift „GOD“ (Gott) zu lesen. Bild: dpa

Dass unsere Autorin irgendwann aus der Kirche austreten würde, hatte sich lange abgezeichnet. Mit dem Besuch beim Standesamt hätte sie es gern dabei belassen – die katholische Kirche hatte ihr jedoch noch einiges zu sagen.

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          Im August vergangenen Jahres wartete ich im Standesamt einer schwäbischen Kleinstadt. Das Maß war voll. Wenige Tage zuvor hatte ich beschlossen, aus der katholischen Kirche auszutreten. Gerade mal 30 Minuten und 35 Euro später war ich – getauft, kommuniert, gefirmt – offiziell konfessionslos im Sinne des Steuerrechts. Darauf hatte mich die Beamtin extra hingewiesen: „Zu den kirchlichen Sachen kann ich Ihnen nichts sagen, hier geht’s nur darum, was wir dem Finanzamt melden“.

          Erste Spannungen zwischen mir und „den kirchlichen Sachen“ gab es schon in der Schule. Den Religionsunterricht am katholischen Gymnasium übernahm ein Kirchenmann, der die Zeit zwischen den ökumenischen Pflichtgottesdiensten damit verbrachte, uns zu erklären, warum das Christentum allen anderen Religionen absolut überlegen sei. Als das Thema Schwangerschaftsabbrüche auf dem Lehrplan stand, zeigte er uns eine halbstündige Ultraschallaufnahme einer Abtreibung. Daraufhin war ich ungefähr vier Monate lang eine überzeugte Abtreibungsgegnerin.

          Es hat ein „Gschmäckle“

          Erst später sollte ich herausfinden, dass wir einen Propagandafilm der katholischen Kirche gesehen hatten und meine (kurzlebige) Überzeugung auf Desinformation beruhte. Von diesem Moment an hinterfragte ich alles, was mir im Religionsunterricht beigebracht wurde. So auch, als uns erklärt wurde, Homosexualität sei eine Sünde, die Gott nicht gewollt habe.

          In den folgenden Jahren stellte ich fest, dass die katholische Kirche es mit der von ihr gebotenen Nächstenliebe nicht so genau nimmt. Die Berichte über Kindesmissbrauch, die Misshandlungen von Nonnen und die Ausgrenzung von queeren Menschen aus der Kirchengemeinde – das passte weder zu meinen christlichen noch zu meinen politischen Ansichten. Ich fordere ja keine Beliebigkeit – nur einen generellen Willen, die bestehenden Auslegungen zu reflektieren und zu erneuern.

          Je mehr über die jahrzehntelangen Vertuschungen von Missbrauchsfällen bekannt wurde, desto klarer wurde: Die Täter sind eingebettet in ein System, das sie schützt und das Opfer zum Schweigen bringt. Erst wurden Gutachten über Verfehlungen der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen unter Verschluss gehalten, dann entlasteten veröffentlichte Gutachten genau die Leute, die sie in Auftrag gegeben hatten. Wo ich aufgewachsen bin, sagt man dazu: Das hat ein „Gschmäckle“.

          Eine Entfremdung ist ein kontinuierlicher Prozess. Was den entscheidenden Ausschlag für meinen Besuch beim Standesamt gegeben hat, weiß ich nicht mehr genau. Jede Nachricht über neue Missbrauchsfälle, über abgelehnte Rücktritte trotz Fehlverhaltens, jede Weigerung, homosexuelle Paare zu segnen, hat dazu beigetragen. Natürlich ist so ein Austritt keine leichtfertige Entscheidung: Ich wägte vorher ab, überlegte, ob es nicht sinnvoller ist, wenn Reformen von innen vorangetrieben werden? Auf der anderen Seite sah ich jeden Tag, mit welch winzigen Schritten die Kirchenreformer vorankommen – wenn überhaupt. Ich glaube nicht daran, dass die Kirche sich reformieren wird – sie ist in ihren Strukturen zu stark verwuchert. Und so war ein Austritt für mich letztlich unabwendbar.

          Für das Finanzamt war ich ab dem Moment von der Kirchensteuer befreit und die Sache damit gegessen. Die katholische Kirche hatte mir jedoch noch so einiges zu sagen. Einige Wochen nach dem Austritt erhielt ich ein Schreiben des Pfarrers meiner Heimatgemeinde. Zu dem Zeitpunkt war ich dort so lange nicht mehr in einem Gottesdienst gewesen, dass mir zum Namen partout kein Gesicht einfallen wollte. Er drückte sein Bedauern aus, dann folgte der Satz: „Beiliegend finden Sie einen Brief, den wir Ihnen im Auftrag und in der Verantwortung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) zukommen lassen.“ Ein bemerkenswerter Satz. Der Pfarrer schien sich so weit wie möglich von dem Schreiben der DBK distanzieren zu wollen. Ein kluger Mann, dieser Pfarrer.

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