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Franz Mon: Wortbilder

Von SANDRA KEGEL

Was will uns der Dichter damit sagen? Diese acht Worte des Jahres geben Rätsel auf.

Franz Mon nimmt die Sprache beim Wort. Wer dem Begriffsartisten einmal zuhört, wie er mit Worten und ihren Bedeutungshöfen jongliert, wie er sie auf ihren Sinn, ihre Tonalität und Bildlichkeit hin abklopft, dem kann dabei schwindelig werden. An diesem Morgen zum Beispiel im Arbeitszimmer seines Frankfurter Hauses, diesem Labor des Experimentellen, beschäftigt ihn das Wort „verworren“. Heute selten verwendet, kommt es bei Goethe häufig vor, im „Faust“ oder in Gedichten wie „Aussöhnung“: „Trüb ist der Geist, verworren das Beginnen“.

Für Franz Mon ist „verworren“ das Adjektiv der Stunde. Kein anderer Begriff bringt für ihn so drastisch auf den Punkt, in welcher Welt wir leben, vom Brexit über die AfD bis zu Trump. Warum? „Weil verworren etwas anderes bedeutet als verwirrend“, meint Mon. „Verwirrt hieße ja, dass sich die Lage wieder entwirren ließe. Aber man kann nichts entworren. Das Entworrene ist ein Zustand, der unerreichbar bleibt.“

So überraschend und erhellend sind die Lesarten des Wortentfesselungskünstlers, der 1926 in Frankfurt geboren wurde und seit mehr als einem halben Jahrhundert der Sprache in all ihren Aspekten auf den Grund geht. Nicht zufällig heißt seine jüngste Essaysammlung, die der Fischer-Verlag zu seinem neunzigsten Geburtstag herausgebracht hat, „Sprache lebenslänglich“. Nicht nur als konkreter Dichter hat Mon ein kanonisches Werk geschaffen. Auch als bildender Künstler ist er ein virtuoser Sprachbeweger. Seine „Wortbilder“, an denen er seit 2008 arbeitet, zeigen seine Arbeit als eine Symbiose der Künste, von Typographie über Graphik bis zur Lyrik.

ALEPPO

Für uns hat Franz Mon aus acht Schlüsselbegriffen des Jahres 2016 neue Wortbilder erschaffen. Die Werke, die er jetzt, eins nach dem anderen, aus der Graphikmappe hervorholt, operieren an der Schnittstelle von Literatur und graphischer Kunst. Es sind kühn zusammengeballte Buchstaben, hinter denen sich erst auf den zweiten Blick Wörter zu erkennen geben. Auf den ersten Blick sind es fremde, exotisch anmutende Gebilde. Die Entschlüsselung lässt eine wohldurchdachte Anordnung erkennen - und einen ungeheuren Wortwitz.

ATTENTAT

Die Konstrukte aus Lettern, die Mon erst auf Papier, dann mithilfe der Grafikerin Christine Rasbernig am Computer neu und in verschiedenen Schriftarten zusammengesetzt hat, stehen in der Tradition der - und seiner - konkreten und visuellen Poesie. Was dabei herauskommt, sind autonome Anagramme, verrätselt und doch lesbar. Er selbst spricht von Ideogrammen.

EUROPA

Wenn Franz Mon Buchstaben als Artefakte betrachtet, dann wird die Schriftgeschichte bei ihm zur abenteuerlichen Wanderung durch die sinnliche Realität von Sprache. Bei diesem Gang durchs Alphabet zerlegt er die Buchstaben in ihre geometrischen Grundformen. Die Schönheit etwa des „R“ mit seiner Senkrechten, dem Halbmond und der Schräge wird offenkundig. Je nachdem, wie Mon sie arrangiert, führt das zu unterschiedlicher Wahrnehmung. Weil Papier, Format, Position und Schriftart die Orientierung beim Betrachter verändern. In jedem der acht Begriffe, die er für uns ausgewählt hat, steckt so eine eigene Geschichte: Integration, Menschenrecht, Sturzflut, Olympia, Flüchtling, Europa, Aleppo, Attentat.

Im Detail betrachtet, ziehen einem die Wortbilder den Boden unter den Füßen weg. In einem Wort wie „Sturzflut“ purzeln die Buchstaben in einen Abgrund, stehen kopfüber oder duellieren sich. Darin steckt eine Dynamik und Heftigkeit, die im Kontrast steht etwa zum prekären Dreieck des Wortes „Menschenrecht“. Für diesen Begriff hat er nur wenige, einander ähnelnde Schrifttypen gewählt. Die Form scheint stabil, aber gefährdet, das Chaos von „Sturzflut“ oder „Europa“ kann sich auch hier jederzeit ankündigen.

FLÜCHTLING

So oder ähnlich tastet sich der Betrachter durch die Wortbilder, und es ist längst nicht immer klar, auf welche Worte sie hinauslaufen. Man rätselt. Man ist verführt, mit den großen Lettern zu beginnen, was oft genug in die Irre führt. Man erkennt Schnittstellen zwischen Buchstaben, die manchmal verschmelzen, sich manchmal aber auch nur zart berühren.

Im künstlerischen Prozess lässt Franz Mon sich zunächst nicht von der Wortbedeutung steuern, auch wenn er sie natürlich nie ganz vergisst. Zu Beginn geht es ihm allein um die Buchstaben und ihre Korrespondenzen. Welche Sympathien gibt es unter ihnen, welche Magnetismen? Was hat miteinander zu tun, was ist sich fremd? So baut sich ein Wortbild allmählich auf, dessen Spannung im Wechselspiel zwischen Bedeutung und Autonomie der Buchstaben liegt. Anders als ein Gebrauchsgraphiker, der stets die Marke im Sinn hat, die er wirksam machen muss, spielt der Künstler mit der Vielfalt der Bedeutungen. „Nehmen Sie ein Wort wie Integration“, sagt er. „Was man da spürt, was man bejaht oder auch verneint, ist bei jedem Leser anders.“ Um diese Ambivalenzen geht es ihm.

INTEGRATION

Wie schon seine ersten Gedichte in den fünfziger Jahren, „Die Lüge ist der Pass des Grenzübertritts“ etwa, verhandeln die Wortbilder ein wesentliches Kriterium der konkreten Poesie. Nämlich Sprache nicht als Mittel, sondern als Material zu verwenden. Weil Texte nicht nur aus Wörtern und ihrer Bedeutung bestehen, sondern auch eine visuelle Struktur haben. Gerade die Wortbilder, die in einer Tradition vom Barock bis zum Expressionismus stehen, lassen den Kosmos eines Künstlers erkennen, der unter den Sprachspielern der Analytiker ist. Es war Wassily Kandinskys Schrift über „Das Geistige in der Kunst“, die dem jungen Franz Mon zur künstlerischen Initialzündung wurde und ihn das Isolieren von Wörtern lehrte.

OLYMPIA

Nach den bedrückenden Jahren des Zwangs während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft fand Mon, der mit bürgerlichem Namen Franz Löffelholz heißt, als Sechzehnjähriger von der Frankfurter Lessingschule weg als Flakhelfer eingezogen wurde und später in einem britischen Gefangenenlager landete, im Spiel mit Sprache die große Freiheit. Nach dem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie gab er zusammen mit Walter Höllerer und Manfred de la Motte 1960 die Lyrik-Anthologie „movens“ heraus, die eine ganze Generation junger Künstler und Autoren stimulieren sollte.

MENSCHENRECHT

Weil er die Kunst freihalten wollte von Verwertungsgedanken, arbeitete er als Verlagslektor und unterrichtete an Kunsthochschulen in Offenbach, Kassel und Karlsruhe. Auch in seinem einundneunzigsten Lebensjahr ist Franz Mon längst noch nicht fertig mit seinem Werk. Er ist ein aufmerksamer Beobachter, der mit den Lettern, Silben, Wörtern und Sätzen jongliert, die in der Luft liegen.

STURZFLUT

Über das Wort „verworren“ denkt er immer noch nach. „Wer sich die deutsche Vergangenheit vor Augen führt, mit Hitler, mit den Konzentrationslagern, mit den sechs Millionen ermordeten Juden, dem muss der erste Reflex von Angela Merkel richtig erscheinen, zu sagen, wir schaffen das, trotz der Probleme.“ Weil darin die historisch einmalige Gelegenheit liege, der Welt zu zeigen, dass wir Deutschen heute anders seien. Den Erfolg der Populisten, befeuert durch das Internet, hält Franz Mon deshalb für fatal, weil in deren Köpfen eben nicht Verwirrung herrsche - sondern Verworrenheit.

© Frank RöthPortrait von Franz Mon, deutscher Dichter der Konkreten Poesie, im Arbeitszimmer seines Wohnhauses in Frankfurt am Main.



Illustrationen: Franz Mon
Thema des Startbildes: Seele, 2016
Technische Unterstützung: Christine Rasbernig

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Quelle: F.A.Z.

Veröffentlicht: 15.12.2016 09:47 Uhr