Cyborgs : Noch Mensch, bald Maschine
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Das Cyborg-Dasein beginnt schon lange, bevor ein komplettes Skelett aus Stahl besteht. Bild: Science Picture Co. / Corbis
Behinderten Menschen wird mit eingepflanzten Computerchips oder intelligenten Implantaten geholfen. Für manche ist das mehr als Medizin. Die „Cyborgs“ arbeiten daran, ihre Körper mit der Technik zu verschmelzen.
Natürlich sei es gefährlich, an einem Chip im eigenen Kopf herumzubasteln. Hirnschäden könnten die Folge sein. Zerstörte Nerven beispielsweise oder Hirnblutungen. Enno Park sagt dennoch: „Wenn jemand ein Stück Technik in meinen Körper pflanzt, dann gehört es zu mir. Ich muss damit machen können, was ich will.“
Der 39 Jahre alte Programmierer hockt auf einem Sofa in der Ecke eines großen dunklen Raums, den nur einige Diskolichter beleuchten. Eine alte Arcade-Spielmaschine flimmert neben einer Bar vor sich hin. Die Wände sind zum Teil mit Metall verschlagen. Seit zehn Jahren treffen sich hier in der Berliner „C-Base“ Computer-Hacker, Künstler und Nerds aus dem ganzen Land, um in die Zukunft zu denken. Sie nennen die „Base“ auch das „Raumschiff unter Berlin“. Wer sich darin in eigener Sache versammeln will, sollte etwas Außergewöhnliches vorhaben. Und Enno Park hat genau das.
Von der Utopie zur Frage: Wann ist es so weit?
Das Stück Technik, von dem er redet, ist ein Cochlea Implantat (CI). Ein medizinisches High-Tech-Gerät, das ins Innenohr gesetzt wird, das dort zerstörte Hörnerven kurzschließen und Tonsignale direkt ins Gehirn leiten kann. Ein künstliches Gehör, mit dem Park nach 22 Jahren Taubheit wieder anfing zu hören. Der Berliner war immer dankbar für dieses Wunder der modernen Medizin. Genauso war er aber immer auch sicher, dass da noch mehr geht.
Er glaubt, wenn er Herr über die Technik in seinem Kopf wäre, wenn er die Chance hätte, sein Implantat zu hacken, dann könnte er schon bald Ultraschall hören wie ein Hund. Er könnte sein Gehör als Richtmikrofon einsetzen wie Superman oder ganz einfach den Bass herausdrehen, wenn ihm die Musik in einem Club zu laut wird. Allein die Baupläne des Chips fehlen ihm dazu. Hätte er sie, so glaubt er, würde die Technik nicht nur seine Behinderung beheben: Sie würde seinen Körper verbessern.
Park bezeichnet sich selbst als „Cyborg“. Als Mensch, der mit Technologie verschmolzen ist. Alle zwei Wochen kommt er deshalb in die C-Base, redet mit Besuchern, lädt Technik- und Programmierexperten ein. Die referieren dann über Themen wie „Gehirn-Interfaces“, „intelligente Prothetik“ oder erklären, wie man aus Körperströmen Klänge erzeugen kann. Die Vorträge sind gut besucht, der Begriff „Cyborg“ scheint sich in seiner mehr als fünfzigjährigen Geschichte gewandelt zu haben. Von einer Science-Fiction-Utopie hin zu einer einfachen Frage: Wann ist es endlich so weit?
Die Fähigkeiten des Menschen erweitern
Als das Wort „Cyborg“ 1960 zum ersten Mal benutzt wurde, stand die Menschheit gerade vor dem Aufbruch in das große Nichts des Universums. Das Leben auf einem anderen Planeten schien nur einen Countdown entfernt zu sein. Vor diesem Hintergrund schrieben Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline ihren Aufsatz „Cyborgs and Space“. Übersetzbar wäre der Begriff „Cyborg“, von dem Kline zu Beginn sagte, er höre sich an wie eine Stadt in Dänemark, wohl am einfachsten mit Mensch-Maschine.
In dem Aufsatz schreiben die beiden Forscher, dass der Mensch sich an seine Umwelt anpassen muss. Wenn diese Umwelt aber nicht mehr die Erde ist, sondern der Weltraum, dann müsse die Menschheit Wege finden, auch hier zu überleben. Die Autoren schlugen deshalb unter anderem vor, einen jahrelangen Schlaf zu ermöglichen, oder gleich ganz auf Lungenatmung zu verzichten: In den Körper verpflanzte Technik sollte das möglich machen.
Dieses durch und durch phantastische Beispiel zeigt, um was es in der Cyborg-Debatte geht. Es ist die Frage, wie der Mensch seine Fähigkeiten erweitern kann, um einerseits die Grenze zwischen Mensch und Maschine aufzuheben und andererseits befähigt zu werden, die menschliche Norm zu überbieten. Dinge tun zu können, die für andere Menschen unmöglich bleiben.