Beauty daheim : Über das Schönmachen in Corona-Zeiten
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Geschminkt oder ungeschminkt? Zuhause ist oft ungeschminkt bequemer. Bild: Getty
Wie halten Sie es in Corona-Zeiten mit dem Zurechtmachen? Unsere Autorinnen haben zwei Haltungen: Die eine vermisst das Schönmachen. Die andere ist froh, es los zu sein.
Wenn ich meinen Kleiderschrank öffne, spüre ich einen Hauch von Wehmut: Da hängt das Jäckchen mit den goldenen Knöpfen aus New York. Mein aktuelles Lieblingsshirt, dieses helle zarte Flatterding aus Jersey und Seide, das man mit der Hand waschen muss. Das schlichte blaue Kleid, das immer sitzt, selbst wenn man es gerade erst aus dem Koffer gezogen hat. Mit grellem Nagellack sieht es noch besser aus. Meine Röcke! Ein bisschen fühle ich mich wie beim Durchklicken der letzten Urlaubsfotos oder wie bei dem sehnsüchtigen Gedanken an einen Abend mit Freundinnen in einer Bar. Ich vermisse es, mich schick zu machen.
Mode hat mich nie groß interessiert. Von Gucci, Prada oder Louis Vuitton besitze ich nicht einmal eine Geldbörse. Als die Skinny-Jeans kam, habe ich mindestens weitere zwei Jahre ausgestellte Modelle getragen. Und jetzt kann ich mich partout nicht an diese High-Waist-Dinger gewöhnen. Abgesehen davon ist es nicht so, dass ich im Homeoffice verwahrlosen würde. Ich trage bequeme, aber okay sitzende Hosen und Pullover, die ich mag. Morgens greife ich sogar meistens zur Wimperntusche.
Erst habe ich gar nicht gemerkt, dass mir etwas fehlt. Dann muss ich in den Baumarkt und ertappe mich dabei, wie ich in Stiefeletten mit Absatz und den neuen Frühlingsmantel schlüpfe, den ich viel zu früh im Februar schon gekauft habe und der seitdem an der Garderobe hängt. Dazu knalligen Lippenstift. Völlig absurd, derartig aufgemotzt ein paar mickrige Balkonpflanzen zur Kasse zu schieben. Aber ich spüre, wie sich der Rücken streckt, weil ich anders laufe als in Hausschuhen oder Wollsocken. Brust raus, Schultern zurück, wie bei den Models auf dem Laufsteg. Ist der Mantel nicht herrlich? Ich fühle mich gut.
Vor Corona dachte ich, Mode sei etwas Äußerliches, eine bewusste Entscheidung, wie ich zu welchem Anlass meine Hülle gestalte und gesehen werden will. Jetzt stelle ich fest: Es geht mir nicht um die – irritierten – Blicke der Heimwerker und Gartenfreunde. Es geht um mich. Meine äußere Form wirkt nach innen. Und offenbar fehlt mir genau das. Schließlich schlägt mir diese Krise manchmal ziemlich aufs Gemüt. Meine Welt ist so klein geworden. Wohnung – Garten. Garten – Wohnung. Ganze Wochen, wie Brei. Zwischendrin bröselt mein Selbstgefühl, meine Stimmung wird matschig. Mein Mantel, mein Lippenstift, meine Stiefeletten hingegen geben mir Halt. Sie sind ein Teil von mir und erinnern mich daran, wie ich vor Corona war. Wer ich natürlich noch immer bin. Was ich wieder sein werde, wenn dieser ganze Mist einmal vorüber ist. Für das nächste Sonntagsfrühstück schlage ich meiner Familie vor, dass wir uns alle mal herausputzen. Mehr Lippenstift. Öfter Schuhe mit Absatz. Und mein tolles blaues Kleid ist vermutlich auch zu Hause am Schreibtisch ein Hit. Julia Schaaf
Abgeschminkt
Ich habe mich seit sechs Wochen und zwei Tagen nicht geschminkt. Woher ich das so genau weiß? Am 13. März hatte ich meinen ersten Tag im Homeoffice, und seither war ich nicht arbeiten oder feiern oder aus. Zu Hause schminke ich mich nicht mehr. Für viele mag das nichts Besonderes sein, und auch ich bin keine Person, die sich Tonnen von Make-up ins Gesicht schmiert. Aber ein bisschen eben doch.
Ich liebe roten Lippenstift, nicht nur, weil er toll aussieht, sondern weil er für mich Selbstbestimmtheit bedeutet. Er steht in langer feministischer Tradition: Als die Suffragetten 1912 durch New York City zogen und für die Rechte der Frauen demonstrierten, trugen sie signalroten Lippenstift.
Eigentlich, und das ist mir erst jetzt aufgefallen, bin ich fast immer geschminkt. Abends schaffe ich es meist nicht, mich abzuschminken, weil ich müde bin oder es spät ist oder beides. Am nächsten Tag kleben die Schminkreste dann noch in meinem Gesicht herum, ich dusche sie ab, so gut es geht – und lege wieder drüber. Ungeschminkt anschauen muss ich mich nicht lange und will ich ehrlich gesagt auch gar nicht. Ich hab mich selbst tatsächlich selten überhaupt komplett ungeschminkt gesehen. Und mich so daran gewöhnt, so auszusehen, wie ich es geschminkt tue, dass ich das als gegeben angenommen habe. Als Realität. Eine Realität, die ich allerdings selbst geschaffen habe. Wie ich aussehe, habe ich immer mitbestimmt: ein bisschen, wie Menschen bei Instagram ein Bild von sich schaffen. Wenn man sie dann mal im Bewegtbild oder ohne zehntausend Filter sieht, ist es, als sehe man einen anderen Menschen. Ein bisschen so habe ich mich in den ersten ungeschminkten Tagen gefühlt.
Ungeschminkt zu sein, und das klingt vielleicht etwas übertrieben, ist für mich fast zu einer Art transzendentaler Erfahrung geworden. Wenn ich morgens in den Spiegel gucke, stutze ich oft. Nicht weil ich besonders schön oder besonders hässlich bin, sondern weil ich einfach bin. „So sehe ich also aus“, denke ich manchmal; ein bisschen irre, ich weiß. Es führt aber nicht zu eingehender Selbstbeobachtung meinerseits, falls Sie das denken. Im Gegenteil: Oft habe ich wieder vergessen, dass ich mich ja nicht mehr schminke, und zucke kurz überrascht zusammen, wenn mein Blick zufällig den einen Spiegel in unserer Wohnung streift. Ach ja, so sehe ich ja aus. Stimmt. Nicht mit langen geschwungenen Wimpern, sondern mit hellen Augen, die ich schön finde, obwohl die Wimpern jetzt nicht mal annähernd so dicht sind wie getuscht. Nicht mit dunkelroten Lippen, sondern mit einem kleinen, blassen Mund. Und mit winzigen Flecken, Mini-Sommersprossen, auf der Nase, die ein bisschen Creme oder Make-up sonst leicht verdecken. Die Augenringe sind ein bisschen blasser geworden, dank Homeoffice. Und ich, ich habe das Gefühl, mich wiedererkannt zu haben, mich wieder besser zu kennen, mich wiederzusehen. Ganz ungefiltert. Einfach so. Johanna Dürrholz