Alter, was geht? (3) : Lektion in klarer Kante
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Zuerst einmal muss man sauber ein A hinbekommen Bild: Jan-Hendrik Holst
Sprayer sind anarchisch, cool - und jung. Doch die Kunst des Graffito kann man auch mit 42 noch lernen. Oder? Teil 3 der Serie „Alter, was geht?“
In Kunst bin ich eigentlich immer ganz gut gewesen. Vor allem zeichnete ich gern: Auf Schulheften und Arbeitsblättern verteilte ich Legionen lustiger Comic-Schweinchen. Schweine, wohl um mich abzugrenzen von den seinerzeit inflationär auftretenden Ottifanten, kennt die noch einer? Meine Schweine sahen ähnlich aus, nur mit kürzerem Rüssel.
Andererseits fuhr ich in Kunst die mieseste Zeugnisnote meiner Oberstufenzeit ein. Einen Gutteil des Unterrichts hatte ich damit verbracht, mit einem Mitschüler selbstgekritzelte Bildchen auszutauschen, auf denen unserem rauschebärtigen Kunstlehrer - wie soll ich sagen - nicht sehr angenehme Dinge zustießen, was dem guten Mann vermutlich nicht verborgen blieb. Und die Aufgabe, eine Lampe zu designen, löste ich mit einem Kunstlehrerkopf aus Ton, in den man eine Glühbirne stecken konnte; in künstlerischer Freiheit plazierte ich eine Warze auf der Lehrernase. In jenem Halbjahr bekam ich in Kunst eine Vier minus. Wäre ich mal besser bei den Schweinen geblieben.
Jedenfalls fühle ich mich diesmal einigermaßen gewappnet für die neue Aufgabe, die ich mir gestellt habe: im fortgeschrittenen Alter von 42 das Graffiti-Sprühen zu erlernen - und einmal umweht zu werden von jenem Hauch Anarchie und Coolness, der Schweinebildchenkritzlern gewöhnlich verwehrt bleibt. Die allerorts ans Mauerwerk geschmierten Namenszüge, „Tags“ genannt, sind eh keine Kunst, und ein halbwegs passables Wandbild sollte ich auch hinbekommen. Glaube ich. Und mache mich auf zur Frankfurter Naxoshalle, wo jeden Mittwochnachmittag der Jugendladen Bornheim mit seinem „Offenen Atelier“ Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene von der Straße oder vom Fernseher weglockt. Oder, wie in meinem Fall, vom Bürostuhl, denn das Atelier ist auch offen für einen wie mich.
Zu Beginn ein Buchstabe
Und einladend ist es wortwörtlich hier, denn zuerst gibt’s im Hallencafé gegrillte Hamburger für alle. Eine hübsch bunte Mischung aus jüngeren und älteren, mal mehr, mal weniger gepiercten Menschen mampft und fachsimpelt miteinander: „Die geilste Farbe ist echt Montana White, die klebt total an den Händen.“ Graffiti-Farben, das bestätigt sich, als wir zum Sprühen in den Hof gehen, tragen hippe Namen wie Baby Blue, Snow White oder Shock Red. Welche Farbe aus der Dose kommt, zeigt der Donut auf dem Cap, also der Farbring an der Düse, die wiederum, je nach Dicke ihres Strahls, skinny oder fat daherkommt. Graffiti-Grundkurs, erste Lektion: Englisch.
Und noch ein paar andere Dinge gilt es zu lernen, bevor ich die weiße Leinwand vor mir mit Farbe benetzen darf. „Beim Draufsetzen das Cap vom Körper weghalten“, rät mein Lehrer, der langjährige Sprayer Bo, „und die Windrichtung beachten.“ Vorm Sprühen die Dose ordentlich schütteln, und die Caps öfter mal wechseln, denn die verstopfen schnell. Dass ich Gummihandschuhe und Mundschutz überziehen soll, schwächt das anarchisch-coole Graffiti-Gefühl etwas ab. Der Sprayer auf der Straße, bilde ich mir ein, trägt das alles nicht, aber der hat dann ja vielleicht ein Haut- und Lungenleiden.
Zu Beginn soll es ein Buchstabe sein, wünscht Bo. Ich sprühe, weil mir das als Erstes einfällt, ein A. Man kann es erkennen, aber mehr Gutes lässt sich darüber nicht sagen. „Oben saubere Kante, unten verschwommen“, urteilt Bo. „Du musst die Dose mitführen.“ Ich ziehe die Kanten nach, mit viel zu viel Farbe, ein Rinnsal läuft über die Leinwand. „Das ist wie mit der Kupplung beim Auto: Du musst ein Gefühl dafür kriegen, ab wann die Farbe rauskommt“, tröstet Bo. Blöd, dass ich seit zwanzig Jahren keine Kupplung mehr getreten habe, ich fahre Automatik.