Wiederentdecktes Accessoire : Von wegen alter Hut
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Damals so selbstverständlich, wie heute Strümpfe zu tragen: Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann 1942 in „Casablanca“. Bild: AP
Lange galten Fedoras, Fascinators und Panama-Modelle als so altbacken wie ein Handkuss. Jetzt spielen immer mehr junge Frauen und Männer mit dem Gedanken, sich einen Hut zuzulegen.
Ich schau dir in die Augen, Kleines“ – mit diesen vielzitierten Worten verabschiedet Humphrey Bogart alias Richard seine geliebte Ilsa, gespielt von Ingrid Bergman, in der legendären Flughafenszene des Kultfilms „Casablanca“. Beide tragen, so wie auch alle anderen Darsteller, einen Hut. 1942, im Entstehungsjahr von „Casablanca“, war das so selbstverständlich, wie Strümpfe zu tragen. Die Kopfbedeckung war ein unverzichtbarer Bestandteil der Garderobe für eine Dame, ebenso wie Schirm und Handschuhe. Auch der Herr ging bis in die fünfziger Jahre nie „oben ohne“ aus dem Haus. Und anders als heute wurde der Hut auf keinen Fall als Accessoire gehandelt, um damit ein modisches Statement zu setzen. Der Hut war ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand.
Doch ab den sechziger Jahren fiel der Hut in Ungnade. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel erwirtschaftete die Hutbranche Anfang der fünfziger Jahre noch 125 Millionen Dollar. Schon 1960 hatte sich der Umsatz halbiert. Auch in Deutschland mussten zwischen 1968 und 1976 fast 40 Prozent aller Hutfabriken ihre Produktion einstellen. Von den rund 90 bundesdeutschen Hutfabriken, die es Anfang der sechziger Jahre noch gab, hat nur eine Handvoll überlebt.
Gegen des Hut als Machtsymbol
Der Alltagshut hatte ausgedient und galt als so antiquiert wie ein Handkuss. Warum, darüber sind sich die Bekleidungshistoriker nicht ganz einig, die möglichen Gründe sind zahlreich: Bei Frauen verdrängten zum einen toupierte Frisuren mit viel Volumen im Stil der glamourösen persischen Kaiserin Farah Diba den Kopfputz, wie der Hut bis ins 20. Jahrhundert hieß. Hinzu kam die rasante Verbreitung schnittiger Autos, die mit niedrigeren Dächern ausgestattet waren als die Modelle der Vierziger. Auch so wurden Hüte zunehmend unpraktisch. Stattdessen bevorzugte man Mützen, ehemals die Kopfbedeckung der Arbeiterklasse, die zusammenzuknautschen waren.
Der ungezwungene, sportliche „New American Look“ kam in Mode, wie ihn auch der beliebte Präsident John F. Kennedy zum Leidwesen der schwächelnden Hutindustrie propagierte. Der Mantel wurde gegen die Outdoorjacke getauscht, und der Schutz vor Sonne, Regen und Wind, vielleicht auch vor entblößenden Blicken auf lichtes Haupthaar, wurde besonders seit den Achtzigern von Baseballkappen, Bandanas, Beanies – eine Art Pudelmütze ohne Bommel - und Zipfelmützen übernommen. „Einen edlen Bogart zieht man nicht zur Schoeffel-Funktionsjacke an“, sagt Alexander Breiter, der in der fünften Familiengeneration das Hutunternehmen Breiter leitet, darunter das größte Huthaus Europas in der Münchner Innenstadt.
Doch der vielleicht wichtigste Grund für den Niedergang der Hutkultur: Ein Hut ist seit jeher ein Symbol für Macht, so wie der Bart für Männlichkeit steht. Ein Hut verleiht dem Träger im wahrsten Sinne Größe, denn er schummelt zusätzliche Zentimeter hinzu. Schon im ägyptischen Altertum waren Kopfbedeckungen Herrschern, Priestern und Göttern vorbehalten. Auch als sie sich im Mittelalter als allgemeiner Bestandteil der Kleidung durchsetzten, behielten sie eine wichtige Symbolkraft: Hüte zeigten Standeszugehörigkeit, waren Revolutionsutensil oder Zeichen der Ausgrenzung. In der Nachkriegszeit galten Hüte als Abzeichen des verhassten Establishments und des Militärs. Die antiautoritäre Jugend der 68er-Bewegung wollte nicht aussehen wie die reaktionären Väter: Die Gedanken sollten frei fliegen und ebenso das Haar. „Das ist unsere verlorene Generation“, sagt Hutexperte Breiter. „Deren Kinder wiederum, die 25 bis 50-Jährigen, entdecken den Hut heute als polarisierendes Modestatement. Die Renaissance des Hutes wurde immer wieder ausgerufen, aber erst seit den vergangenen zwei Jahren findet sie auch wirklich statt.“