Moderne Betriebe : Wo das Bäckereihandwerk neu auflebt
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„Allein von 2018 auf 2019 sind Umsätze von Backwaren um 3,7 Prozent gestiegen. Auch die Zahl der Verkaufsstellen geht nach oben.“ Und dann zählt er Beispiele für allerlei Bäckerei-Neugründungen in den letzten fünf Jahren auf: Alex Onasch mit „prôt“ in Köln, Max Kugel mit „da wo’s nur Brot gibt“ in Bonn, Julius Brantner mit „Brothandwerk“ in München, Joona Hellweg mit „Joonas Brotbude“ in Bremen. Gibt es keine Frauen? Doch, gibt es: Zum Beispiel Christa Lutum mit „Christa Lutum Bäckermeisterin“ in Berlin.
Kütscher erklärt: „Das zieht sich quer durch die Republik.“ Überwiegend junge Menschen, die seine Akademie passiert und mit unternehmerischem Vorwärtsdrang die Idee des Bäckerhandwerks mit neuem Leben gefüllt haben. Das heißt im Umkehrschluss: Ein Mann wie Moti Barac steht repräsentativ für eine neue Seite eines alten Handwerks, die eher den Gedanken an eine Renaissance des handwerklichen Bäckereiwesens nahelegt. Bereits in seinem kleinen Laden lassen sich all die Kennzeichen entdecken, die die Erfolgsaussichten eines modern geführten Betriebs offensichtlich rosig färben.
Neue Ideen für das Handwerk
Erstens: Mitten in der Nacht aufstehen ist kein Dogma mehr. Moti Barac fängt erst um sechs Uhr mit dem Backen an. Das reicht für eine Stadtkundschaft, in der sich in den letzten zwanzig Jahren die Lebens- und Konsumgewohnheiten spürbar gewandelt haben. „Wir stellen schon seit längerem eine Verschiebung der Konsumbedürfnisse fest“, erläutert Kütscher. „Auch beim Bedarf an frischem Brot und Brötchen, der sich viel stärker auf den Abend verlagert, auf den Nachhauseweg.“ Am stärksten spiegelt diese Entwicklung das Geschäft von Sebastian Däuwels „Brotpuristen“ in Speyer, bei dem es erst ab 14.30 Uhr frisch Gebackenes gibt.
Zweitens: Ein schmales Sortiment. Bei „Morcolade“ sind es gerade mal zwei Brote und vier Brötchensorten. „Die Klientel wird dadurch gezielt angesprochen und nicht überfordert“, sagt Kütscher. „Und es gibt kein ‚altes‘ Brot mehr. Da hängt dann halt das Schild ‚Ausverkauft‘.“
Drittens: Transparenz. Man kann durch eine andere Raumorganisation beim Backen zusehen. Wie bei „Morcolade“ in Frankfurt. Die Backstube verfügt über ein großes Schaufenster zur Straße hin. „Das kommt beim jungen Publikum sehr gut an und schafft das, was heute ein unverzichtbarer Verkaufsfaktor ist, nämlich Vertrauen“, so Kütscher. „Auch weil die Person des Bäckers als Marke erkennbar ist. Man kauft kein anonymes Brot.“
Viertens: Spezialitäten. Moti Barac verkauft seine „Tel-Aviv-Brötchen“, andere backen Brote mit Cranberries, wieder andere setzen auf Urgetreide. Dennis Aukilli, noch einer aus dieser Gründergeneration, hat, ebenfalls in Frankfurt, vor zwei Jahren mit „mehlwassersalz“ einen kleinen Coup gelandet. Der Name ist hier Programm, er backt Brote auf der einfachsten Basis und betreibt das entsprechende Marketing. Womit ein fünfter Punkt aufscheint: Social Media.
Der Münchner Brothandwerker Julius Brantner stellt auf Instagram seine einzelnen Backwaren mit kurzem Text vor: Die Handsemmeln sind „flaumig und weich durch das Einschlagen per Hand“. „Morcolade“ und „Die Brotpuristen“ setzen dagegen mehr auf die Kraft des Bildes ohne viel Textinhalt: eine strahlende Crew oder ein gut in Szene gesetztes Produkt im Feed, ein Adventsgruß mit frisch gebackenem Christstollen in der Story. Das spricht gerade das junge Publikum an und macht die Vermarktung über die sozialen Medien zu einer so günstigen wie effektiven Methode.