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Convenience Food : Schnell ausgepackt und schön angerichtet?

  • -Aktualisiert am

Immer beliebter in deutschen Küchen: vorgefertigtes Essen Bild: StockFood

Convenience war in der Gastronomie lange eines der Unwörter schlechthin. Doch es spricht einiges dafür, dass in der Restaurantküche nicht mehr allzu heiß gekocht wird.

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          Hunderte hellrote, rundgepresste Rinderhackrohlinge laufen über das Fließband in einer der Fertigungshallen von „Salomon Foodworld“ in Großostheim. Sie sind auf dem Weg in die Frostung. Von dort wandern sie vakuumiert in die bereitstehenden Kartons und von hier aus ins ganze Land, um in der Gastronomie zu fertigen Burgergerichten weiterverarbeitet zu werden. Bei einer Produktion von einer Million Buletten täglich kann man sich vorstellen, dass ganz schön viele Deutsche Burgerfleisch von „Salomon“ auf dem Teller haben. Denn die Gastronomie, vom Bäckerei-Imbiss bis zum gutbürgerlichen Restaurant, greift nun mal gerne zu Convenience.

          Convenience (englisch für Bequemlichkeit) ist nach wie vor ein Unwort im gastronomischen Kontext. Klar, bezeichnet es doch genau jenes Segment einer Mahlzeit, das nicht mehr in der Restaurantküche selbst hergestellt wird, sondern vorgefertigt ist. Und von diesen Elementen gibt es immer mehr, während gegenüber dem Gast hartnäckig der Anschein gewahrt wird, dass hinten in der Küche die Köchin die Rouladen immer noch selbst klopft, füllt und brät und nebenbei die Kartoffeln für die Knödel reibt, während das natürlich ebenfalls handgeriebene Rotkraut auf dem Herd vor sich hin köchelt.

          Doch das alles ist aus vielerlei Gründen längst Geschichte. Man sollte vielleicht bei dem oft beklagten Schwund von ausgebildeten Köchen anfangen: Niemand in der Szene bezweifelt den unmittelbaren Zusammenhang zwischen fehlendem Fachpersonal und dem verstärkten Einsatz von vorgefertigten Speisen in den gastronomischen Betrieben.

          Hinzu kommt die Abwanderung gelernter Kräfte in die Convenience-Unternehmen selbst. Dort locken schließlich geregelte, familienfreundliche Arbeitszeiten sowie die Befreiung vom Druck der heißen Restaurantküche. „Wenn wir diese Köche akquirieren, dann entsteht ja an anderer Stelle ein Vakuum“, sagt Michael Frank vom Convenience-Unternehmen „Nykke und Kokki“ in Frankfurt. Und fügt hinzu: „Aber das heißt ja nicht, dass das der Tod der Kreativität sein muss.“

          Gerade große Hotels greifen gerne zu Convenience

          Was er damit meint? Convenience ist nicht gleich Convenience, in der Branche spricht man von unterschiedlichen Fertigungstiefen. Anspruchsvolle Convenience-Produzenten berücksichtigen zum Beispiel die individuellen Wünsche der Gastronomen und eröffnen ihnen eigene Gestaltungsspielräume. Das ist eine Entwicklung, die es den Restaurantbetreibern erlauben kann, am Personal zu sparen. „Man kann Gastronomie allein mit ungelernten Köchen in einer gewissen Qualität betreiben. Wie man ein Steak brät, lässt sich sehr schnell lernen“, sagt etwa der ausgebildete Koch und Foodstylist Andreas Neubauer. „Und bei allem anderen helfen die Convenience-Produkte.“

          Saucen, Fonds und Jus beispielsweise würden selbst in Mittelklasse-Restaurants kaum noch selbstgemacht. Was kein Nachteil sein muss. Gegen Rotkraut aus der Dose, auch gegen Klöße aus vorproduzierter Teigmasse, die dann nur noch geformt werden muss, sei nichts einzuwenden. Auch bei Pommes frites wäre es heute fast schon übertrieben, die Kartoffeln selbst zu schneiden. Und bei den Desserts sieht Neubauer sowieso die Fertigprodukte vorne. „Wenn schon kaum noch Köche in der Küche stehen, dann erst recht nicht Patissiers.“

          Die Zeiten sind vorbei, in denen über Convenience grundsätzlich eine Wolke des Makels hing. Convenience-Unternehmen wie „Block Menü“, „Sander Gourmet“ oder „Achenbach Delikatessen Manufaktur“ stehen mit ihren Produkten für eine hohe handwerkliche Qualität. Und ihr Angebot ist von der Linsenlasagne für den Vegetarier bis hin zum feinsten Stück Fleisch aus Übersee weit gefächert. Auch komplette Mahlzeiten liefern die Hersteller.

          Gerade die großen Hotels mit ihren riesigen Frühstücksbüffets greifen gerne zu Convenience. Dort stehen nämlich auch nicht mehr die Köche und Gehilfen um vier Uhr früh in der Küche, um Obst zu schneiden und Porridge zu rühren. Ihnen kommt zum Beispiel die Frische-Manufaktur „Sander“ entgegen, die verschiedene Varianten von Obstsalaten im Programm hat. Oder Grapefruit – direkt praktisch in Scheiben geschnitten. Einfach raus aus der Verpackung, schön anrichten und ab aufs Büffet. Ein Bircher-Müsli oder das Rote-Beeren-Müsli? Alles lieferbar im 3-Kilo-Eimer – und dies – so wirbt „Sander“ – ohne jegliche Konservierungs- und Zusatzstoffe.

          Für zwischendurch - Fertigessen aus dem Supermarkt.
          Für zwischendurch - Fertigessen aus dem Supermarkt. : Bild: AFP

          Bei „Salomon Foodworld“ gibt es sogar „Homemade style“-Burger und Schnitzel, bei denen die Fleischrohlinge maschinell so gepresst werden, dass sie an den Rändern ausfransen. Schön unregelmäßig das alles. Wer sollte am Tisch im Restaurant auf die Idee kommen, dass sie nicht eigenhändig zubereitet wurden? Aus Marketingsicht ist das ein genialer Coup. „Es muss am Ende eine Handwerklichkeit im Produkt feststellbar sein, sonst hat der Gastronom keine Chance, seinen Gast zu begeistern“, verteidigt Jochen Kramer, Marketingleiter bei „Salomon“, das industrielle Foodstyling.

          Rein geschmacklich überzeugt das panierte Schnitzel. Das Fleisch ist wirklich schön dünn, zart und die Panade knusprig. Und doch gibt es einen Unterschied zur Schnitzel-Kunst der gehobenen Kochschule. Die Panade ist nicht fluffig, nicht wellig, sondern sie klebt eng am Fleisch. Aber ein solches Convenience-Schnitzel bietet dem Gastronomen einen unschätzbaren Vorteil: Er wird immer auf der sicheren Seite sein. Seine Schnitzel sind ständig und in gleichbleibender Qualität verfügbar sowie hygienisch garantiert einwandfrei. Normen, die eine kompetente, gut ausgebildete Küchenmannschaft sicherlich auch einhalten kann. Aber wenn die nicht mehr zur Verfügung steht?

          Die wichtige Frage nach der Transparenz

          „Wir sind nichts anderes als eine externe Vorbereitungsküche, ein Freelancer, der die Vorarbeit leistet. Und von unserer Küche geben wir es dann in die Küche des Gastronomen. Den ersten Schritt hat er quasi ausgelagert“, beschreibt Jochen Kramer von „Salomon“ den Stellenwert modern geführter Convenience-Unternehmen. Das ist eine pragmatisch-nüchterne Sichtweise. Aber es gibt noch eine andere Perspektive. Bei vorgefertigtem und dann regeneriertem Essen wird es in der Regel einen Verlust an Frische, an Aromen, an geschmacklicher Tiefe geben. Er mag mitunter klein sein, aber immerhin.

          Und dann ist da ja noch die wichtige Frage nach der Transparenz. Kein Lokal wird auf der Speisekarte etwa vermerken: „Lieber Gast, das panierte Schnitzel beziehen wir von ‚Salomon‘, die Ochsenbäckchen in Rotweinsauce von ‚Achenbach‘ und die Mousse au Chocolat von ‚Block Menü‘.“ Wird der Gast also nicht ständig getäuscht? Ein Burger, der wie hausgemacht aussieht, aber dennoch industriell gefertigt ist, bleibt ja ein industriell gefertigter Burger. Und apropos hausgemacht: Der Begriff ist gesetzlich nicht geschützt. Ein Gastronom kann also auf seine Karte das Wörtchen „hausgemacht“ schreiben, ganz egal, ob der Kartoffelsalat nun in seinen eigenen vier Wänden produziert wurde oder in der Fabrik. Muss der Gast also davon ausgehen, dass er regelmäßig an der Nase herumgeführt wird? Wahrscheinlich schon.

          Richtig heikel ist für den Koch und Foodstylisten Andreas Neubauer der allgemeine Umgang mit der Sauce hollandaise, wie sie in der laufenden Spargelsaison jetzt wieder in Massen auf die Teller gegossen wird – und zwar überdurchschnittlich häufig aus der Packung. „Das ist für mich ein abscheuliches Beispiel. Diese Hollandaise aus dem Tetra-Pack, die nun gar nichts mehr mit einer echten Hollandaise zu tun hat. Das ist wirklich grenzwertig.“ Viele Gäste würden nur noch diese Variante kennen, „die wissen gar nicht mehr, wie eine echte Hollandaise gemacht wird und vor allem schmeckt.“

          Warum wird dann aber bloß so viel Geheimniskrämerei betrieben? Denn wie man es auch dreht und wendet, ein fader Beigeschmack bleibt, solange mit verdeckten Karten gespielt wird. Wäre es denn so ehrenrührig, wenn Restaurants ihre Quellen offenlegten, sofern diese vertrauenswürdig sind? Dass sie das nicht tun, hängt wohl damit zusammen, „dass Convenience einen schlechten Ruf aus dem Knorr/Maggi-Zeitalter hat“, vermutet Neubauer.

          Jedes Pauschalurteil verbietet sich

          Der anspruchsvollere Gast hat eigentlich nur eine Möglichkeit, Convenience zu umgehen: Er sollte Spitzenrestaurants besuchen. „Nirgendwo wird noch so handwerklich top gearbeitet wie in der Sternegastronomie, weil dort die berufliche Ehre, das Handwerksethos noch am stärksten ausgeprägt ist“, ist sich Neubauer sicher.

          Muss der „Normalesser“ also dann alle seine Hoffnung fahren lassen? Nein, jedes Pauschalurteil verbietet sich. Denn manchmal findet man sein Glück ausgerechnet dort, wo man es schon gar nicht mehr erwartet. Das belegt eine Stippvisite in einem zufällig ausgewählten Burger-Lokal in Aschaffenburg. Im „Aschaffenburger“ wird regionales Fleisch in der eigenen Küche zu Hack verarbeitet. Selbst das Tsatsiki für den griechischen Burger, sogar das Rotkraut für den bayrischen oder die Rotweinzwiebeln für den Franzosen-Burger – alles selbst angerührt, frisch gerieben oder angesetzt. Warum das alles, wenn es doch auch so viel einfacher geht? „Es ist ohne Frage mehr Aufwand“, sagt der Chef Kassra Adloss, „ aber wir wollten etwas anderes anbieten, auch um uns abheben zu können.“ Ausdrücklich beworben wird das nicht – lediglich der Hinweis auf hausgemachte Burger findet sich auf der Karte. „Wir machen ja nicht alles selbst. Die Brötchen und die Pommes sind zugekauft. Und bei jeder einzelnen Zutat hausgemacht oder nicht hinzuzuschreiben, überfrachtet die Speisekarte“, erklärt Adloss.

          Es geht also auch anders. Und doch bleibt alles vertrackt. Der kritische Esser wird sich weiter selbst bei Koch und Kellner erkundigen müssen. Mit wenig Aussicht auf eine aufrichtige Antwort. Das macht es so unendlich mühsam. Ist wenigstens in naher Zukunft zu erwarten, dass mit offenen Karten gespielt wird? Jochen Kramer von „Salomon“ rechnet nicht damit. Dafür sei Essen zu emotional besetzt. „Aber was ich mir wünsche, ist eine Versachlichung der Debatte.“ Die Zeit dafür ist reif – überreif.

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