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Slow Food : Zeit zum Essen

Knappe Speisekarte, saisonale Zutaten, lokale Lieferanten: Die Slow-Food-Osteria „La Campanera“ von Alessandra Bazzocchi und Roberto Casamenti hat sich einen guten Ruf erkocht. Bild: Tobias Piller

Vom uniformen Einheitsessen zu ganz neuen Geschmackserlebnissen: Eine italienische Bewegung gegen das hastige Essen hat die Restaurantszene des Landes verändert.

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          Zur Slow-Food-Osteria im Borgo Pianetto braucht man lange. Von der nächsten Stadt, Forlì, sind es mehr als 35 Kilometer kurvige Straßen, von der nächsten Autobahn mehr als 40 Kilometer. Dennoch ist „La Campanara“ an einem trüben Frühjahrssamstag voll. Der kleine Borgo Pianetto mit ein paar Dutzend Seelen und das Bergdorf Galeata mit 2000 Einwohnern könnten ein solches Gasthaus nicht erhalten.

          Tobias Piller
          Redakteur in der Wirtschaft.

          „Mehr als die Hälfte der Besucher sind aus der Stadt“, sagt Roberto Casamenti. „Im Sommer kommen auch ausgewählte Kunden aus Deutschland, manchmal mit Wohnmobil und mit der deutschen Fassung des Slow-Food-Führers unterm Arm.“ Natürlich sind Galeata und der Borgo Pianetto weitab von den Touristenströmen. „Aber die Leute kommen hierher, um authentische Gerichte zu finden.“ Diese „Piatti veri“ bedeuten für den Wirt und für seine Frau und Küchenchefin Alessandra Bazzocchi: Man setzt Gerichte aufs Menü, die typisch sind für die Gegend, man hält die Speisekarte knapp, nimmt saisonale Zutaten und kennt die wichtigsten Lieferanten persönlich.

          Solche Prinzipien beherzigen auch viele Küchenchefs und Restaurantbetreiber in anderen Ländern, doch in Italien haben sie besonderen Wert. Denn seit 25 Jahren führt die Vereinigung Slow Food die Freunde der traditionellen Küche und des bewussten Genusses mit einem beliebten Restaurantführer zu den Gaststätten, die ihre Philosophie verwirklichen. Von „Osterie d’Italia“ werden jedes Jahr bis zu 100.000 Exemplare verkauft, seit einiger Zeit gibt es auch eine deutsche Ausgabe. Mit dem Restaurantführer verbreitete die Organisation von Anfang an ihre Werte. Ende der Achtziger gründete Carlo Petrini die Bewegung, nachdem ein McDonald’s-Lokal in Rom ausgerechnet an der historischen Piazza Navona eröffnet worden war.

          Längst hat Slow Food die Gastronomie in Italien verändert und viele Verbraucher dazu erzogen, bei der Auswahl von Nahrungsmitteln und Restaurants kritisch zu sein. Während für viele deutsche Gastwirte und ihre Gäste noch immer die Größe des Schnitzels zählt, während die Soßen weiter mit Pulver angerührt, die Standardgerichte aus Konserven und Fertigware kombiniert werden, rümpft nun der Italiener auch in der einfachen Osteria über so etwas die Nase. Zu stark ist die Prägung auf Slow Food, zu groß das Angebot von Wirten wie Roberto Casamenti. Das ist auch in Italien nicht immer so gewesen: „Der Führer zu den ’Osterie d’Italia’ wurde 1990 genau deshalb ins Leben gerufen: weil diese traditionelle Art der italienischen Küche am Aussterben war“, sagt Eugenio Signoroni, einer der beiden Verantwortlichen. Damals schien nicht nur Fast Food vorzudringen, sondern auch eine modische Nachahmung der Nouvelle Cuisine, die sich oft als standardisierte Pseudo-Kochkultur erwies. Diesen Tendenzen setzte Slow Food die Vielfalt der italienischen Küchentradition entgegen.

          „Ambiente, Küche und Service in Einklang mit Slow Food“

          Dieses Land war dafür prädestiniert: Zwischen Sizilien und Südtirol hat jeder Fleck eine andere Geschichte, mit kulturellen Einflüssen aus Arabien, Österreich, Spanien oder Frankreich. Die unterschiedlichen Esskulturen kreuzen sich wiederum mit dem Reichtum der Vegetation und den unterschiedlichen Klimazonen.„Zuerst wurden die ’Osterie’ zu den Botschaftern einer jeden Region“, sagt Eugenio Signoroni. Doch nun seien die Gäste anspruchsvoller, sie suchen Überraschungen. Der Führer beschreibt daher nicht einfach die Rezepte, sondern auch die Zutaten und deren regionale Herkunft. Dafür lohnt also der Umweg zur Osteria. Für manche Italiener aus der Großstadt ist das der Sonntagsausflug zur „Entdeckung kulinarischer Schätze“, die dann möglichst auch noch als Mitbringsel gekauft werden.

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