Andernachs bestes Restaurant : Auf in den Aromenringkampf!
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Hochamt für die Kunst des Kochens: Yannick Noack präsentiert im Restaurant „Purs“ nicht nur den Fisch wie ein Gaumenjuwel. Bild: Sascha Perrone
Mit noch nicht einmal dreißig Jahren hat Yannick Noack die Küche des Zwei-Sterne-Restaurants „Purs“ in Andernach übernommen – und lässt seinem jugendlichen Ungestüm freien kulinarischen Lauf. Die Kolumne Geschmackssache.
Wenn sich der siebenjährige Sohn zu Weihnachten weder Lego noch Playmobil wünscht und auch keinen neuen Fußball, sondern einen Kochkurs beim berühmtesten Küchenchef des Landes, ist das für Erziehungsberechtigte kein Anlass zur Sorge wegen eventueller Verhaltensauffälligkeiten, sondern ein Grund zur Freude. So sahen es auch die Eltern des kleinen Yannick Noack und schickten ihn gemeinsam mit seiner Großmutter ins Schloss Lerbach in Bergisch Gladbach zum Drei-Sterne-Großmeister Dieter Müller, der dem Kinde umgehend attestierte, der jüngste Teilnehmer aller Zeiten bei seinen Kursen zu sein. Dass der Berufswunsch des Knirpses von diesem Moment an felsenfest stand, versteht sich von selbst. Und dass die Freude unermesslich war, als der frühreife Feinschmecker seine Lehre in Schloss Lerbach antreten konnte – wenn auch bei Müllers Nachfolger Nils Henkel –, steht genauso außer Frage. Seither bewegt sich Yannick Noack glücklich und zufrieden ausschließlich in der Welt der absoluten Spitzenküche, was beweist, dass man Kinderwünsche gar nicht ernst genug nehmen kann.
22 Jahre später platziert uns Noack auf ausladenden weißen Sofas in der Lounge seines Restaurants „Purs“ in Andernach am Rhein, serviert uns dort die Küchengrüße und lässt von der ersten Sekunde an nicht den geringsten Zweifel daran, dass er als bekennender Rheinländer kein Kind von Traurigkeit ist, sondern es gerne krachen lässt. Das Karotten-Triumvirat aus Vichy, Chawanmushi und feinem Stroh, die Ochsenschwanz-Praline mit Waldpilz-Consommé, Buchenpilzen und Sellerie, das Türmchen aus Entenleber, Aal, Rosenkohl, Quitte, Brik-Teig und einem Plunderteig-Croissant statt der traditionellen Brioche – das alles ist keine kulinarische Kammermusik, sondern ein genauso lebenspraller Aromen-Tusch wie alle folgenden Gerichte. Eine gebeizte Makrele aus der Vendée kombiniert Noack mit Couscous-Salat, Steckrüben und Pimientos de padrón zu einem tollkühnen Teller, in den der Sud aus Passionsfrucht mit knapper Not ein wenig Harmonie bringt. Und genauso wild geht es beim gebratenen Carabinero zu, der es mit gehobelten Cashewnüssen, einer Kumquat-Beurre-blanc und Kopfsalat als Pesto und geräucherter Praline inklusive Carabinero-Tatar zu tun bekommt, ohne allerdings so recht zu wissen, was er mit seinen Spielkameraden anfangen soll.
Solches jugendliches Ungestüm kann angesichts der rasanten Karriere von Yannick Noack niemanden überraschen. Unmittelbar nach seiner Ausbildung verbrachte er zwei prägende Jahre nur eine Handvoll Kilometer weiter bei Joachim Wissler im „Vendôme“, damals der innovativste Koch Deutschlands, dessen unorthodoxer Avantgardismus Noack bis heute prägt. Mit zwei und drei Michelin-Sternen ging es dann nahtlos weiter, bei Christian Bau in Perl an der Mosel, Klaus Erfort in Saarbrücken und Christian Eckhardt, mit dem er erst in der Villa Rothschild bei Frankfurt gemeinsam am Herd stand, um ihm dann als Souschef nach Andernach zu folgen. Seit wenigen Monaten verantwortet er selbst die Küche des „Purs“, für das Eckhardt zwei Michelin-Sterne und ähnlich hohe Bewertungen in allen anderen Restaurantführern erkocht hat – angemessene Meriten für diese spektakuläre Bühne der Kochkunst, die von der Dynastie Doetsch, einer feinschmeckerfanatischen Familie lokaler Mineralölmagnaten, mit viel Geld und Geschmack eingerichtet worden ist: Das Lokal residiert in der ehemaligen Kanzlei der Kölner Erzbischöfe, einem verwinkelten Barockbau mit angeschlossenem Relais-&-Château-Luxus-Boutique-Hotel, das vom famosen belgischen Designer Axel Vervoordt in ein epochenübergreifendes innenarchitektonisches Gesamtkunstwerk verwandelt wurde, in eine kühne Mischung aus Traditionellem und Zeitgenössischem, der Yannick Noack auf seinen Tellern konsequent nacheifert.Den einfachen Weg einer Reduzierung der Aromen und Harmonisierung der Geschmäcker geht er dabei nicht, im Gegenteil: Der junge Küchenchef liebt das Spektakel, das Herausfordernde, das Überbordende und manchmal auch das Maßlose.
Sein Kalb schneidet er dünn wie Papier auf und mariniert es, um es dann mit Liebstöckel, Perlgraupen und einem kraftstrotzenden, in Sojasoße pochierten Ei einen wahren Wettstreit um die höchste Geschmackskonzentration ausfechten zu lassen. Das Perlhuhn hat eine Woche der Reifung in geklärter Butter hinter sich und einen Aromenringkampf mit frittiertem Chinakohl, Korinthen-Vinaigrette und Hokkaido-Kürbispüree vor sich. Und am verwegensten treibt es der weiße Trüffel aus Alba. Er nimmt es mit Blutwurst, Walnuss-Chips, frittiertem Grünkohl und einem pochierten Wachtelei auf, und damit noch nicht genug: Wir bekommen zum Experimentieren auch noch zwei Soßen, eine Grünkohl-Vinaigrette und eine Trüffelbutter, und sollen selbst entscheiden, wie wir die Geschmacksschwerpunkte auf dem Teller setzen und verschieben.
Provokation statt Routine, Nachdenklichkeit statt Gleichgültigkeit, das wolle er mit seiner Küche erreichen, sagt Yannick Noack, der sein Ziel zweifelsfrei erreicht – manchmal allerdings auch über das Ziel hinausschießt, wenn das Provokative seine Plausibilität verliert, das Unorthodoxe unverständlich wird und Einfallsreichtum in Überambition mündet. Angesichts seines Talents ist es indes nur eine Frage der Zeit, bis er Maß und Mitte findet. Und bis dahin kann er sich auf seinen Patissier Sebastian Kraus verlassen, der uns zum Abschluss erst kongolesische Virunga-Schokolade mit Hagebutte, Rosenwasser, einem Sauerteig-Chip und grüner und roter Shiso und dann eine Kräuterkiste mit Bienenwaben, Buchweizen, Palmherz-Parfait und Lavendel-Pfirsich-Sud ganz ohne Spektakel in der Bar des „Purs“ an einem von Axel Vervoordts wunderbaren Tischen aus dem ehrwürdigen Dielenboden eines alten belgischen Herrenhauses serviert – der plötzlich wie ein Menetekel wirkt und uns zu sagen scheint, dass gut und schön wird, was Zeit zum Reifen hat.