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Fleisch aus dem Reagenzglas : Meat the Future

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Schlachten oder Züchten? Welches Fleisch wollen wir essen? Bild: Michael Hughes/laif

Die erste Frikadelle aus der Petrischale kostete 250.000 Euro. Laut seinem Schöpfer schmeckt das In-vitro-Fleisch wie ein „schlechter Burger“. Könnte das künstliche Erzeugnis trotzdem ein wichtiger Faktor der Ernährung in der Zukunft werden?

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          Zwei rechts, zwei links und bloß nichts fallen lassen - voilà, ein Steak! Könnte so schon 2020 der Alltag aussehen? Vielleicht kauft man sich dann hübsche pinkfarbene Fleischfasern und strickt sich daraus das Gewünschte: Schnitzel, Hühnerbrüste oder Steaks. Ein Blick auf die niederländische Internetseite „bistro-invitro.com“ zumindest suggeriert, dass diese Vorstellung irgendwann Wirklichkeit werden könnte. Man sieht dort zum Beispiel zuckende dunkelrote Fleischstränge, die an Wollknäuel erinnern, welche gerade verstrickt werden. Natürlich ist das Kunstfleisch-Bistro reine Phantasie. Mit ihren schrägen Ideen wollen seine Macher rund um den niederländischen Philosophen Koert van Mensvoort Denkgewohnheiten aufbrechen. „Das wird die Leute dazu anregen, anders über Fleisch zu denken, und das ist gut“, sagt auch Mark Post, In-Vitro-Forscher am Physiologischen Institut der Universität Maastricht.

          Für Post ist die schöne neue Welt, die auf der Internetseite vorgestellt wird, schon zu Teilen Wirklichkeit geworden. Vor zwei Jahren präsentierte der niederländische Spezialist seine „Superbulette“ in London einer staunenden Öffentlichkeit. Er hatte dafür die Muskelzellen einer Kuh in einer Petrischale gezüchtet und innerhalb von drei Monaten so vermehrt, dass sie einen ganzen Fleischklops ergaben. Damals kostete die Zukunftsfrikadelle noch 250.000 Euro und schmeckte eher mäßig. So meldeten es die österreichische Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler und der amerikanische Food-Journalist Josh Schonwald von einem Testessen im Sommer 2013 in London. Damals fehlten freilich auch die Geschmacksträger noch. Inzwischen können Post und sein Team auch Fettzellen herstellen. Fünf bis zwanzig Prozent davon, unter die Muskelfasern gemixt, ergäben schon einen ganz guten Geschmack, sagt Post und behauptet: „Unser ,Cultured Beef‘ schmeckt heute schon so gut wie ein schlechter Burger von einer bekannten Fast-Food-Kette.“

          In Enge und Gestank leben

          Mit der gesellschaftlichen Akzeptanz von In-vitro-Fleisch ist es hingegen noch nicht besonders weit her. „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“, sagt eine alte Volksweisheit. Vor allem Frauen können mit dem Fleisch von der Stange gar nichts anfangen. Wim Verbeke, Professor für Agro-Food-Marketing an der Universität Gent, hat in Flandern 400 Personen befragt und herausgefunden, dass Männer fünfmal lieber als Frauen Cultured Meat probieren - vor allem wegen der darin enthaltenen Proteine.

          Dass Posts Burger aus Muskelzellen von Tieren besteht, die weder in Massen gehalten noch getötet werden müssen, weil aus einer einzigen Muskelzelle eine Trillion Zellen gezüchtet werden können, spielt hingegen bei den Verbrauchern keine Rolle. Lediglich in den Ohren von Tierrechtsaktivisten klingt diese Idee bislang verheißungsvoll: „In moralischer Hinsicht ist In-vitro-Fleisch positiver zu bewerten als das Abschlachten von Milliarden von Tieren, die zuvor in Enge und Gestank leben mussten, um dann oft bei vollem Bewusstsein die Kehle aufgeschlitzt zu bekommen“, erklärt etwa Felicitas Kitali, Ernährungsreferentin bei der Tierrechtsorganisation Peta. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung von Verbeke ist, dass gerade jüngere Leute mehr und mehr bereit sind, neue Wege zu gehen und die Petrischalen-Delikatesse zu akzeptieren.

          Doch auch für alle anderen Menschen könnte das In-vitro-Fleisch interessant werden. „Wer nicht auf Fleisch verzichten kann oder will, könnte so weiter der Fleischeslust frönen, also Muskeln, Gewebe und Fett konsumieren, ohne dass Tiere gequält würden“, schwärmt Kitali. Und Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg sieht als Vorteil, dass nicht artgerechte Tierhaltung und ständiger Antibiotikaeinsatz im Stall irgendwann der Vergangenheit angehören könnten.

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