Kolumne „Geschmackssache“ : Kein Platz für Küchensonnenkönige
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Klarheit ohne Kargheit: Das ist das Konzept von Stefan Gschwendtners Küche in der „Speisemeisterei“. Bild: Tom Weller / 24passion
Am Herd sollte sich ein Koch nicht zum absolutistischen Herrscher aufspielen, findet Stefan Gschwendtner. Mit dieser Haltung hat er die „Speisemeisterei“ im Schloss Hohenheim zur ersten Adresse Stuttgarts gemacht.
Das „Palmenstüble“ hatte weder Michelin-Sterne noch Gault-Millau-Hauben, stand nie in der Presse und war der breiten Öffentlichkeit unbekannt, obwohl es ein richtiges Restaurant mit Chefkoch, Speisekarte und allem Drum und Dran war.
Es wurde vom elfjährigen Sohn schwäbischer Entwicklungshelfer in Saudi-Arabien betrieben, verdankte dieser Konstellation seinen schönen Namen, bewirtete ausschließlich den engsten Familienkreis und sollte sich in der Rückschau als gelungene Generalprobe eines Lebensweges entpuppen, der nach einigen Irrungen und Wirrungen ein glückliches Ende gefunden hat: Stefan Gschwendtners jetziges Lokal, die „Speisemeisterei“ im Stuttgarter Schloss Hohenheim, hat zwei Michelin-Sterne, drei Gault-Millau-Hauben und wird von Feinschmeckern einmütig als bestes Haus von Baden-Württembergs Landeshauptstadt gerühmt.
Die Legitimation des Küchengottesgnadentums
Koch wollte Gschwendtner schon als Kind werden, doch aus vermeintlichen Vernunftgründen machte er zunächst eine Lehre als Großhandelskaufmann und gab erst mit 24 Jahren seiner inneren Bestimmung nach. Er ließ sich von Fritz Schilling in den legendären „Schweizer Stuben“ ausbilden, ging dann für drei prägende Jahre zu Stefan Marquard an den Bodensee und wechselte 2008 in die „Speisemeisterei“, deren Ruhm indes wegen abrupter Chefkochwechsel und unschöner Insolvenzen bald stark verblassen sollte.
Acht Jahre später bekam dort Gschwendtner seine Chance, konnte aber erst 2020 richtig loslegen, nachdem eine große Wohnungsbaugesellschaft das Restaurant übernommen hatte, um sich mit ihm als Flaggschiff eine gastronomische Sparte aufzubauen. Und die Mission war klar: Gschwendtner sollte den alten Glanz zurückbringen, was ihm in Windeseile gelang – im März errang der ehemalige Chef des „Palmenstüble“ seinen zweiten Stern und damit die Krone unter Stuttgarts Spitzenlokalen.
Dass sie nicht usurpiert wurde, sondern mit der Legitimation des Küchengottesgnadentums getragen wird, merkt man von der ersten Sekunde an. Schon die Amuse-Bouches in Gestalt eines Forellen-Tatars mit Dashi, Sesam, Granny Smith und Austern-Mayonnaise oder zweier Pralinen aus frittiertem Schweinebauch im Röstzwiebelgewand und Poularden-Ragout im Mäntelchen aus Balsamico-Gelee sind Miniaturmeisterwerke voller Präzision und Perfektion, die die Richtung des Abends vorgeben: Hier spielt sich kein Koch zum absolutistischen Herrscher auf, auch wenn sein Restaurant in einem herzoglichen Schloss residiert.
Stattdessen stellt er sich immer in den Dienst des guten Geschmacks und gewährt die Hauptrolle jeweils einer Ingredienz pro Gang, die effektvoll, aber ohne Pomp in Szene gesetzt wird – so wie beim Carabinero aus Spanien, der roh wie Sashimi unter einer feinen Haube aus Yuzu und Schnittlauch ruht, umringt von einem Hofstaat aus Yuzu-Mayonnaise, Carabinero-Tatar, Tomaten-Crunch und einem Sud aus geräucherten Tomaten und Koriander, einer loyalen Entourage, die sich ganz in den Aromendienst des Krustentieres stellt.
So virtuos geht es Schlag auf Schlag weiter. Die Schwarzwald-Forelle wird nur unter dem Pass gar gezogen, weil mehr Hitze ihre Finesse zerstören würde, und mit nichts außer Kaviar, Lardo, Romana-Salat, einem japanischen Zweibelsud und einem Malzstick zu einem Teller-Menuett von verblüffender Aromenharmonie kombiniert. Auch die pochierte Gillardeau-Auster gibt sich in kluger Bescheidenheit mit Kaviar, Tapioka, einem Oyster Leaf und einer Beurre blanc mit Rindermark zufrieden.
Und den dänischen Zander gart Gschwendtner ganz sanft in der Pfanne, bestreut ihn mit Salzmandel-Crunch, arrondiert ihn mit Morcheln und Radieschen und nappiert das Ganze mit einer Verjus-Sauce – alles kein Hexenwerk und doch beeindruckendes Küchenkunsthandwerk, denn nichts Überflüssiges, nichts Prätentiöses, nichts Effekthascherisches haben diese Teller, sondern ausnahmslos Sinn und Verstand, Balance und Hierarchie, Klarheit und Reife.
Stefan Gschwendtner ist ein bescheidener Schlossherr mit egalitaristischer Gesinnung, und daran ändert auch nichts, dass man bei ihm hochherrschaftlich zwischen Stuck, Marmor, Blattgold, Kristalllüstern und Pilastern mit korinthischen Kapitellen sitzt. Am liebsten fährt er mit den Rad zur Arbeit, verbringt die Freizeit lieber mit seinen drei Kindern als auf der großen Show-Bühne und entwickelt die Gerichte gemeinsam mit seinen beiden Souschefs, die schon fünf und sechs Jahre lang an seiner Seite sind.
Revolutionen stehen nicht auf ihrem Speisezettel, sondern intelligente Weiterentwicklungen des klassischen Küchenkanons, den sie in den vergangenen Jahren um viele japanische Zutaten und Techniken bereichert haben, ohne die Balance aus Heimatliebe und Weltläufigkeit zu verlieren – das Lamm kommt von der Schwäbischen Alb, der Tafelspitz aus Australien, und beides ist auf ganz eigene Weise fabelhaft, weil in der „Speisemeisterei“ immer auch mit dem Kopf gekocht wird.
Beim Lamm sorgen fermentierte Blaubeeren für die richtige Dosis an Säure und Griemen aus hocherhitztem Lammfett für den notwendigen Biss, während der Jus mit Sardellen verfeinert wird, um Tiefe und Salzigkeit zu erreichen. Und dem Tafelspitz vom Wagyu mit seinem idealtypischen Verhältnis von Fleisch und Fett wird dank Sesam, Kimchi-Mayonnaise, einer Kalbskopf-Jus und einer Brunoise aus grünem Spargel und Paprika jede dumpfe Schwerfälligkeit ausgetrieben.
So entstehen Teller, die dicht, aber nicht laut, komplex, aber nicht überladen, phantasievoll, aber nicht verrückt sind – exzellent begleitet von der Sommelière Johanna Renz, die sich fast ausschließlich auf deutsche Gewächse verlässt und einen weiten Bogen um internationale Prestigeweine zu hysterischen Preisen macht. Ein Spätburgunder vom Aldinger, ein Weißburgunder von Fritz Waßmer und dazu noch das Dessert, eine kunstvolle Variation von Erdbeere, Basilikum und Tonka-Bohne – und schon fühlt man sich im Schloss Hohenheim fürstlicher bewirtet, als es jedem württembergischen Fürsten jemals widerfahren ist.