Restaurant „Oben“ : Kann gutes Essen wirklich böse sein?
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Hirschkalb oder doch lieber Schnitzel mit Pommes? Auf dem Kohlhof spaltet diese Frage die Gemüter. Bild: Wonge Bergmann
Der Alte Kohlhof in Heidelberg wurde vom Ausflugslokal zum Sternerestaurant. Lokalpolitiker versuchen seitdem, den Feinschmeckern das Restaurant wieder zu entreißen. Zum Glück ohne Erfolg. Die Kolumne Geschmackssache.
Der Koch steht in der Mitte seines Restaurants und bittet um volle Aufmerksamkeit. Vor ihm liegt ein Gegenstand von der Größe und Form eines Straußeneis mit einer graubraunen Hülle, der von einem Deckenstrahler wie ein kostbares Kunstwerk angestrahlt wird. Dann malträtiert der Koch das Ei mit einem Hammer, befreit eine mächtige, langsam im Ofen gegarte und jetzt betörend duftende Sellerieknolle aus ihrem Salzteiggefängnis, schneidet sie in Scheiben und serviert sie den Gästen gleichzeitig mit einem Ragout und Püree vom Staudensellerie, einer Sauce aus fermentiertem Selleriesaft und ausgestochenen Birnenkugeln in Malzessig – und wir alle wundern uns, wie aus dem Geschmacksgrobian Sellerie mit einfachen Mitteln ein so filigraner und facettenreicher, komplexer und kompletter Tellerhauptdarsteller werden kann.
Der Koch heißt Robert Rädel, wurde 1982 in Dresden geboren, arbeitete in sehr guten Küchen in Hamburg, Zürich, London, Bangkok und steht nun im „Oben“ in Heidelberg am Herd, in dem er sich prompt seinen eigenen Michelin-Stern erkocht hat. Das Lokal liegt idyllisch zwischen Wäldern und Streuobstwiesen im Weiler Kohlhof, einem seit Generationen heißgeliebten Ausflugsziel und Sehnsuchtsort der Heidelberger, hat nur eine Handvoll Tische und will das Essen zu einem Gemeinschaftserlebnis ohne Gruppenzwang machen.
Den Aperitif und die ersten Amuse-Bouches nimmt man zusammen im Garten, setzt sich dann zwischen Kaminholzstapel auf Schaukelstühle an grobe, alte Holztische, isst synchron ein dreizehngängiges Einheitsmenü, sucht den Wein dafür mit der Sommelière im Weinkeller aus, bekommt mindestens einen Gang in der offenen Küche serviert, hat dabei Gelegenheit zur Plauderei mit dem Koch und lernt dabei allerhand über die kulinarische Gedankenwelt von Robert Rädel.
Spektakulär unspektakulär
Er kocht am liebsten streng regional, aber nicht dogmatisch lokal, verzichtet auf Salzwasserfische, besorgt sich stattdessen Hecht und Zander von den letzten Rheinfischern Baden-Württembergs in Karlsruhe und geht an seinen freien Tagen in die freie Natur, um Magnolien, Mohnknospen, Sauerampfer oder Knöterich zu sammeln und im Stile eines René Redzepi zu fermentieren. Aus all dem kocht er eine Küche, die – trotz Hammereinsatz – ohne Spektakel spektakulär sein will, indem sie noch die scheinbar einfachste Zutat so ernst nimmt wie das vornehmste Wasserwesen oder blaublütigste Federvieh.
Für seine Küchengrüße verwendet Rädel nichts anderes als eine gebackene Kartoffel mit Lauch und Frühlingszwiebeln, einen Ziegenkäse im Kohlrabi-Röllchen mit Blüten und Beeren vom Holunder, einen Krapfen aus Wollschweinblut mit Wildkräuteressig und einen strammen Max mit Wachtelei, für den er am Tisch in einem gusseisernen Waffeleisen vom Flohmarkt eine Buchweizenbasis herstellt – lauter Ingredienzien wie aus dem Gasthaus, die hier zu technisch makellosen Miniaturraffinessen ohne Küchenzaubertricksereien werden.