Weingut Selbach-Oster : Zeitlosigkeit schlägt Zeitgeist
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Die Sonnenseite der Mosel: Wer eine Weinlage wie den Zeltinger Schlossberg bewirtschaften darf, weiß ganz genau, was ein Standortvorteil ist. Bild: Weingut Selbach-Oster
Johannes Selbach keltert aus den besten Lagen an der Mittelmosel Rieslinge, die alleine der Tradition verpflichtet sind und sich kategorisch allen Moden verweigern. Denn bei ihm soll nicht nur der Weinberg ewig sein. Die Kolumne Geschmackssache.
Das Himmelreich macht eine Höllenarbeit. So aberwitzig steil, als führe es geradewegs ins Inferno, stürzt das Gelände ins Bodenlose, doppelrabenschwarz wäre dieser Weinberg, wenn er eine Skipiste wäre und am Matterhorn statt an der Mosel läge. Nur mithilfe von Seilzügen kann der Winzer in seiner Steillage arbeiten, gesichert wie ein Bergsteiger im Hochgebirge, jeder Schritt eine Tortur, jede Bewegung ein Kraftakt, kein Gipfelglück als Belohnung. Schwindelfrei wie ein Hochseilartist in der Manege muss er sein, und das nicht nur einmal pro Jahr, sondern gleich ein Dutzend Male. Denn so viele Durchgänge verlangen die kapriziösen Rebstöcke, die zum Teil schon in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik gepflanzt wurden und mit größter Sorgfalt gehegt, gebunden und geschnitten werden wollen. Und was ist der Lohn für diese Plackerei im Himmelhöllenreich? Winzige Trauben, kaum größer als Linsen, die nur einen minimalen Ertrag bringen und für die jeder Flachlandwinzerkollege nur Spott und Häme übrighat.
Johannes Selbach aber ist fest davon überzeugt, sein Weinbauerndasein im Garten Eden zu verbringen. Vierundzwanzig Hektar Rebfläche bewirtschaftet er zwischen Bernkastel, Kues und Zeltingen, ausschließlich Steil- und Steilstlagen, die allesamt zur Hocharistokratie der Mittelmosel-Terroirs zählen: Graacher Himmelreich, Zeltinger Himmelreich, Graacher Domprobst, Zeltinger Schlossberg, Zeltinger und Wehlener Sonnenuhr – das sind seit Jahrhunderten Glanz und Gloria des ältesten deutschen Weinbaugebiets, grandiose Lagen, die jeden Schweißtropfen der Schufterei wert sind. Auf blauem Devon-Schiefer stehen hier die Rebstöcke, der so feinblättrig ist, dass er mit der bloßen Hand gebrochen werden kann und es den Pflanzen erlaubt, ihre Wurzeln zwölf, vierzehn Meter tief in die Erde zu treiben. So kommen sie selbst in den trockensten Jahren an Wasser und können sich zugleich mit der ganzen Mineralität des Steins vollsaugen, um den archetypischen Geschmack der Mosel-Rieslinge zu entfalten.
Von New York direkt in den Weinberg
Um nichts anderes geht es Johannes Selbach, dessen Familie seit vierhundert Jahren Weinbau an der Mosel betreibt, früher sogar eine eigene Flotte besaß und ihre Weine bis nach Rotterdam verschiffte. Er selbst musste schon als Kind in den Steillagen mithelfen, während sich seine Klassenkameraden im Schwimmbad vergnügten, was ihm die Lust auf den Winzerberuf zunächst gründlich verdarb. Statt sich in die Familientradition zu fügen und weiterhin die Weinberge hinauf- und hinunterzukraxeln wie eine Gams, studierte er Betriebswirtschaft in Köln, ging mit einem Stipendium an die Penn University nach Philadelphia, arbeitete danach in einer PR-Agentur in New York, kam dann doch noch auf den Geschmack und kehrte in den Schoß der Selbacher Winzerdynastie zurück. Heute gilt seine ganze Leidenschaft dem Riesling, mit dem vierundneunzig Prozent seiner Lagen bestockt sind, um die er sich gemeinsam mit seinem Sohn Sebastian kümmert, der seinerseits nie Zweifel an seiner Zukunft hatte. Den schmalen Rest teilen sich Weißburgunder, Grauburgunder und Gewürztraminer, die heimliche Zweitliebe von Johannes Selbach, eine Treulosigkeit, die ihm der Riesling gewiss leicht verzeiht.