Kolumne Geschmackssache : Kommt ein Nasi Goreng an die Lahn
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Ein Augenschmaus auf dem Tisch in Limburg: Gänseleber mariniert und pochiert mit Ingwer und Litschi. Bild: Restaurant 360°
Alexander Hohlwein geht im Limburger Restaurant „360 Grad“ auf Aromenweltreise – mit dem leichten Gepäck der Haute Cuisine und ohne den dumpfen Blick des kulinarischen Massentouristen.
Bahnhofsplatz 1a ist in Deutschland, dem Mutterland der trostlosen Schienenverkehrsgastronomie, keine besonders vertrauenswürdige Adresse für ein ambitioniertes Restaurant – auch nicht in Limburg an der Lahn, dessen Bahnhof samt Vorplatz ein Meisterwerk kleinstädtebaulicher Verschandelungskunst ist, eine Betonwüstenei in Aschgrau und Schwefelgelb, in der selbst der lebensbejahendste Mensch augenblicklich der Schwermut anheimfällt. Doch die Rettung ist nah. Zwischen Gleisen, Kiosken und freudlosen Speiselokalen, die Hühnerschnitzel Jäger Art oder Pizza Peperoni-Wurst servieren, müssen wir eine Weile suchen, bis wir die Oase des guten Geschmacks finden. Irgendwann stehen wir vor der richtigen Tür, steigen ein niederschmetternd schmuckloses Treppenhaus hinauf, wollen schon alle Hoffnung fahrenlassen und finden uns plötzlich in einem großen lichten Raum voller Glasfronten wieder, die einen Rundumblick auf den Limburger Dom und die Hügellandschaft freigeben: Das „360 Grad“ ist erreicht und alles andere vergessen.
Der Name ist hier oben nicht nur innenarchitektonisch Programm. Auch in seiner Küche duldet der junge Chef Alexander Hohlwein keine kulinarischen Scheuklappen, sondern nur die Neugier auf die Küchen aller Kontinente. Dabei wurde dem Einunddreißigjährigen der Kosmopolitismus nicht in die Wiege gelegt. Er kam in Limburg zur Welt und erst in die weite Welt hinaus, nachdem er sich seinen Kindheitstraum erfüllt hatte und Koch geworden war. Bei Markus Nagy lernte er die Haute Cuisine auf Ein-Sterne-Niveau kennen, bei Chris Rainer die hohe Kunst des Kochens mit zwei Sternen, bei Kevin Fehling holte er sich den Drei-Sterne-Ritterschlag. Im März 2016 eröffnete er das „360 Grad“, im November bekam er seinen eigenen Stern und konnte damit eine Schmach tilgen, die ihn seit Kindesbeinen keinen Seelenfrieden gelassen hatte: Immer, wenn er sich früher einen Restaurantführer gekauft habe, habe er sich darüber geärgert, dass Limburg auf der Landkarte der Gourmets ein weißer Fleck gewesen sei, sagt Hohlwein. Das zu ändern, habe er sich damals geschworen.
Rouille-Sauce, Tomaten-Chutney und Wolfsbarschtatar
Und heute danken es ihm die Limburger, indem sie ihm seit der ersten Stunde die Bude einrennen. Die Gäste erwartet eine kulinarische Weltumrundung, wobei keine Reisekrankheiten zu befürchten sind, weil Hohlwein penibel darauf achtet, niemanden mit Exotismus zu überfordern. Die Küchengrüße kommen aus Griechenland, können aromatisch von jedem Kykladen-Urlauber mühelos wiedererkannt werden und sind trotzdem meilenweit vom Einheitsbrei der griechischen Küche entfernt – der Fenchel-Macaron mit Makrele und Ouzo wie der Bauernsalat, der in einer Sardinenbüchse dargereicht und nach allen Regeln der Kochkunst mit einem Gelee aus weißem Tomatenfond, einer geeisten Feta-Tomate, einer forellenfeinen Sardine und mikroskopisch kleinen Croûtons veredelt wird. Danach nimmt man die Fähre übers Mittelmeer, legt vor Italien an und wird von einem geflämmten Kaisergranat willkommengeheißen. Ihm zur Seite stehen eine gelierte Cannelloni mit Taschenkrebsfüllung, ein dünn wie Seidenpapier aufgeschnittener Parmaschinken, der eine Kugel aus Burrata umhüllt, und eine Honigmelone, die ausgestochen und als Süppchen den Teller vollendet. Das sind technisch makellose Spielereien, deren Zusammenspiel allerdings ein wenig eintönig ist, weil die Kontraste fehlen und sich alle Ingredienzien auf ihre Süße kaprizieren.
Wie man es besser macht, beweist Hohlwein sich selbst und seinen Gästen postwendend im Nachbarland. Er serviert eine ebenso luxuriöse wie herzhafte Bouillabaisse, in der eine mächtige Tranche vom Wolfsbarsch mit Herzmuscheln, Garnelen, Pulpo, Passepierre-Algen und Gemüse-Julienne kombiniert wird. Das Ganze gießt er mit einem gebundenen Sud an, der fast schon eine Creme ist, und kontrastiert es mit einer kalt dekonstruierten Bouillabaisse: einer Tomaten-Focaccia, die mit einem Klecks Rouille-Sauce, Tomaten-Chutney und Wolfsbarschtatar bestückt ist – ein schöner, kluger Einfall, der beweist, dass Hohlwein mit Herz und Hirn kocht.
Bei Aromenweltreisen besteht immer die Gefahr, dass sie zu Folkloreveranstaltungen verkommen. Unser Koch ist dagegen gefeit, weil er fest auf dem Fundament der europäischen Hochküche steht. Und so dreht er sein Stubenküken Nasi Goreng einfach durch die Mangel der Haute Cuisine, serviert die perfekt à point gebratene Brust mit gerösteten Erdnussraspeln und den frittierten Kamm so zerbrechlich wie eine Hostie, röstet den Jasmin-Reis nur minimal, damit er so weich wie das Fingerspiel der Tempeltänzerinnen Balis bleibt, und verfeinert ihn mit blütenzartem Thai-Spargel, einem eleganten Sambal Oelek ganz ohne Höllenfeuerschärfe und einem Papaya-Karotten-Chutney zur erfrischenden Abrundung. Die Exotik dominiert, doch sie wird nach allen Kunstregeln der Haute Cuisine domestiziert, so dass man niemals den Eindruck hat, bei irgendeinem besseren „Indonesier“ zu sitzen.
Bevor es zum süßen Abschluss nach Japan geht, werden Gottes eigenem Land die Honneurs gemacht, mit einem amerikanischen Tafelspitz, der gebraten, gesotten und roh als Tatar kommt, abwechselnd begleitet von einer kraftstrotzenden Consommé, einem mildtätigen Meerrettichschaum oder einer dunkel dräuenden Markknochen-Hollandaise. Wieder ist alles makelloses Handwerk, dem ein bisschen der Mut zur Phantasie und Verblüffung fehlt. Kaum ist das gesagt, stehen Litschi und Rhabarber, Sake und Sesam, grüner Shiso und grünes Apfeleis auf dem Tisch. Am Rand des Tellers liegt eine Litschi im Ganzen, die wir für eine Dekoration halten und fast nicht angerührt hätten, bis wir uns doch trauen und sie sich als herrliches Trompe l’œil entpuppt, nachgebaut aus weißer Schokolade, gefüllt mit schäferwolkenluftigem Litschi-Schaum. Und so wird Limburg doch noch zur Stadt des Froh- statt Schwermuts.
360 Grad, Bahnhofsplatz 1a, 65549 Limburg, Telefon: 06431/2113360, www.restaurant360grad.de. Menü ab 65 Euro.