Kolumne Geschmackssache : Schönen Gruß vom starken August
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„Gastronom des Jahres 2017“: Stefan Hermann kocht im Gourmetrestaurant „bean & beluga“ in Dresden. Bild: bean & beluga
Stefan Hermann hat sich mit einem gastronomischen Kleinkönigreich „bean & beluga“ wie kaum ein Zweiter um den kulinarischen Aufbau Ost in Dresden verdient gemacht. Doch die Arbeit ist noch lange nicht vollbracht.
Dresden ist Deutschlands Hauptstadt der Missverständnisse. Überängstliche Besucher reisen mit solidem Schuhwerk an, weil sie fürchten, zwischen Zwinger und Frauenkirche durch braunen Morast voller völkischer Sumpfblüten wandern zu müssen – und erleben dann eine gastfreundliche, weltoffene Stadt, in der die meisten Glatzenträger keine Gesinnungs-, sondern Haarwuchsprobleme haben. Oder sie hängen dem Irrglauben an, dass ganz Dresden von den Alliierten in Schutt und Asche gelegt wurde und nur in seinem Zentrum mühsam aus Ruinen aufersteht, während es überall sonst eine ewige Trümmerlandschaft mit Plattenbebauung ist – und reiben sich dann in Villenvierteln wie dem Weißen Hirsch die Augen, die den Faschismus ebenso unbeschadet überstanden haben wie den Sozialismus. Hier spielt Uwe Tellkamps Roman „Der Turm“, diese monumental monströse Elegie auf den Untergang der DDR aus Sicht der Arbeiter-und-Bauern-Bourgeoisie. Und hier hat Stefan Hermann vor zehn Jahren das Hauptquartier seines kulinarischen Aufbaus Ost aufgeschlagen – offensichtlich mit nachwirkendem Erfolg, denn der Metzger des Viertels führt inzwischen so selbstverständlich Duroc-Schweinerücken und Wagyu Beef Dry Aged, als sei es sächsischer Sauerbraten.
Stefan Hermann ist der Hansdampf der Dresdner Gastronomie, ein Schwabe aus Leonberg, der drei Jahre lang Harald Wohlfahrts Souschef in der „Schwarzwaldstube“ war, 1997 in den wilden Osten ging, sich auf Anhieb einen Stern erkochte und zum Primus inter Pares der Dresdner Spitzenköche wurde. Nach zehn Jahren reichte ihm das nicht mehr, und so machte er sich mit einem eigenen Spitzenlokal selbständig, das er wegen eines folgenschweren Aufenthalts in New York „bean & beluga“ nannte: Als er gemeinsam mit Freunden nach einem Namen für sein Haus suchte und die dritte Flasche Wein auf dem Tisch stand, war der Name des New Yorker Feinkostgeschäfts „Dean & DeLuca“ für Sachsen adaptiert. Der Betrieb wuchs mit den Jahren um einen Biergarten, eine Almhütte und die Gastronomien in der Semperoper und dem Schauspielhaus, wobei unserem Hansdampf in jüngster Zeit finanziell indes etwas die Puste auszugehen scheint.
Das kann uns Feinschmeckern gleichgültig sein, solange das Feuer am Herd des „bean & beluga“ weiterbrennt. Und alle Befürchtungen, es könnte nicht so sein, erledigen sich in einer Schrecksekunde: Die Küche grüßt uns zwar mit einem kalten Amuse bouche, doch es ist so raffiniert, dass von erkalteter kulinarischer Leidenschaft keine Rede sein kann. Als Prélude gibt es nichts weiter als Petersilie von der Wurzel bis zur Blattspitze, die als Öl, Mousse, Chip, Crème und vieles mehr serviert wird, um dadurch die ganze Bandbreite ihres Geschmackspotentials aufzufächern und jeden Lügen zu strafen, der behauptet, Petersilie schmecke wie Petersilie. Dann schlägt die Stunde des Dekonstruktivismus. Ein klassisches Caprese wird auseinandergenommen und kunstvoll wieder zusammengesetzt: aus einer Basilikum-Emulsion, einem Tomatenragout mit Senfkörnern und einer Zauberkugel, die aus Mozzarella-Crème und Tomatensud geformt ist. Für die endgültige Nobilitierung dieses jetzt längst nicht mehr volkstümlichen Tellers sorgen eine Tranche und ein Tatar von der gebeizten Gelbschwanzmakrele – und für die Erkenntnis, dass die Haute Cuisine keine vornehmere Aufgabe hat, als das Vertraute immer wieder aufs Neue virtuos zu variieren.