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Geschmackssache : Rotblonde Königin im Rotweinwunderland

Mit Wein um die Welt: Die Weinkönigin und Ahrtaler Winzerin Julia Bertram war 255 Tage auf Weltreise, um deutschen Wein zu bewerben. Bild: Oliver Sebel

Die Ahr ist das eigenwilligste aller deutschen Weinbaugebiete. Das liegt auch am erstaunlichen Selbstbewusstsein von Jungwinzerinnen wie Julia Bertram.

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          Der Knittelvers des Grauens dröhnt den Winzern noch immer in den Ohren, und er geht so: „Wenn du an der Ahr warst und weißt, dass du an der Ahr warst, warst du nicht an der Ahr.“ Mit dieser Schlachthymne fielen jahrzehntelang Kegelclubs aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet im Sonderzugrollkommando über das kleine Tal her, soffen sich mit süßer Rotweinbrause in die Besinnungslosigkeit und grölten im Quetschkommodenchor. Doch eines Tages Ende der achtziger Jahre hatte der Weingott in seiner Güte und Gier nach guten Tropfen ein Einsehen und sandte den Heiligen Geist der Erkenntnis ins Ahrtal. Er sollte Wunder wirken.

          Jakob Strobel y Serra
          Redakteur im Feuilleton, zuständig für das „Reiseblatt“.

          Die Winzer kamen zur Besinnung und zählten nach: Gerade einmal fünfhundert Hektar Rebfläche haben sie, die ein lächerliches halbes Prozent des deutschen Weinbaus repräsentiert und sich ausschließlich auf steile oder steilste Lagen verteilt. Deswegen ist die Ahr die einzige Weinbauregion Deutschlands, in der sämtliche Trauben von Hand gelesen werden müssen. Und da dieses Tal zu allem Überfluss auch noch ideale klimatische und geologische Bedingungen für den Weinbau besitzt, war es grotesker Irrwitz, ausgerechnet hier billige Massenware zu keltern. Was dann geschah, hätte sich keine Märchenfee schöner ausmalen können. Heute ist die Ahr die renommierteste deutsche Rotweinregion, deren große Gewächse bei Blindverkostungen regelmäßig die gesamte Weinwelt einschließlich der berühmten Brüder aus dem Burgund übertrumpfen.

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          Julia Bertram ist das Glückskind dieses Märchens. Sie stammt aus einer Winzerfamilie in fünfter Generation, hat in Geisenheim Weinbau und Önologie studiert, bewirtschaftet zurzeit zweieinhalb Hektar in besten Lagen, lässt im Keller gerade ihren ersten kompletten Jahrgang von siebentausend Flaschen reifen, obwohl sie noch lange keine dreißig ist, und sitzt uns jetzt im Familienweingut in Dernau gegenüber, um die vinologischen Privilegien ihrer Heimat zu preisen.

          Exzellenter Spätburgunder dank exponierter Lage

          Die Ahr, eine Art Mosel en miniature, aber viel wilder und ursprünglicher als ihre große Schwester im Süden, schenkt den Winzern durch die Fließrichtung von West nach Ost lauter exponierte Südhanglagen am nördlichen Ufer, speichert durch die Enge des Tals die Wärme des Tages und wird dank der umliegenden Mittelgebirge von Hagelschlag und anderen Winzeralbträumen verschont. Nur deswegen ist es möglich, am 51. Breitengrad noch exzellente Rotweine zu keltern, Spätburgunder vor allem, die Leib- und Seelentraube der Ahr. Er wächst - im Gegensatz zur restlichen Weinwelt - meist auf Schiefer, der dieser kapriziösen Sorte viel Mineralität, leichte Salznoten und eine ideale Säurestruktur gibt. Doch genauso wichtig wie die Geologie ist die Mentalität der Menschen, die dafür sorgt, dass die Weine nahezu flächendeckend gut sind.

          „Wir sind eine große Familie in einem kleinen Tal“, sagt Julia Bertram. Jeder kenne jeden, ganz gleich, ob Großwinzer oder Nebenerwerbsweinbauer, von denen viele in den drei Genossenschaften der Ahr organisiert seien; eine davon, 1868 gegründet, gelte als älteste Winzergenossenschaft der Welt, allein das zeige, wie groß die Solidarität hier sei. Niemand keltere im Verborgenen vor sich hin, niemand sei auf den Nachbarn neidisch, stattdessen gebe man sich Ratschläge, sei ständig in den Kellern der Kollegen und lerne pausenlos voneinander. Selbst die Kleinstwinzer hätten den Ehrgeiz, so gute Weine zu machen wie ihre VdP-Kollegen. Sie wolle das ja genauso, Spitzenwinzerin wolle sie werden, nichts anderes, und deswegen verlange sie auch schon Preise wie die VdP-Granden.

          Idyllisch: Das Ahrtal inmitten schroffer Felsen und steiler Weinberge.
          Idyllisch: Das Ahrtal inmitten schroffer Felsen und steiler Weinberge. : Bild: AP

          Man mag sich über das ausgeprägte, wenngleich vollkommen unprätentiöse Selbstbewusstsein dieser jungen Frau mit rotblondem Loreley-Schopf ein wenig wundern, doch es gibt gute Gründe dafür. Zum einen ist sie ein typisches Kind ihres Heimattals, in dem die rheinland-pfälzische Gelassenheit und das rheinländische Frohnaturell eine glückliche Ehe frei von allen Selbstzweifeln eingegangen sind.

          Im Auftrag des deutschen Weins auf Weltreise

          Und zum anderen hatte Julia Bertram ausreichend Gelegenheit, Selbstbewusstsein zu üben. Denn 2012 wurde sie zur Deutschen Weinkönigin gewählt, eine Würde, wie sie uns mit breitem Lachen versichert, die nichts mit Bikinis und Zahnpastalächeln zu tun hat. Stattdessen wurden die Unterweinköniginnen aller dreizehn deutschen Weinbaugebiete von einer achtzigköpfigen Jury auf ihr Weinwissen getestet, mussten ihre Bühnenpräsenz beweisen und schließlich verschiedene Rebsorten blind benennen.

          Anschließend ging es für Julia Bertram auf Weltreise, 255 Tag lang war sie von New York und Toronto bis Schanghai und Singapur unterwegs, um den deutschen Wein zu repräsentieren, Vorträge zu halten oder Sommeliers zu schulen. In diesem einen Jahr, sagt Ihro Majestät außer Dienst, habe sie so viel gelernt wie andere in fünf Jahren. Und am besten sei es, dass sie jetzt fast alle Weinbaugebiete der Welt kenne.

          Weine, so bodenständig wie ein kölsches lecker Mädsche

          Ihren Weinen hat diese lehrreiche Weltwanderschaft nicht geschadet. Julia Bertram konzentriert sich als Terroir-Fanatikerin auf Lagenweine oft aus winzigen Parzellen, die sie in Dreihundert-Liter-Eichenfässern mit vergleichsweise wenig Alkohol und einer filigranen Säurestruktur so schonend wie möglich ausbaut - die Qualität entsteht im Weinberg, nicht im Keller, so lautet ihr Motto, wobei ihr außer einem Frühburgunder nichts als Spätburgunder ins Fass kommt. Noch ist es viel zu früh für letztgültige Schlüsse. Aber jetzt schon steht fest, dass nichts an ihren Weinen an Kompott oder Marmelade erinnert, an überreife Früchte oder rauchige Rauhbeine.

          Vielmehr tänzeln die Burgunder leichtfüßig auf der Zunge, schmiegen sich mit ihrer kitzelnden Mineralität fast schon kokett an den Gaumen, haben dabei nichts Primadonnenhaftes und auch nichts Majestätisch-Monumentales, sondern sind trotz allen Raffinements immer noch so bodenständig wie ein kölsches lecker Mädsche. Die Regentschaft als Deutsche Weinkönigin hat glücklicherweise weder bei Julia Bertram noch bei ihren Burgundern Dünkelspuren hinterlassen. Und wer weiß, vielleicht wird sie ja eines Tages die Herrscherin im Königreich des Spätburgunders sein.

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