Kolumne Geschmackssache : Ein derart perfekter Weinberg entsteht nicht über Nacht
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Wegen der klimatisch günstigen Südhänge, insbesondere am Escherndorfer Lump, gibt es in dem Dorf viel Weinbau. Bild: dpa
Das Weingut Sauer in Escherndorf hat das Glück, eine der besten fränkischen Weinlagen bewirtschaften zu dürfen – ein Privileg, das der junge Daniel Sauer nach allen Regeln der Winzerskunst auskostet.
Wein ist Poesie in Flaschen. Das kann jeder Weinliebhaber mit Robert Louis Stevenson guten Gewissens sagen und würde niemals behaupten wollen, dass Weinlagen prinzipiell Poesie in Worten sind. Schließlich kommen einige der besten deutschen Gewächse aus Rebgärten, die so klangvolle Namen wie Hubacker, Grainhübel oder Kalkofen, Ungeheuer, Jungfer oder Sackträger, Dicker Franz, Goldenes Loch oder Hohe Gräte tragen.
Den Vogel aber schießt der Lump in Escherndorf am Main ab, der zwar nicht nach einem niederträchtigen Kerl benannt ist, doch das macht die Sache nicht besser. Der Lump heißt nämlich so, weil ihn einst das alte fränkische Erbrecht in lauter winzige Parzellen zerstückelte, die von der einheimischen Bevölkerung als „Lappen“ bezeichnet wurden.
Die Legende erzählt, dass die Escherndorfer eines Tages traurig vor ihrem Lappenweinberg standen und darüber sinnierten, wie schön es wäre, wenn dieser Flickenteppich wieder zu einem großen Lumpen zusammenfände. Und deswegen heißt die 35 Hektar große Premiumlage an der Mainschleife bei Volkach seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts so wie andernorts Schurken, Gesindel oder altersschwache Putzhilfsmittel.
Ein Berg für Weinliebhaber in aller Welt
Rainer und Daniel Sauer ficht das nicht an. Sie leben in symbiotischer Eintracht mit ihrem Lumpenlappen und halten ihn in höchsten Ehren, weil sie diesem Wunderweinberg – so wie halb Escherndorf – Ruhm und Reichtum verdanken. Fünfzehn Winzer, davon allein vier Mitglieder im Verband der Deutschen Prädikatsweingüter (VDP), gibt es in dem Dreihundertsiebzig-Seelen-Nest, das sich auf einem schmalen Streifen zwischen einem Altarm des Mains und der Steillage des Lumpen zusammendrängt, behütet von dem berühmten Weinberg, der dafür sorgt, dass nicht nur die Dorfbewohner, sondern auch Weinliebhaber in aller Welt immer genug Poesie in der Flasche haben.
Denn wie aus dem Füllhorn von Gott Bacchus lässt er Ströme von Großen Gewächsen in die Keller der Sauers und der anderen VDP-Winzer hinabfließen, weil sagenhafte zwanzig seiner fünfunddreißig Hektar Fläche als Große Lagen, als die besten aller deutschen Weinparzellen, klassifiziert sind.
Ein derart perfekter Weinberg entsteht nicht über Nacht, ganz im Gegenteil. Fast eine Viertelmilliarde Jahre hat die Natur herumexperimentiert, bis der Lumpen fertig war: eine reine Südlage, die durch ihre Kesselform wie in einem Hohlspiegel die Sonneneinstrahlung noch potenziert und dafür sorgt, dass es hier immer zwei Grad wärmer ist als in den Wingerten ringsum; ein Steilhang mit bis zu siebzig Prozent Neigung, der den Trauben eine maximale Zahl an Sonnenstunden beschert und zudem noch vollkommen windgeschützt ist; ein charakterstarkes Terroir mit Böden aus verwittertem Muschelkalk, die nicht nur Wasser und Wärme speichern, sondern dem Wein auch eine filigrane Mineralität verleihen.
Der Silvaner ist die Leidenschaft von Rainer Sauer
Ein Weinberg also, wie ihn sich jeder Winzer in seinen kühnsten Träumen ersehnt. Familie Sauer muss indes nicht träumen, denn sie besitzt gleich fünfeinhalb Hektar im Lumpen, die ausnahmslos als Große und Erste Lagen klassifiziert und fast ausschließlich mit Silvaner und Riesling bepflanzt sind.