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Ernährung : Elfmal essen, bis es schmeckt

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Vier Wochen lang jeden Tag Gemüse? Autorin Kathrin Wesolowski macht den Selbsttest. Bild: dpa

Sich gesund und abwechslungsreich ernähren – das klappt wohl am besten mit Gemüse. Nur kann unsere Autorin Gemüse überhaupt nicht ausstehen und isst es auch nie. Das soll sich jetzt für vier Wochen ändern. Denn Geschmack will angeblich angelernt sein.

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          Genüsslich beißt meine Freundin in ihre warme Käsetasche, mein Kommilitone schaufelt beherzt Nudeln und Fleisch in sich hinein. Gleichzeitig schaue ich geknickt auf meinen Plastikteller hinunter: Ein saftig grüner Salat mit roten Tomaten, frischen Karotten und knackigem gelben Mais starren mich an. Was sich für andere lecker anhören mag, ist für mich das pure Grauen. Ich mag Gemüse überhaupt nicht, esse es seit bestimmt 15 Jahren nicht mehr. Also bin ich genau die Richtige dafür, einen Selbstversuch zu starten und vier Wochen lang jeden Tag Gemüse zu essen.

          „Menschen können sich Geschmack antrainieren“, lese ich in verschiedenen Internetforen. „Wenn du nur häufig genug ein neues Lebensmittel isst, wird es dir bald schmecken.“ Ich frage mich sofort: Ist das tatsächlich möglich? Wenn ja, wäre das ja die Möglichkeit für so viele Übergewichtige, wirklich ihre Ernährung umzustellen. Und eine Möglichkeit für mich, endlich Gemüse zu essen.

          „Ich habe mich heute wie eine Kuh gefühlt, die Gras isst“, sage ich meiner Mutter nach dem ersten Tag meines Selbstversuchs am Telefon, „warum essen Menschen überhaupt Gemüse?“ Meine Mutter ist stolz, dass ich den Selbstversuch mache – dass ich es wirklich durchziehen kann, bezweifelt sie aber.

          „Es ist nicht sicher, ob es geht“, sagt auch Geschmacksforscher Professor Wolfgang Meyerhof vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Er befasst sich damit, wie Geschmackswahrnehmung das menschliche Ernährungsverhalten beeinflusst. Theoretisch müsse es aber funktionieren, wenn man das Gemüse nur oft genug esse – so sei das wenigstens bei Kindern. Eine französische Studie habe gezeigt, dass Kleinkinder ein unbekanntes, bitteres Lebensmittel elfmal essen müssten, bis sie es freiwillig essen würden. Geschmack müsse sich nämlich herausbilden und komme einfach mit der Gewohnheit. Je häufiger man ein Lebensmittel esse, desto gewohnter wäre der Geschmack, bis man ihn ohne Abneigung genießen kann.

          Wie jedes Kind musste auch ich im Kleinkindalter Gemüse essen. Kinderfotos beweisen, dass ich Spinat, Karotten und Bohnen gegessen habe – widerwillig, aber ich habe Gemüse gegessen. Irgendwann durfte ich selbst entscheiden, was ich esse, und seitdem esse ich absolut kein Gemüse. Woran das liegen kann, erklärt mir Meyerhof.

          Zwiebelsaft gegen Husten

          „Wir müssen das alles im Lichte der Evolution sehen“, erklärt der Geschmacksforscher. Da hätten Menschen sich vor giftigen Beeren und Kräutern schützen müssen. Kinder bekommen als erste Nahrung Muttermilch, die süßlich ist – bitteren Geschmack assoziieren sie dagegen mit Gefahr. Wenn Magen- oder Darmprobleme nach dem Essen von Gemüse auftreten, schrecke das natürlich ab. Oder wenn man ein Schockerlebnis im Zusammenhang mit Gemüse im Kindesalter erlebt hat.

          Sofort schießt mir ein Gedanke in den Kopf. Als Kind hat mir meine Mutter Zwiebelsaft als Hausmittel gegen Husten gegeben. Ich fand den Geschmack nahezu unerträglich, musste mich fast übergeben. Ob dieses Schockereignis wohl meine totale Gemüseabneigung erklärt? Durchaus vorstellbar, sagt Meyerhof.

          Am Gemüsestand im Supermarkt war unsere Autorin immer vorbeigegangen.
          Am Gemüsestand im Supermarkt war unsere Autorin immer vorbeigegangen. : Bild: dpa

          Dennoch beschließe ich, das Experiment zu starten und meine Abneigung zu überwinden. Vor meinem Selbstversuch grenze ich die Gemüsesorten, die ich essen werde, noch ein. Schließlich gibt es Unmengen an Sorten, die ich mitnichten kenne. Manchmal fällt mir schon der Unterschied zwischen Zucchini und Gurke schwer.

          Ich entscheide mich für Paprika, Karotten, Mais, Tomaten und Salat und mache erst einmal einen Großeinkauf. Als ich den Gemüsestand im Supermarkt anpeile, eröffnet sich für mich ein völlig neues Terrain. Ich fühle mich gut und gesund – dabei habe ich noch nicht einmal etwas gegessen. Am Ende schleppe ich eine riesige Tüte Gemüse nach Hause. Kommentar meiner Mutter: „Du wirst dieses Gemüse niemals essen.“

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