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Essen in Portugal : Ohne Schwein geht hier kaum was

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Önologe Baverstock von der „Herdade do Esporão“ Bild: Stock Food

In der portugiesischen Region Alentejo, inmitten von Korkeichen und Olivenbäumen, beschreiten einige Gastronomen vorsichtig einen Weg, der Tradition und Innovation miteinander verbindet. Eine Reise in fünf Etappen zu Eichelkeksen, Bacalhau, Cozido und Lomo.

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          An der Bar des „Cafe Central“ im portugiesischen Reguengos de Monsaraz in der Region Alentejo sitzen Weinbauern im Neonlicht. Der Chef und Patron gibt sich mürrisch, schiebt aber eine Platte nach der anderen über den Tresen. Es gibt zunächst Schellfisch „em escabeche“, angebraten und mit Zwiebeln, Olivenöl, Knoblauch und Essig sauer eingelegt, als zweiten Gang in Paprikapaste gebratene Schweinerippchen und -ohren, gefolgt von gekochtem Lamm mit Kartoffeln und Zitrone. Selbstverständlich auch Bacalhau-Kroketten aus getrocknetem Kabeljau, ganz leicht und fluffig wie eine Kartoffelmousseline, zu denen die Einheimischen sofort nach Tomatensalat mit Oregano verlangen. Handgeschnittener Iberico-Schinken auf Zuckermelone ist dann beinahe schon Dessert, doch auch Käse muss sein. Eine frische Variante serviert der Patron auf Crackern mit süßer Tomatenmarmelade, eine gereifte Variante mit Melone, und die Reserva Weine der Herdade de Esporão in den Gläsern freuen sich.

          Für viele Portugal-Touristen beginnt und endet das Land an der Algarve. Sie verpassen die Weite des dünn besiedelten, ländlichen Alentejo keine zwei Autostunden nördlich. Der Himmel darüber ist von maritimer Bewegtheit, mit Sonnenuntergängen in Goldpinkhellblaugrausilber. Burgen erzählen von vergangenen Zeiten, und auch die Küche schwingt beständig zwischen Gestern und Heute. Käse zum Beispiel wird hier traditionell aus der unbehandelten Milch der Merino-Schafe erzeugt, deren Herden vom Norden Portugals hinunter ziehen, erzählt Fernando Pereira, der die kleine, aber modern nach EU-Vorschriften eingerichtete Käserei „Lactobelavista“ in Rio de Moinhos bei Borba betreibt.

          Traditionen werden eingehalten

          Während seine Eltern noch den Herden folgten, um die euterwarme Milch im Frühjahr und Sommer zu verarbeiten, holt Pereira die Milch mit seinem Tankanhänger jeden Tag von Bauern aus der Umgebung. Die Methode jedoch ist die gleiche geblieben und könnte kaum einfacher sein: Er mischt Salz und flüssigen Distelextrakt als Gerinnungsmittel unter die Milch, lässt sie 30 Minuten stehen und schöpft die entstandene Gallerte in die perforierten Formen. In der Reifekammer verdichtet sich die sahnige Üppigkeit nach zwei bis sechs Monaten zu einer nicht unangenehmen Schärfe. Bis vor etwa fünf Jahren habe man den Extrakt selbst aus den Distelblüten gewonnen, und der Geschmack sei intensiver gewesen als mit dem heute vorgeschriebenem, standardisierten Produkt, sagt der stämmige Endvierziger. Aber so sei das nun eben. Rohmilch hingegen, das müsse sein.

          Auch im größten und erfolgreichsten Weingut des Alentejo, dem „Herdade do Esporão“, hält man sich an die Traditionen des von knorrigen Korkeichen und Olivenbäumen durchzogenen Landstrichs. Vor vier Jahren hat der Quereinsteiger Miguel Vaz das Gut übernommen. Vaz, 36, hat über Philosophie, Chemie und Heavy Metal zum Kochen gefunden und zuvor in Lissabon mit José Avillez gearbeitet - dem Star der modernen portugiesischen Küche. Im modern gestalteten Restaurant bietet Vaz behutsam überarbeitete Regionalklassiker an. Man darf die Tradition nicht missachten, betont er; wenn man etwas verändert, sollte man dafür einen guten Grund haben.

          Den Nacken der hier allgegenwärtigen schwarzen Schweine confiert er 16 Stunden im eigenen Fett, brät ihn dann kurz an und legt ihn auf holzofengegartes Gemüse. Den kulinarischen Dauerbrenner Bacalhau - getrockneten Kabeljau - serviert er ganz klassisch als „açorda de beldroigas“ in einer Brühe mit der hier heimischen Poleiminze, Ziegenmolkekäse und Brot, das Ganze aromatisiert von Knoblauch, Zwiebeln und Koriander, gekrönt von einem pochierten Ei.

          Viel Gespür und Können

          Gemüse und Obst für die Küche kommen aus dem gutseigenen Garten. Dort wachsen Granatäpfel, Kakifrüchte und Quitten. „Bei meiner Großmutter wurden die Quitten grundsätzlich zu Paste verarbeitet, aber ich pochiere sie in Moscatel und serviere sie zu Wild und Schwein“, erzählt Vaz. Nicht nur sie. Auch Kürbis, Tomaten, Paprika, Kartoffeln, Zwiebeln und Kohl, der hier in kleinen Bäumen wächst wie Palmkohl kommen bei Vaz pochiert auf den Tisch.

          Der Garten ist Teil der feinfühligen Neuorientierung des gesamten Anwesens durch João Roquette, den Sohn des Gründers, hin zu gelebter Nachhaltigkeit und Biodiversität. Das ist auch in den Weinen deutlich schmeckbar. Sie verleugnen die sommerliche Hitze und Dürre keineswegs, doch das Team um den Chef-Önologen David Baverstock arbeitet mit viel Gespür und Können, um sie mit Hilfe autochthoner Sorten selbst in den einfachen und sehr erschwinglichen Qualitäten in vergnügliche Trinkbarkeit zu übertragen.

          Auf der „Herdade de Malhadinha Nova“, eine gute Autostunde südlich bei Albernôa gelegen, setzen João Soares und seine Familie seit 1998 gleichermaßen auf die Kombination von Innovation und hergebrachten Werten, auf das „neue Alentejo“, wie der 45 Jahre alte Unternehmer es nennt. In dem zum Boutiquehotel umgebauten ländlichen Anwesen inmitten von Weinbergen, Oliven und Eichelweiden verbirgt sich ein hochmoderner Keller, aus dem der weiße Malahadinha, bestehend aus den Sorten Arinto, Viognier und Chardonnay, an großen Chablis erinnert und sich doch souverän über diesen Vergleich hinwegsetzt.

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          Heimische Käsesorten :

          Die Küche serviert dazu das Fleisch der eigenen Rinder, der rotbraun leuchtenden, lang behornten Alentejanos und der schwarzbraunen, eichelverwöhnten Iberico-Schweine. Dazu gibt es migas. Keine Beilage könnte traditioneller sein: Altes Brot wird in Wasser eingeweicht, ausgedrückt, in Stücke geschnitten und in Olivenöl angebraten, bis eine relativ feuchte Masse entsteht, wobei wie bei einem Omelett alles von Chorizo bis zu Gemüsen und Kräutern zugegeben werden kann. Das Ergebnis kann sowohl Frühstück, Hauptgang als auch Beilage in feinster Umgebung sein und schmeckt großartig.

          Die Dritte im Bunde der neuen Alentejo-Adressen ist die „Herdade dos Grous“, ebenfalls bei Albernôa. Hotel, Restaurant und Weingut werden heute von Luis Duarte geleitet, der als Önologe auch die Weine von Esporão und Malhadinha maßgeblich geprägt hat. Zum traditionell im bunten Stoffbeutel servierten Brot gibt es hier beim Mittagessen weiße, aromatische und gar nicht-traditionelle Ziegenbutter sowie eine Vielzahl von Vorspeisen: Kichererbsen mit Bacalhau, Oktopus mit roter Paprika, Bohnen und Zwiebeln, Rührei mit Bohnenkernen und grünem Spargel und selbstverständlich Chorizo und Lomo. Es folgen geschmortes Lamm mit Kartoffeln und Minze und danach ein sehr kurz gegrilltes Alentejana-Steak. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass die Grous-Weine all das sowohl in Weiß als auch Rot bestens begleiten.

          Vielfältiges Mosaik erlaubt Klima- und Bodenanpassung

          Der Aufbruch in die Moderne ist gleichzeitig Rückbesinnung auf die Natur nach der landwirtschaftlichen Industrialisierungswelle während der Diktatur. Den Anstoß dazu schreiben hier alle einstimmig Alfredo Cunhal Sendim zu, auf dessen „Herdade de Freixo do Meio“, eine knappe Autostunde westlich von Évora, es alles andere als luxuriös zugeht. Der drahtige 47-Jährige ist studierter Agronom und baut auf 440 Hektar Gemüse, Oliven, Reis und Eicheln an, er hält Kühe, Schweine, Schafe, Ziegen, Truthähne und Hühner und macht Rotwein auf einfachste Art im Betonbecken. Und das alles nach biodynamischen Richtlinien.

          Seit seiner Familie das Land rückübertragen wurde, arbeitet er beharrlich daran, das alte Montado-System wiederaufzubauen. Dabei werden nicht nur die lockeren Eichenwälder im Herbst und Winter als Weide für die Schweine genutzt, deren Fleisch dabei seinen ganz besonderen Charakter erhält. In einer Art Permakultur erlaubt vielmehr ein vielfältiges Mosaik unterschiedlichster Kulturen die Anpassung an die extremen Klima- und Bodenverhältnisse. Denn Sendim sieht die Zukunft des Alentejo komplex. Nachhaltige Monokulturen seien auf Dauer unmöglich anzubauen, ein richtiger Bauer müsse vielmehr das Potential jedes einzelnen Elements verstehen, um dann alles besser aufeinander abzustimmen.

          Sendim liegt vor allem daran, ein Bewusstsein für all das zu schaffen und den in der Landwirtschaft tätigen Menschen ihre Selbstachtung zurückzugeben. Auf Vorbestellung serviert er für Besuchergruppen in einem alten Stall Cozido, das traditionelle Mittagessen der Landarbeiter. Für das brachte einst jeder seinen eigenen Tontopf mit, in dem Kichererbsen, Kohl, Karotten und Kartoffeln zusammen mit wenig Schweinefleisch und geräucherten Farinheira-Würsten, die aus Mehl, Schweinefett, Weißwein und Paprika bestehen, in der Glut langsam garten. Heute gibt es dazu an den langen Tischen unter dem Holzgebälk selbstgebackenes Brot, Oliven und Rotwein. Eine beliebte Beilage sind auch Eichelkekse, weil Sendim der festen Überzeugung ist, Eicheln seien viel zu nahrhaft und wohlschmeckend, um sie allein den Schweinen zu überlassen.

          Zusammen mit einer Forschergruppe hat er ein Schälverfahren entwickelt, durch das die richtige Art von Eicheln zu Tee, Brot oder tatsächlich durch und durch überzeugenden dunkelmürben kernigen Keksen verarbeitet werden können. Wer jetzt meint, die kulinarische Zukunft des Alentejo sei eine vegetarische, hat weit gefehlt. Ob modern oder traditionell, ohne Schwein geht hier wenig: Neben den Eicheln sind Honig und vor allem Schweineschmalz maßgeblich in den würzigen Keksen vorhanden.

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