Chef im Glück
Text von JAKOB STROBEL Y SERRAFotos von WONGE BERGMANN
8. Dezember 2020 · Drei-Sterne-Koch Christian Bau hat sich seinen Aufstieg in die internationale Spitzenküche hart erarbeitet – und dabei eine einzigartige Symbiose geschaffen.
Er war am Ziel seiner Träume und wollte nur noch wegrennen. Er stand auf dem Gipfel der Gipfel und wusste, dass er in einer Sackgasse gefangen war. Er hatte endlich erreicht, wofür er 15 Jahre lang wie ein Besessener geschuftet hatte, und fühlte sich wie der unglücklichste Mensch auf Erden: Im Jahr 2005 verlieh der „Guide Michelin“ dem 34 Jahre alten Christian Bau als damals jüngstem Koch Deutschlands den dritten Stern und stürzte ihn damit in eine tiefe Lebenskrise. Den Aufstieg in den Olymp der besten Köche der Welt hatte der Lieblingsschüler von Harald Wohlfahrt mit einer klassischen französischen Haute Cuisine im Stil seines Lehrmeisters erreicht.
Tausende Male hatte er getrüffelte Perlhuhnbrust und farcierte Wachteln, Kalbsbries im Blätterteig und Gänseleber-Terrine mit Sauternes-Gelée gekocht. Doch jetzt wollte er das keinen Tag länger tun. „Eine Welt ist in mir zusammengebrochen, weil ich merkte, dass ich in einer Zwangsjacke steckte. Das Dogma der französischen Küche war mir plötzlich zuwider, und ich wollte auch nicht mehr Pavarotti im Restaurant hören und jeden Abend nach dem Service den Grüßaugust in Bundfaltenhose mit Lackschühchen bei meinen Gästen machen.“ Also stellte Bau mit einer kompromisslosen Radikalität, die wohl ein Wesenszug ist, den Besitzer des Restaurants vor die Wahl: Entweder alles ändert sich, oder er verlässt sofort das Haus.
15 Jahre später kocht Christian Bau noch immer im „Victor's Fine Dining“ in Perl-Nennig an der Obermosel und wirkt wie ein Mann, der am Ziel seiner Träume ist und mit der Gelassenheit eines glücklichen Menschen auf dem Gipfel der Gipfel steht – noch immer mit drei Michelin-Sternen und Maximalbewertungen in allen relevanten Restaurantführern ausgezeichnet, mehr denn je als einer der großen Chefs seiner Zeit verehrt, weil er etwas vollbracht hat, das nicht allen Spitzenköchen vergönnt ist: Er hat sich von den Fesseln des Traditionalismus befreit, um sein eigenes Kapitel aufzuschlagen und selbst Küchengeschichte zu schreiben.
So rigoros und virtuos wie kein anderer deutscher Meisterkoch vor ihm hat Christian Bau die französische Haute Cuisine mit der japanischen Hochküche verschmolzen und aus dieser Liebesheirat weder eine europäische Küche mit Japanoiserien als kulinarischer Dekoration noch eine japanische Küche mit europäischer Kolonialherrenattitüde geschaffen. Sondern etwas Neues, Eigenständiges, Einzigartiges: eine Symbiose aus dem Besten des Abendlands und des Lands der aufgehenden Sonne.
Niemand anderes als Christian Bau kann das Urheberrecht dafür beanspruchen, dass heute in jedem besseren Landgasthof Chawanmushi so selbstverständlich wie Rührei auf der Karte steht und den deutschen Feinschmeckern Ponzu oder Yuzu so vertraut sind wie Äpfel und Birnen. Dass er sein Copyright indes nicht vehement für sich einfordert, kann man wohl nur mit dem hart erkämpften Gleichmut eines Manns erklären, der in seinem Leben schon genug Kämpfe ausfechten musste. Christian Bau wurde nichts geschenkt und nichts in die Wiege gelegt, außer einem überragenden Talent als Koch. Keine glückliche Kindheit war ihm beschieden, als er 1971 in Offenburg zur Welt kam. Seine Mutter war blutjung, hatte nie Geld, musste ihn allein erziehen und kam mit der Situation nicht zurecht. Die Abschlussfahrt in der Realschule konnte er nur mitmachen, weil sein Klassenlehrer das nötige Geld beim Landratsamt besorgte.
Schon mit 14 Jahren war er so verzweifelt über das ganze Elend, dass er unbedingt Geld verdienen wollte, womit auch immer. Während der großen Ferien fand er einen Job in der Küche des Hotels Sonne Eintracht in Achern – und war sofort Feuer und Flamme. Die Disziplin, die Organisation, die festen Hierarchien, die wie am Schnürchen funktionierenden Abläufe: Das alles kannte er nicht und wollte unbedingt Teil davon sein. Vor allem aber fand er in der Küchenbrigade zum ersten Mal in seinem Leben eine richtige Familie.
Zwei Wochen lang sollte er ursprünglich bleiben, verließ die Küche dann aber erst am letzten Ferientag. Nach dem Realschulabschluss begann er eine Lehre in der Sonne, zog von zu Hause aus und sollte nie wieder zurückkehren – ein verlorener Sohn, der am Herd eine neue Heimat fand. Sein Lehrmeister August Götz wurde zum Förderer und Vaterersatz, doch seine Lebensschule war so hart wie in einem Roman von Charles Dickens.
„Ich bekam Backpfeifen, wurde an den Ohren durch die Küche gezogen und hatte das volle Programm mit Strafdiensten und Strafarbeiten“, sagt Bau. Er wurde aber auch auf den Straßburger Großmarkt geschickt, fand dort ein Schlaraffenland voller Bresse-Hühner, Charolais-Rinder und bretonischer Austern. Und hoffte jedes Mal, dass ihn der Zoll bei der Rückfahrt nicht schnappte.
In den Zimmerstunden zwischen Mittags-und Abendservice saß der Jungkoch wie hypnotisiert vor dem Fernsehapparat, in dem zu jener Zeit die Sendung „Essen wie Gott in Deutschland“ lief. Er bestaunte Eckart Witzigmann und Heinz Winkler, redete fortan von nichts anderem als ihren Kreationen und bekam in der Küche den Spitznamen „Witzigmann“ verpasst. Er brannte vor Ehrgeiz, weil er aller Welt beweisen wollte, dass er kein Taugenichts war und es trotz seiner prekären Familienverhältnisse zu etwas bringen konnte.
Seine Ausbildung schloss er als bester Lehrling seines Jahrgangs in Baden-Württemberg ab, zehn Einsen und eine einzige Zwei standen in seinem Zeugnis, mit dem er stolz wie Oskar zu seinem Lehrmeister ging. „Er saß am Schreibtisch, schaute es gar nicht an, warf nach fünf, sechs Minuten einen Blick darauf und sagte nur: 'Wieso ist da eine Zwei?'“ Doch Bau ist frei von Groll, im Gegenteil: „Ohne August Götz wäre ich abgestürzt, er war meine Rettung, er hat mich ins Leben geführt. Und heute ruft er bei jeder meiner Auszeichnungen an und weint am Telefon.“
Christian Bau sollte noch ein zweites Mal Glück mit seinen Ersatzvätern haben. Er ging in die „Talmühle“ nach Sasbachwalden, in der ein hochsolider Michelin-Stern gekocht wurde, und fand im Patron Gutbert Fallert wieder einen Gönner und Förderer, der den Jungkoch schon nach wenigen Monaten vom Commis zu seinem Souschef beförderte und einen Handel mit ihm schloss: In alle Sternerestaurants der weiteren Umgebung schickte er seinen Musterschüler, der danach detailliert Rapport über das Essen geben musste. Nachdem die baden-württembergischen Sternehäuser erledigt waren, kam am 7. Juli 1990 der Schicksalstag, der dem Leben des jungen Christian Bau seine endgültige Wendung geben sollte: Fallert reservierte für den Spitznamen-Witzigmann einen Tisch beim echten Witzigmann in der „Aubergine“ in München, dem ersten Drei-Sterne-Restaurant Deutschlands.
Bau kaufte sich noch schnell ein Sakko bei C&A, setzte sich mit seiner Freundin in seinen Renault 4, aß das große Menü und sah dann den Meister in leibhaftiger Gestalt bei der Lokalrunde: „Ich war überwältigt von seiner Aura, vom Stolz, mit dem er Koch war und sich als Koch zeigte.“ Dann setzte sich Witzigmann zu dem Paar, das sich den ganzen Abend lang an der günstigsten Flasche Rosé festgehalten hatte, bestellte Champagner, nahm Baus Freundin in den Arm und plauderte anderthalb Stunden lang mit dem neunzehnjährigen Jungkoch, der vor lauter Ehrfurcht kaum ein Wort über die Lippen brachte. Doch jetzt wusste er, wohin sein Leben führen würde, von diesem Tag an wollte er nur noch eines: ein echter, sein eigener Witzigmann werden.
Gutbert Fallert war klug genug, um zu wissen, dass er seinen talentiertesten Schüler nach diesem Erweckungserlebnis verlieren würde. Bau musste zur Bundeswehr, absolvierte ein Intermezzo in einem französischen Restaurant am Oberrhein, ging mit 22 Jahren in die „Schwarzwaldstube“ nach Baiersbronn und verbrachte dort fünf Jahre, die ihn für immer prägen sollten. Anfangs musste er Berge an Gemüse tournieren, „gefühlte 85 Stunden pro Woche“, wie er sich bis heute erinnert, wurde dann aber von Harald Wohlfahrt sehr schnell zum Souschef befördert. „Ich war ein Rotzlöffel, der kochen konnte und nichts anderes als Kochen im Kopf hatte“, sagt Bau, der oft eine Stunde vor seinen Kollegen in die Küche kam, um an einem Probeteller zu arbeiten, ihn dann nach dem Service vollendete, während alle anderen schon beim Feierabendbier waren, und dem Chef präsentierte.
Viele dieser Teller fanden ihren Weg auf die Karte, bald machte Bau auch den Einkauf, schrieb die Menüs, kümmerte sich um das Personal, manchmal auf die robuste Art: „Wenn Wohlfahrt mit jemandem nicht zufrieden war, bin ich mit ihm ins Kühlhaus gegangen.“ Schliff und Sorgfalt, Qualitätsbewusstsein und technische Perfektion, das alles, sagt Bau, habe er von Harald Wohlfahrt gelernt und schließlich voller Dankbarkeit mit nach Perl an die Mosel genommen.
Vielleicht hielt das Schicksal dort seine Hand als Trost für die schwere Jugend schützend über Christian Bau. Jedenfalls schritt es wieder zur Tat, als der immer noch junge Koch einen Freund in Trier besuchte und auf dem Weg am Moselufer ein schneeweißes Renaissance-Schlösschen sah. Er fuhr hin, traf auf der Treppe zufällig den Besitzer, kam mit ihm ins Gespräch und bald auch ins Geschäft.
Hartmut Ostermann, erfolgreicher Unternehmer, größter Betreiber privater Altenheime in Deutschland, Besitzer einer Handvoll Hotels, darunter auch Schloss Berg, wollte aus dieser Pretiose etwas ganz Besonderes machen und konnte sein Glück kaum fassen, dass er die rechte Hand des damals besten Kochs in Deutschland am Haken hatte.
Er engagierte ihn für das Schlossrestaurant, in dem die Küche scheußlich war – deutsche Kulinarspießigkeit in Reinkultur einschließlich Papiertischdecken und Trockenblumen. Im April 1998 fing Bau mit 26 Jahren im „Victor's Fine Dining“ an, im November kam der erste Michelin-Stern, im Jahr darauf der zweite, im siebten Jahr der dritte. Und damit die große Lebenskrise.
Dass sauer lustig macht, ist im speziellen Fall von Christian Bau keine Plattitüde, sondern eine Lebenserkenntnis. Denn Yuzu, Japans vornehme Schwester unserer Zitrone, sollte für ihn zu einem probaten Mittel gegen die Schwermut werden. Er begann, sie kistenweise direkt in Japan zu bestellen, und auch alle anderen japanischen Zitrusfrüchte fanden bald den Weg in seine Küche, wobei ihm der niederländische Drei-Sterne-Koch und Säurefetischist Sergio Herman ein verlässlicher Berater und Bruder im Geiste war. Nach und nach ersetzte Dashi die klassischen Fonds und Shiso die traditionelle Vinaigrette, das Rindfleisch kam aus Kobe, und Hamachi wurde eigens vom Tokioter Fischmarkt Tsukiji an die Mosel geflogen, während in Baus Restaurant die Kellner ihre Krawatten und die Tische ihre Decken verloren und Pavarotti für immer verstummte.
Als 2008 der Michelin-Führer für Japan erschien, war für Bau die Stunde gekommen, seiner neuen Liebe auf den Grund zu gehen. Er flog nach Tokio, aß sich durch die besten Häuser, staunte über die Thunfisch-Auktionen in Tsukiji, berauschte sich an den Wohlgerüchen auf dem Gemüsegroßmarkt und wurde mit seinem zweiten Erweckungserlebnis nach dem Essen bei Eckart Witzigmann beschenkt: Bis zu dieser Reise hatte sich Bau für einen perfekten Handwerker mit überragendem Qualitätsbewusstsein gehalten. Und nun zeigte ihm Japan, dass es noch etwas ganz Anderes, Besseres, Perfekteres gab, einen noch viel größeren Respekt vor dem Produkt, eine ungeahnte Vollkommenheit bei seiner Zubereitung, eine überwältigende Schönheit bei seiner Präsentation.
Seither ist die Seelenverwandtschaft zwischen dem deutschen Drei-Sterne-Koch und der japanischen Küche unverbrüchlich. Seither gilt auch in seiner Küche das Mantra der absoluten Perfektion und Präzision, die keine Spontaneität, keine Improvisation und schon gar keine chaotische Kreativität duldet. Es ist eine strenge Liturgie, bei der alle Köche ihre Aufgabe und ihren Einsatz genau kennen und meist die Stille einer klösterlichen Vesper herrscht, nur periodisch unterbrochen von einem knappen „Ja, Chef“ als Antwort auf Baus Kommandos.
Das war nicht immer so, der Chef konnte auch ein Vesuv sein, der aus seiner Küche kurzzeitig ein Pompeji machte. „Ich bin ruhiger und souveräner geworden, nicht mehr so verbissen wie früher und kann jetzt sogar in der Küche lachen“, sagt Bau, der sich selbst attestiert, kein einfacher Mensch zu sein. Doch er ist es nicht aus Launen- oder Divenhaftigkeit, sondern allein wegen der unerbittlich hohen Ansprüche, die er an sich selbst und an alle anderen stellt. „Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe: Der Bau reklamiert immer alles“, sagt er und lacht tatsächlich.
In jeder freien Minute ist Bau auf Reisen, um in den besten Restaurants des Erdballs zu essen, weit mehr als 80 Drei-Sterne-Häuser hat er schon besucht. Doch nach Japan ist er nie wieder zurückgekehrt, was kaum zu glauben ist, wenn man sein grandioses Degustationsmenü mit dem programmatischen Namen „Paris-Tokio“ isst. Hier finden zwei nur scheinbar konträre Welten mit einer solchen Plausibilität und Souveränität, mit einer solchen Leichtigkeit und Eleganz zueinander, als seien sie schon immer füreinander geschaffen gewesen.
Der Kürbis aus Hokkaido mit Sot-l'y-laisse, Gnocchi und Alba-Trüffel, die Jakobsmuschel mit Karasumi, Koji und Fischeiern, die Kaviar-Tartelette mit Balik-Lachs und Myoga – all das sind Meisterwerke einer puristischen Opulenz, eines hochkomplexen Minimalismus, lauter Aromen, die in ihrem neuen Kontext ein neues Eigenleben beginnen und ihr altes hinter sich lassen wie einen Kokon.
Die ganze Kunstfertigkeit, der ganze aberwitzige technische Aufwand, der hinter Christian Baus Kreationen steckt, zeigt sich exemplarisch bei einem seiner Klassiker, dem „Japanischen Meer“. 80 Handgriffe sind nötig, bis dieses Gericht mit Pinzetten und Spachteln in feinstmotorischer Maßarbeit vollendet ist. Zunächst wird in der Mitte des Tellers eine Aromenstraße gebaut: aus süßsauer gepickelten Daikon-Röllchen, Sojasprossen, Radieschen, Daikon-Kresse, Hijiki-Algen, Nori-Algenerde mit MisoÖl, Mini-Portulak, Meeresfenchel und Passepierre-Algen und Gillardeau-Austern, die bei 42 Grad pochiert werden, weil sie bei dieser Temperatur die ideale Balance aus minimaler Garung und ozeanischer Jodigkeit bewahren.
Dann werden drei Filets vom Hamachi angelegt, der Gelbflossenmakrele, die zweimal pro Woche aus Tokio eingeflogen wird. Bau beizt sie in Säure mit Sushi-Essig, Zitronengras, Kaffirlimette und Ingwer bei 80 Grad und vakuumiert sie anschließend, weil bei diesem Verfahren das Fett des Fisches schmilzt und die Makrele einen wunderbaren Schmelz bekommt. Zwei Hamachi-Stücke stammen aus dem Linksschnitt des Filets und liegen links der Aromenstraße, ein Stück aus dem Rechtsschnitt, das selbstverständlich rechts liegt – ein Detail, das wahrscheinlich einer von 10.000 Gästen bemerkt, dessen Missachtung aber dem Chef geradezu physischen Schmerz bereitet.
Gekrönt wird der Fisch von Ponzu-Gel und Kaviar, der das Salz ersetzt, weil der Rogen der Makrele keine Gewalt antut, ihr kein Wasser entzieht und sie nicht austrocknen lässt. Schließlich wird das Ganze vom Meister persönlich am Pass mit Austern-Mayonnaise, Seeigel-Eis, Yuzu-Soja-Vinaigrette, Daikon-Öl und eiskalten Stickstoffperlen aus den Auster-Bärten vollendet, die in Planktonstaub gewälzt wurden. Trotz der Dutzenden von Ingredienzien schmeckt das „Japanische Meer“ nicht im geringsten nach einem stürmischen Tohuwabohu, sondern nach einer ungeheuerlich klug und sorgsam orchestrierten Aromenkomposition, nach der Kontemplation eines Zen-Gartens, der so verschwenderisch gefüllt ist wie der Park von Schloss Versailles.
Wegen der Aromensensationen ist Christian Bau im vergangenen Jahr als erster Deutscher zum „Japanese Cuisine Goodwill Ambassador“ ernannt worden, zum Ehrenbotschafter der japanischen Küche. Japans Botschafter in Berlin wiederum hätte sich gewünscht, dass Bau für den Kronprinzen bei dessen Besuch in Deutschland kocht, doch mit diesem eigentlich so selbstverständlichen Anliegen biss er beim Protokoll des Bundespräsidialamts auf Granit, das bei solchen Gelegenheiten lieber einen Caterer engagiert.
Das wiederum veranlasste Christian Bau zu einem Temperamentsausbruch, als er 2018 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde – als erster Koch überhaupt, dem diese Ehre für sein Kochen zuteil wurde, nach einer Viertelmillion Verdienstkreuzträgern seit 1951. Zuvor hatte Harald Wohlfahrt die Auszeichnung für seine Verdienste um die Tourismusförderung und Heinz Winkler als vorbildlicher Arbeitgeber bekommen, ein geradezu bizarres Fanal der Missachtung von Deutschlands Spitzenküche durch Deutschlands Politik.
„Die Arbeit von Joachim Wissler, Sven Elverfeld oder mir ist nicht weniger wert als die Arbeit der Automobilindustrie. Was wir tun, ist Weltklasse, es ist aber als arroganter Luxus verpönt“, sagt Bau, der sich mit Recht darüber aufregt, dass sich kein Politiker jemals in einem Drei-Sterne-Restaurant bei Hummer und Kaviar fotografieren lassen würde und zugleich kein Politiker mit der Kanzlerin an der Spitze ein Problem damit hat, über den roten Teppich des Bayreuther Festspielhauses mit einer 300-Euro-Karte in der Tasche zu schreiten. Deutschland sei eine Neidhammelkultur, die Spitzenküche werde unter einen Generaldekadenzverdacht gestellt, sagt Bau, der manchmal sehnsüchtig in die Schweiz schaut, in der ein Drei-Sterne-Koch wie Andreas Caminada ein Superstar und das Werbegesicht von Luxusuhrenherstellern, Großbanken oder Automobilkonzernen ist.
Bau weiß aber auch, dass Deutschlands Spitzenköche nicht schuldlos an der Situation sind. „Bocuse, Troisgros, Pic und Haeberlin waren nicht die besten Freunde, sondern Konkurrenten. Aber wenn es um ihre Sache ging, um den Rang der Haute Cuisine, zogen sie an einem Strang. Wir deutschen Dreisterner hingegen sind alles Eigenbrötler, jeder backt seine eigenen Brötchen und kocht sein eigenes Süppchen.“ So mache sich die deutsche Spitzenküche selbst unsichtbar, mit der skurrilen Konsequenz, dass die meisten Deutschen Tim Mälzer für den besten deutschen Koch hielten. Doch Bau hat auch Hoffnung, weil er sie Tag für Tag vor Augen hat: Das Publikum in seinem Haus werde immer jünger, Dreißigjährige seien längst keine Exoten mehr, „und wir haben nicht wie früher jeden Abend eine Stimmung wie beim Kapitäns-Dinner auf dem Traumschiff“.
Die Pandemie habe daran nichts geändert, im Gegenteil: „Wir hatten einen Rekordsommer, man hat uns regelrecht die Bude eingerannt, die Gäste haben geschlemmt, als stünde der letzte Tag bevor.“ Unmengen kostbarster Viktualien habe er verkauft, ständig Kaviar nachbestellen müssen und sämtliche Bestände seiner Händler an bestem japanischen Rindfleisch geplündert.
Aber er macht sich auch keine Illusionen darüber, mit seiner Küche in Deutschland jemals gutes Geld verdienen zu können. Ohne seinen loyalen Financier Hartmut Ostermann, der in all den Jahren zu einem väterlichen Freund geworden ist, wäre das „Victor's Fine Dining“ mit seinen neun Köchen für neun Tische nicht überlebensfähig. Kostendeckendes Arbeiten sei knapp möglich, aber Geld für die großen Investitionen sei nicht da, sagt Christian Bau. Am allerwenigsten würde diese Küche, die den Gästen so viel rauschhaftes Glück beschert, ohne die Selbstausbeutung des Chefs funktionieren.
Er hat in 22 Jahren keinen einzigen Service in seinem Restaurant verpasst - keinen einzigen von 6000.
Bau kocht selbst den Poissonnier-Posten, filetiert jeden einzelnen Fisch höchstpersönlich, kontrolliert alle Teller vom ersten Küchengruß bis zum letzten Petit Four mit Argusaugen am Pass, verschleißt vor lauter Schufterei drei bis vier Kochjacken am Tag, kommt selten vor drei, vier Uhr früh ins Bett, trinkt keinen Tropfen Alkohol, hat auch sonst keine Laster und in 22 Jahren noch keinen einzigen Service in seinem Restaurant verpasst – keinen einzigen von 6000.
Das schafft nur ein Mensch, in dessen Seele das Feuer für den guten Geschmack noch immer mit lichterloher Leidenschaft brennt. Nur ein Mensch, für den Kochen die reinste Form des Glücks ist.
Quelle: F.A.Z. Magazin
Veröffentlicht: 08.12.2020 13:05 Uhr
