Bio-Produkt aus den Tropen : Die vielleicht beste Schokolade der Welt
- -Aktualisiert am
In den Restaurants auf der Insel verwendet man Kakao auch zum Kochen. Bild: Florian Siebeck
Claudio Corallos Schokolade ist nicht bitter, obwohl er Tafeln mit 100 Prozent Kakaoanteil herstellt. Manche bezeichnen sie als die beste Schokolade der Welt. Ein Besuch in den Tropen.
„Ich mochte Schokolade früher überhaupt nicht“, sagt Claudio Corallo. „Weil sie nicht gut war.“ Er gießt heißes Wasser über Schokoladenplättchen und schlägt das Gemisch mit einem Schneebesen schaumig. Seit den neunziger Jahren stellt er auf São Tomé seine eigene Schokolade her. Gäste, Köche und Foodblogger bezeichnen sie als die beste der Welt. „So weit würde ich nicht gehen“, sagt Corallo. „Ich versuche, die Schokolade so herzustellen, wie man bei uns in Italien das Olivenöl herstellt: Je weniger man mit dem Produkt macht, desto besser das Ergebnis.“
Für die heiße Schokolade hat er soeben 75-prozentige Kakaotafeln aus eigener Herstellung verwendet. Nun dampft sie schaumig in kleinen Tassen. Was Corallo hier in seinem Haus auf São Tomé serviert, ist cremig, ohne dass Milch zugegeben wurde, intensiv, ohne dass Zucker oder Vanille beigemengt sind – und nicht eine Spur bitter, obwohl der Kakaoanteil so hoch ist. „Die Bitterkeit ist immer ein Defekt im Kakao, so wie auch im Kaffee“, sagt Corallo. „Bitter wird es nur bei falscher Verarbeitung. Diesen Defekt verkauft man dann als Qualitätsmerkmal und sagt den Kunden, dass Schokolade bitter sein müsse.“
Es hat lange gedauert, bis er zu dieser Erkenntnis kam, denn eigentlich hatte Corallo mit Schokolade nichts am Hut. Der Florentiner hatte in seiner Heimatstadt tropische Agrarwissenschaften studiert und stieg dann ins Kaffeegeschäft ein. Als Kaffeehändler reiste er nach Bolivien und nach Zentralafrika, in die frühere Republik Zaire. Damals war er gerade einmal 23 Jahre alt. Dort betrieb er eine eigene Kaffeeplantage. Als seine Kinder jedoch in die Schule gehen sollten, lag die Plantage zu weit entfernt. Ein Umzug nach Kinshasa hätte die Familie mehrere Stunden von der Arbeitsstätte des Vaters getrennt, also suchte er nach einer neuen Heimat, die Wohnort und Plantage verbinden könnte. Er fand sie während eines Urlaubs in Afrikas zweitkleinstem Staat São Tomé und Príncipe, der ein paar hundert Kilometer vor der Küste Gabuns liegt.
Die Insel faszinierte ihn. Das tropische Klima in der Nähe des Äquators ist günstig, die Böden sind ideal für den Anbau. Corallo kaufte zwei Plantagen, eine auf São Tomé, eine weitere auf der Nachbarinsel Príncipe. Sie liegt auf einem Plateau, das die steilen grünen Felshänge überblickt, die zu den weißen Stränden abfallen. In dem Herrenhaus, das noch aus der Zeit der portugiesischen Kolonialherrschaft stammt, übernachtet Corallo, wenn er die Plantage besucht. Angebaut werden nur alte Kakaosorten. „Die sind besser“, sagt er. „Sie bringen zwar weniger Ertrag, aber ihre Qualität ist hervorragend.“ Hybride könnten zwar mehr Bohnen abwerfen, laugten dafür aber die Böden schneller aus und benötigten obendrein Dünger.
Corallo versucht auf den eigenen Kakao-Plantagen umzusetzen, was er über Jahre beim Kaffeeanbau gelernt hat: mit der Natur zu arbeiten, nicht gegen sie. „Eine Plantage sollte ein natürlicher Teil des Waldes sein. Wenn man die Plantage aufgibt, sollte sich der Urwald wieder ausbreiten können und nicht stattdessen eine Wüste herrschen.“
São Tomé hat eine lange Geschichte des Kakaoanbaus. Als die Portugiesen um 1470 die unbewohnte Insel entdeckten und für ihre Krone beanspruchten, hatten sie noch die Hoffnung, hier Zucker in großen Mengen anbauen zu können. In den darauffolgenden Jahrhunderten wechselten die Bewohner zu Kakao. 1913 war São Tomé schließlich der größte Kakaoproduzent der Welt.
Die Portugiesen organisierten den Anbau in Rocas, also Plantagen mit dazugehörenden Wirtschaftsgebäuden. 1975 gab Portugal die Kolonie auf. Die Preise für Kakao sanken. Viele Rocas sind heute verfallen, einige wurden von Investoren in Eco-Hotels im Neo-Kolonialstil umgewandelt. Der Kakao blieb: Noch heute bedecken die Pflanzen ein Drittel der Insel.
Wer hier anbaut, folgt dem Bio-Trend und verzichtet auf Zusatzstoffe und Pestizide. Kakao macht noch immer 80 Prozent der Exporte São Tomés aus. Auch Corallos Kakao ist „bio“. Wichtiger ist ihm aber, dass er den Prozess vom Anbau bis zur Herstellung ständig verbessert. Er ist einer der wenigen Schokoladenhersteller, der seine Bohnen selbst anbaut und verarbeitet.
Auf São Tomé, wo er mit seiner Familie wohnt, hat er ein Labor eingerichtet, in dem er die Bohnen untersucht. Über Jahre verfeinerte er Verarbeitungs- und Rösttechniken. Dabei entstand Schokolade, die auch bei sehr hohem Kakaoanteil nicht am Gaumen klebt und weder zu süß noch zu bitter ist, sondern weich in Konsistenz und Geschmack. Es gibt sogar Tafeln aus 100 Prozent Kakao.
Claudio Corallo hat in der Zwischenzeit eine Tapanage aus Rohkakao, Olivenöl, Kapern und Knoblauch auf kleine Toasts gestrichen. Dazu gibt es einen Schluck Kakaoblüten-Schnaps, der nach Kirschen riecht und den er in einem dicken Schoko-Quader mit Rosinen verfeinert als Praline verkauft. Er nennt sie „Ubric“, angelehnt an das italienische Wort „ubriaco“ für beschwipst. Und, mag er Schokolade mittlerweile? „Nur meine eigene, und am liebsten heiß zum Trinken“, sagt Corallo und löffelt den letzten Schaum aus der weißen Tasse.