Loblied des Wildbret : Bloß nicht durch die Lappen gehen lassen
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So recht sie mit dem einen haben, so falsch liegen sie beim anderen. Wildbret ist das natürlichste Fleisch auf Erden, weil es sich von nichts anderem als der Natur ernährt. Es ist frei von Antibiotika und Hormonen, arm an Fett und Cholesterin, dafür umso reicher an Phosphor, Eisen, Kalium, Magnesium, Omega-3-Fettsäuren, den Vitaminen B1 und B2 – und auch deswegen so einfach in der Küche zu verwenden wie Rinderfilet oder Schweinsbraten, weil der berüchtigte Hautgoût, der scharfe, strenge Geschmack und Geruch, dank lückenloser Kühlketten längst Geschichte ist und nicht mehr durch Beizen oder Marinieren überlagert werden muss.
Vertrauen Sie dem Spezialisten!
Ein zuverlässiger Wildhändler ist allerdings zwingend notwendig, weil wir Laien gutes von schlechtem Wild nicht unterscheiden können. Der Wildmetzger unseres Vertrauens heißt André Remmel, stammt aus Kleinkahl im Spessart, lässt seine Tiere für die optimale Reifung drei Tage lang in der Decke hängen, so dass ihr Fleisch würzig, aber nicht säuerlich wird, und erkennt Tiefkühlware daran, dass die Knochen beim Auftauen schwarz werden. Überhaupt kommt ihm keine Tiefkühlkost ins Haus, weil die scharfkantigen Wasserkristalle das Gewebe des Wildes verletzen, wodurch der Fleischsaft austritt und das Aroma in der Pfanne davonschwimmt. Dann, sagt Remmel, habe man auch nichts mehr davon, dass Wild wie kein anderes Fleisch seinen Lebensraum geschmacklich widerspiegele, so wie der Riesling sein Terroir: Am intensivsten nach freier Wildbahn schmecke dank der würzigen Kräuter des Hochgebirges die Gams, am anderen Ende der Skala stehe der Elch, der trotz seiner wuchtigen Gestalt ein sensibler Feinschmecker sei, nur die jüngsten und zartesten Kräuter fresse und deswegen das mildeste Wildfleisch habe.
Der Herbst ist nicht nur für André Remmel, sondern auch für Harald Rüssel vom „Landhaus Rüssel“ an der Mosel, den leidenschaftlichsten Jäger unter Deutschlands Spitzenköchen, die beste Wildzeit. Denn jetzt sind die Pilze, Nüsse, Eicheln und Früchte reif und aromatisieren als natürliches Kraftfutter das Fleisch der Tiere zusätzlich ganz wunderbar. Rüssel jagt ausschließlich für sein eigenes Restaurant und schätzt Wildbret nicht nur, weil es so unvergleichlich zart, mild und nussig schmeckt, sondern auch, weil es so gesund ist. „Wenn wir uns so ernährten wie das Wild, das fünfmal am Tag selektiv nur die feinsten Knospen und Blüten frisst, würden wir hundert Jahre alt“, sagt Rüssel, der seine Rehnüsschen mit Kräuterkruste so zubereitet: Für die Kruste weiche Butter schaumig schlagen, Eigelb, Pfeffer, Thymian, Rosmarin, Petersilie, Knoblauch, Zitrusabriebe unterrühren und quellen lassen. Dann mit Salz und Pfeffer abschmecken, zu einer Rolle formen und in Klarsichtfolie schlagen. Die Nüsschen werden gesalzen und gepfeffert angebraten, eine Viertelstunde im Backofen gegart und dann zum Ruhen beiseite gestellt. Zuletzt die Nüsschen zwei Minuten in Butter nachbraten, mit dünnen Scheiben der Kruste belegen und im Backofen mit Oberhitze und Grillfunktion bei 180 Grad gratinieren – fertig ist das Festmahl.