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Mit Fotograf Victor Palla : Wie kann man Lissabon am besten verstehen?

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Am Abgrund des Lebens kann die Aussicht am schönsten sein: „Die Fotografien sind so weit wie möglich von dem entfernt, was man unter Salonfotografie versteht.“ So hat Victor Palla seinen Anspruch an das Buch formuliert. Bild: Victor Palla

Vor 100 Jahren wurde der portugiesische Architekt und Fotograf Victor Palla geboren. Eine Spurensuche in Lissabon.

          5 Min.

          Schaut man, am Tresen der Snack-Bar „Galeto“ sitzend, hinaus auf das Treiben an und auf der Avenida da República, werden die Zeilen von Armindo Rodrigues lebendig: „Alegre ou triste/uma cidade como esta/é sempre para olhos uma festa“ (Glücklich oder traurig/eine Stadt wie diese/ist immer ein Fest für die Augen). Wie kann man Lissabon als traurig-fröhliche Stadt am besten verstehen? Vielleicht mit Hilfe von Victor Palla. Der Künstler, vor 100 Jahren, am 13. März 1922, geboren, hat in dem mit dem Designer Costa Martins 1959 entstandenen Buch „Lisboa, cidade triste e alegre“ mit Aufnahmen aus den Fünfzigerjahren das Lebensgefühl in der portugiesischen Hauptstadt sichtbar gemacht – und fast körperlich spürbar.

          Die spontanen Aufnahmen von Straßen, Situationen und Menschen kennzeichnete ein damals „moderner“ Schnappschuss-Stil: aus der Hand heraus, ohne jede Vorbereitung, so hat Palla fotografiert. Für den amerikanischen Fotografen Peter Fink, der zur selben Zeit auf der iberischen Halbinsel arbeitete, war Palla ein Vorbild. Er schrieb in einem Artikel für die „Dallas Morning News“ im Mai 1956: „Glücklicherweise ist hier wenig, um Touristen anzuziehen, deshalb kann man einen echten Unterschied erkennen zu Amerika.“ Das klingt herablassend, doch Fink bewunderte Portugal für seine Geschichte, seine Menschen und deren Handwerk.

          Palla war wie Fink ein Chronist in Sachen Schönheit, wie das Buch „Lisboa, cidade triste e alegre“ zeigt. Die Schwarz-Weiß-Fotografien strahlen respektvolle Empathie für die aufgenommenen Menschen aus, in einer geradezu poetischen Bildsprache. Noch heute kann man in dem Band große Teile des aktuellen Lissabons wiedererkennen. Das gehört zur Faszination, die von Palla und seinen Bildern ausgeht.

          Die junge Generation schien für Palla Ausdruck von Hoffnung und Lebensfreude zu sein.
          Die junge Generation schien für Palla Ausdruck von Hoffnung und Lebensfreude zu sein. : Bild: Victor Palla

          Die Last harter Arbeit, nicht nur am Hafen, die nächtlichen Lichter der Großstadt, das Leben der Frauen, reich oder arm, dazwischen immer wieder Aufnahmen von Kindern, vertieft ins Spiel, neugierig aus dem Fenster schauend, begeistert auf dem Rummelplatz. Die junge Generation schien für Palla Ausdruck von Hoffnung und Lebensfreude zu sein, zu einer Zeit, in der die Salazar-Diktatur schon etwa drei Jahrzehnte andauerte. Den Alten, mit zerfurchten Gesichtern, begegnet er mit Würde, Liebespaare werfen sich mal glückselige, mal fragende Blicke zu. Und immer lohnt es sich, die Details der Bilder in den Blick zu nehmen: einen Schirm im Arm einer jungen Frau, eine Hausfassade mit Wäscheleinen, aus einem Versteck lugende Katzenaugen, ein noch nicht abgeräumter Tisch im Café, ein auf dem Kopf getragener Lastenkorb, der von einer Frau etwas gelüftete Vorhang zu ihrem Haus. Die Themen sind Einsamkeit und Gemeinschaft, Nachdenklichkeit, Zuversicht und Verzweiflung.

          Die ersten Snack-Bars in Lissabon

          Zitate von 20 Autoren, neben Armindo Rodrigues auch Mário de Sá-Carneiro, Fernando Pessoa und Älvaro de Campos, bringen Farbe in den Band. Unter einer Aufnahme von drei Jungs, die furchtlos und mutig, gleichsam an die Zukunft glaubend, in die Kamera blicken, stehen Zeilen von Sidónio Muralha: „Meninos de olhos adultos / Fundos como dois segredos“ (Jungen mit Erwachsenenaugen/ Tief wie zwei Geheimnisse).

          Studien der Architektur und der schönen Künste in Porto und Lissabon hatten Palla früh seinen breiten Aktionsraum eröffnet. Zwischen 1946 und 1973 betrieb er ein Architekturbüro. Aus der Partnerschaft mit Joaquim Bento d'Almeida resultiert eine beeindruckende Zahl von Arbeiten, darunter sind auch die ersten Snack-Bars in Lissabon, wie das „Galeto“. Einfamilienhäuser, Büro- und Wohngebäude, Industrieanlagen und öffentliche Gebäude wie die Escola Primária do Vale Escuro in Lissabon gehen ebenfalls auf das Architektenduo zurück, das sich stilistisch zwischen Bauhaus, Brutalismus und Azulejos, den Bildern aus bemalten Keramikfliesen, bewegte; 2017 wurde es in einer umfangreichen Ausstellung im Centro Cultural de Belém gewürdigt.

          Die spontanen Aufnahmen von Straßen, Situationen und Menschen kennzeichnete ein damals „moderner“ Schnappschuss-Stil.
          Die spontanen Aufnahmen von Straßen, Situationen und Menschen kennzeichnete ein damals „moderner“ Schnappschuss-Stil. : Bild: Victor Palla

          Palla arbeitete nicht nur als Architekt, er experimentierte auch in vielen anderen Künsten. In der Literatur zum Beispiel. Mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder, dem Schriftsteller José Palla e Carmo, auch als José Sesinando bekannt, übersetzte er Werke von H.G. Wells und Somerset Maugham. In den Fünfzigerjahren aber, so ist es überliefert, verbrachte er mehr Zeit mit der Fotografie als mit jedem anderen Thema. Mit Costa Martins machte er sich nach Studium und längerer Berufstätigkeit daran, die Stadt - besonders die Stadtteile Bairro Alto und Alfama - methodisch zu erkunden, Orte und Menschen einzufangen.

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