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Bienchen summ herum

Von BIRGIT OCHS und RAINER EIDEMÜLLER (Fotos)

26.07.2016 · Wer das Landleben schätzt, ist in der Stadt gut aufgehoben. Inmitten des Häusermeers und Straßennetzes geht es bisweilen so beschaulich zu wie weiland auf dem Dorf.

In Wohnhöfen und Baugruppenidyllen ist der Städter dem Städter längst kein Fremder mehr. Man macht es sich gemeinsam gemütlich in der Eisdiele, auf dem Spielplatz oder vorm Haus – auf Klappstühlen, das Gesicht in die Sonne. Für die Dorflinde bietet die Stadt vielerlei Ersatz. Soll hier nur mal einer versuchen, in die Anonymität abzutauchen!

Rückkehr in den Bienenstock mit voll gefüllten Pollensäckchen.

Doch nicht nur in puncto sozialer Kontrolle trägt das Stadtleben zunehmend ländliche Züge. Zwischen Asphalt und Beton blüht eine Artenvielfalt, die man weit vor den Toren der Stadt mittlerweile vergeblich sucht. Auf Industriebrachen, Dachterrassen, Plätzen und Balkonen wird mit biodynamischer Achtsamkeit gegärtnert, dass es eine Pracht ist. Im Untergrund donnert die U-Bahn, oben auf dem Parkdeck pflanzen Urban-Gardening-Aktivisten in Tetrapacks gezogene Zucchinisetzlinge ins Hochbeet um. Und während auf dem Land ein Bienenvolk nach dem anderen wegen der tödlichen Kombination aus Monokulturen, Pestiziden und einem Parasiten namens Varroa ausgesummt hat, bietet die Stadt den Insekten ideale Lebensbedingungen.

Sascha schaut zuerst wie viel Honig bereits gesammelt wurde und wann er die nächste Ernte einplanen kann. Dann befreit er mit dem Smoker die Waben von Bienen. Sie ziehen sich in die darunter befindliche Zarge zurück. So kann die Zarge zur Ernte abgenommen werden.

So ist der urbane Raum Rettung für Honigbienen in höchster Not, gleich, ob in New York, Paris, Barcelona oder Berlin. Überall in den Großstädten boomt die Stadtimkerei. Schüler imkern genauso wie Behördenmitarbeiter, Banker, Stadtwerker und Künstler. Die Kämpfer der Garten-Guerrilla sowieso. Denn Bienen sind sympathisch, nützlich, und sie liefern Honig – und von dem konsumiert jeder Deutsche im Schnitt 1 Kilo im Jahr.

Und mahnte nicht schon Albert Einstein zu einer Zeit, als es um die Bienenpopulationen bestens bestellt war: Stirbt die Biene, wird es alsbald auch dem Mensch schlecht ergehen? Gründe genug also, die Biene zum nationalen Interesse zu machen, das in der Stadt geschützt wird. „Deutschland summt“ heißt denn auch eine der Hauptinitiativen, die nach eigenen Angaben „möglichst viele Städter dafür begeistern will, Bienen vielfältige Lebensräume bereitzustellen“. Mit Erfolg, was man daran ablesen kann, dass sich Kommunen heute mit dem Etikett „Bienenstadt“ schmücken.

Imker Sascha Hillingshäuser mit Smoker, prüfendem Blick auf eine Honigprobe und die Wabe.

Man kann auch die Chance auf einen Platz in einem Imkerkurs zum Maßstab nehmen. Als der Wiesbadener Sascha Hillingshäuser, den unsere Fotostrecke beim Imkern zeigt, lernen wollte, wie man für ein Großstadtbienenvolk sorgt, waren alle Plätze in einer entsprechenden Schulung ausgebucht, erinnert er sich. Das war vor drei Jahren. Damals war der Mitarbeiter der Kreativagentur Scholz & Volkmer auf das Thema aufmerksam geworden und hatte angeregt, auf dem Unternehmensgelände Bienen zu halten. Ein Standort am Rand des Areals war schnell gefunden, und für das nötige Wissen sorgte ein Imker, den Hillingshäuser auf dem Markt angesprochen hatte. Von ihm erhielt er sein erstes Bienenvolk, zunächst als Pate. Mittlerweile hat der Neuimker es gekauft, das Volk hat sich mehrfach geteilt, so dass es nun schon drei Völker mit mehr als 30.000 Bienen sind.

Sascha prüft nochmals die Waben in der Zarge, bevor er sie in den Raum zum Schleudern bringt. Die Verdecklung der Waben wird gelöst, bevor der Honig heraus geschleudert werden kann. Das Ergebnis dieser Ernte sind zwei volle Eimer frischer Honig.

Honig produzieren sie natürlich auch – im vergangenen Jahr rund 100 Kilo. Die Pollen holen die Insekten sich in einem Radius von etwa zwei Kilometern rund um ihren Standort. In dieser Saison allerdings hat Hillingshäuser seine Bienen an den Imkerverein verliehen – zu Übungszwecken, damit andere angehende Stadtimker den Umgang mit den Insekten lernen. In der Stadt wird schließlich keiner alleingelassen.

Jeder Deutsche konsumiert im Schnitt 1 Kilo im Jahr.

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Quelle: F.A.Z.

Veröffentlicht: 26.07.2016 14:01 Uhr