Edificio España : Dem Himmel von Madrid ganz nah
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Über den Wolken: Die neue Dachterrasse des Hotels Edificio España kommt gut an. Bild: Privat
Als das Edificio España im Jahr 1953 fertiggestellt wurde, überragte es alle anderen Gebäude in Europa. Seit Anfang August ist die neue Dachterrasse des Hotels eröffnet – und zieht die Mengen an.
Auf der gläsernen Brücke herrscht Gedränge. Für manche ist sie eine schwindelerregende Mutprobe, für die meisten eine perfekte Fotokulisse. Unter den tonnenschweren Glasplatten geht es 26 Stockwerke hinab nach Madrid. Neugierig und stolz inspizieren die Bürger der spanischen Hauptstadt seit Anfang August die neue Dachterrasse des Hotels Edificio España.
Als es 1953 fertiggestellt wurde, war es das höchste Gebäude ganz Europas – und für das Regime des Diktators Francisco Franco der steinerne Beweis, dass Spanien wieder Anschluss an die Moderne gewonnen hatte. Unschwer ist an der Fassade zu erkennen, dass sich die spanischen Architektenbrüder Otamendi von New York und Chicago inspirieren ließen. Franco wollte mit dem Wolkenkratzer an der Plaza España Dwight D. Eisenhower beeindrucken, der 1959 zu Besuch kam: Für das international isolierte Land bedeutete die Reise des amerikanischen Präsidenten einen politischen Ritterschlag.
„Einfach wunderbar“, schwärmt eine Großmutter, als sie mit ihren Enkeln aus dem Aufzug steigt, der sie von der Dachterrasse zurückgebracht hat. Sie war ein kleines Mädchen, als 1948 der Grundstein für das Gebäude gelegt wurde. In diesem Sommer hat es die mallorquinische RIU-Kette zu neuem Leben erweckt. Weder die stechende Sonne noch eine Wartezeit von bis zu einer Stunde schrecken Neugierige ab. Oft windet sich eine Menschenschlange um den Sockel des Gebäudes. Mehr als 40.000 Besucher fuhren in den ersten drei Wochen auf den höchsten Aussichtspunkt der Stadt. Der Blick von den zwei Skybars – dem „Himmel von Madrid“ und der Terrasse mit dem gläsernen Übergang – reicht vom Gran-Via-Boulevard über den Königspalast bis zu den Bergen der Sierra im Norden. Die Smartphones erschaffen unentgeltliches Werbematerial: Auf der Luftbrücke aus Glas hat der Hausherr den Namen der Hotelkette samt Hashtag angebracht.
Viele Madrider sind erleichtert, dass der 118 Meter hohe Turm überhaupt noch steht. Das Gebäude, das zwölf Jahre geschlossen war, schien dem Verfall preisgegeben. Hinter der neobarocken Fassade ragte nur noch ein Betonskelett auf. Vor fünf Jahren wollte der Multimilliardär Wang Jianlin das Bauwerk mit seinen Balustraden, Kapitellen und gotischen Zinnen abreißen. Der chinesische Investor ist Sponsor und Großaktionär des Fußballklubs Atlético Madrid, dessen neues Stadion den Namen von Janlins Wanda-Konzern trägt. An der Plaza España wollte er an einem Neubau mit chinesischem Touch am Ende wieder die mit roten Klinkersteinen verzierte Fassade anbringen lassen. Viele Madrider fragten sich: Wo, bitte, soll man einen Wolkenkratzer zwischenlagern? Der Chinese gab auf, wie zuvor schon die Santander-Bank, deren Sanierungspläne von der Wirtschaftskrise durchkreuzt wurden.
Vor zwei Jahren erwarb die RIU-Kette das Edificio España, um mit 585 Hotelzimmern und 17 Veranstaltungsräumen an dessen große Vergangenheit anzuknüpfen. „Wir wollten das Erbe, das Madrid gehört, für die Madrider bewahren“, sagt Generaldirektor Manel Jaile. Ihm blieb auch wenig anderes übrig, denn der größte Teil der Fassade steht unter Denkmalschutz. Im Inneren ist fast nichts Historisches übriggeblieben. Nur die Lobby erinnert mit Marmorsäulen und Reliefs an die Fünfziger. Eine alte Aufzugskabine wurde in eine Telefonzelle umgewandelt. Neben den modernen Aufzügen blieben die Schaltkästen der Liftanlage als Dekoration erhalten. Sie brachten die Gäste hinauf in den Vorläufer des RIU-Hotels und auf die Dachterrasse mit dem Schwimmbad, das es auch jetzt wieder gibt. Stars wie Charlton Heston, Bo Derek und Raquel Welch stiegen in dem Haus ab, es war aber nicht nur ein Hotel, es war eine kleine Stadt mit 300 Büros, rund 180 Wohnungen und mehr als 30 Geschäften.
Im Erdgeschoss des sachlich eingerichteten Hotels ziehen nun wieder Läden ein. Die 100 Quadratmeter große Präsidentensuite mit zwei Terrassen kann zwar in der Hochsaison 2500 Euro kosten, aber um ein normales Zimmer in dem Vier-Sterne-Hotel zu buchen, muss man nicht reich sein. Entscheidend ist die Aussicht. Während am Edificio España erst vor kurzem die letzten Planen der Bauarbeiter verschwanden, hat sich die Plaza España zu seinen Füßen in eine Großbaustelle verwandelt. Von oben lassen sich nur die Umrisse des umhüllten Cervantes-Denkmals mit Don Quijote und Sancho Panza erkennen. In eineinhalb Jahren soll auch der Platz renoviert und verkehrsberuhigt sein. Dann erst ist die neue Mitte Madrids fertig.