Die Lehre von der Leere : Wir sind dann mal so frei
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Erstaunlich ist nicht nur, wie viele Menschen das mitmachen. Sondern auch, dass die „KonMari“-Methodik tatsächlich zu wirken scheint, zumindest wenn man den Rezensionsforen im Internet Glauben schenkt, die mittlerweile den womöglich unverstelltesten Blick in die deutsche Volksseele geben.
Natürlich hat Marie Kondo noch mehr Lektionen auf Lager, damit die Entrümpelung des Ichs auch klappt: Essentiell sei es, zuerst mit der Kleidung anzufangen, dann mit den Büchern weiterzumachen. Dann kommen Papier, Kleinkram und zum Schluss der womöglich schwierigste Part: Artefakte mit besonderem Erinnerungswert. Hat man das geschafft, zündet Stufe zwei: Kleidungsstücke soll man nur hängen, nicht legen; Dinge finden in Schachteln eine Unterkunft, die mindestens zu 90 Prozent gefüllt sind; und alles soll seinen festen Platz haben, wohin es nach Benutzung – sofort! – wieder geräumt wird.
Ratgeberlektüre für Konsumhedonisten
In Japan, will man uns glauben machen, soll „Kondo“ schon ein Synonym fürs Ausmisten sein, und unter hippen New Yorkern sei „to kondo“ längst ein etabliertes Verb. Sieben Millionen Bücher verkaufte KonMari, in 27 Sprachen wurden sie übersetzt. Rowohlt hat mit „Magic Cleaning“ einen der erfolgreichsten Ratgeber der vergangenen Jahre lanciert, 80.000 Exemplare wurden in Deutschland verkauft. Das jüngste, gerade erschienene Buch trägt den besonders elaborierten Titel „Spark Joy: An Illustrated Master Class on the Art of Organizing and Tidying Up“ und ist eigentlich nur eine illustrierte Adaption für lesefaulere Aufräummuffel.
Längst hat der Aufräumfimmel den Westen erfasst. Dass seine Begründer ausgerechnet in Japan sitzen, ist kein Zufall: Die japanische Jugend ist im Überfluss aufgewachsen. Bei der Generation der um die Dreißigjährigen lässt sich materielle Übersättigung diagnostizieren. Es gibt alles und von allem zu viel. Bei manchen hatten sich angeblich so viele Dinge angehäuft, dass sie sich nicht mehr trauten, Besuch zu empfangen, weil es zu Hause so unordentlich war. Derart von ihrem Besitz bedrängt, suchen die Konsumhedonisten nach einem Ausweg. Und so formiert sich eine Armada an Menschen, die sich anschickt, das Leben der anderen professionell zu entrümpeln. Womit sich offenbar viel Geld verdienen lässt. Und den Bewahrern, die meinen, man könne dieses und jenes eines Tages noch mal brauchen, werden die Augen geöffnet: Dieser Tag wird niemals kommen.
In Amerika herrscht das Verdrängungsprinzip
Konnte ja auch niemand ahnen, dass der blinde Konsum auf Dauer nicht glücklich macht. Die Professorin Stephanie Preston von der Universität Michigan etwa hat das Konsumverhalten der Amerikaner studiert. Ihre Erkenntnis: Angst und Ungewissheit führen dazu, dass Menschen Dinge anhäufen, von denen sie glauben, vielleicht nicht wieder so schnell an sie heranzukommen. Wenn man so will, wäre der Kaufrausch dann eine Form des Überlebensinstinkts. Nach Preston treibt ein Sechstel der Amerikaner eine andauernde Unruhe um, und Konsum setzt zuverlässig das Glückshormon Dopamin frei.
In den heimischen vier Wänden aber setze ein gegenteiliger Effekt ein, zeigt eine Studie der University of California: Manche Menschen fühlen sich von ihrem Besitz belastet, fast erschlagen. Sie kommen nicht mehr klar, es sind schlicht zu viele Dinge, die man im Auge behalten muss. Sie wieder loszuwerden kann zur Qual werden: Denn viele Gegenstände werden mit Erinnerungen verknüpft, die es besonders schwermachen, sich von ihnen loszusagen.