Interpretation von Gemälden : Kunst als Krimi
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Die Schweriner Oberamtsanwältin Ulrike Tabbert geht auf Tätersuche ins Museum – und macht es sich zum Ziel, Gemälde kriminologisch zu entschlüsseln.
Ulrike Tabbert kann Kunsthistorikern die Schau stehlen. Denn ein in Ketten gehaltener Petrus auf einem niederländischen Gemälde aus dem frühen 17. Jahrhundert - der muss doch kriminologisch entschlüsselt werden. Es geht um Schuld, Strafe, Haftbedingungen. Die Sicht auf Täter, den mitunter fließenden Übergang zwischen Tätern und Opfern oder die Gründe dafür, dass eine Person zum Täter wird. Und ein Satyr, der einer Nymphe nachstellt, also ein böser Täter, der auch noch hässlich aussieht und auf das unschuldige, schöne Opfer trifft - ist das ein Fall für Kunsthistoriker oder nicht vielmehr für Kriminologen?

Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Ulrike Tabbert, Oberamtsanwältin aus Schwerin, kam zu ihren kriminologischen Bildinterpretationen durch eine Kunsthistorikerin. Ein Zufall führte sie zu Katharina Uhl ins Schweriner Museum mit der herausragenden Niederländer-Sammlung. Beide blickten neugierig auf das Fach der anderen und entdeckten Synergien. Wenn Tabbert etwa in dem niederländischen Gemälde "Josephs Traumdeutung im Gefängnis" den Stammvater schon als rehabilitierten Gefängnisinsassen sieht, weil er im schrecklichen Verlies würdig und prächtig dasteht, bestätigt das Uhl aus kunsthistorischer Sicht: Man sehe sich nur die leuchtend roten Schuhe an - ein roter Absatz war ursprünglich unter Ludwig XIV. nur dem König oder hochgestellten Adligen erlaubt.
Seitdem veranstalten die beiden Doppel-Führungen durch die Bestände des Schweriner Museums. Im wirklichen Leben haben sie anderes zu tun. Uhl sitzt an einem Buch über Marcel Duchamp, der in Schwerin mit einer bedeutenden Sammlung vertreten ist. Tabbert arbeitet für die Schweriner Staatsanwaltschaft. Verkehrs- und Vermögensdelikte sind ihr Alltag, auch Körperverletzungen oder Streitigkeiten zwischen Nachbarn. In ihrer juristischen Ausbildung hat sie sich auf das Strafrecht konzentriert, hat zusätzlich Sprachwissenschaft studiert und sich in ihrer Doktorarbeit an der englischen Universität Huddersfield mit Presseberichten über Kriminalität in deutschen und englischen Zeitungen beschäftigt. "Die Presseberichterstattung ist ein Spiegelbild der Gesellschaft", sagt sie. "Wenn ein Täter beispielsweise als Monster bezeichnet wird, dürfte seine Rehabilitation schwierig bis unmöglich sein."
Umgekehrt zeige sich der Wandel des gesellschaftlichen Blicks auf Täter, Verbrechen und Strafe zuerst in den Medien - sichtbar etwa beim Umgang mit Homosexualität, die in Deutschland einst schwer geahndet wurde und heute auf dem Weg zur "Ehe für alle" ist. In einer zweiten Studie hat sich Tabbert den linksliberalen "Guardian" vorgenommen. Ihre Hypothese: Ein so modernes Blatt dürfte den progressiven kriminologischen Ideen über den Umgang mit Tätern - nicht der Täter ist schlecht, nur die Tat - aufgeschlossen gegenüberstehen. Das sei aber nicht so, stellte Tabbert fest. Der "Guardian" berichte wie andere Zeitungen auch. "Mainstream", urteilt sie, etwas enttäuscht.
Und wie sieht das nun bei Kunstwerken aus? Wir haben Ulrike Tabbert gebeten, für uns drei Gemälde ihrer Wahl aus der Sammlung des Schweriner Museums kriminologisch-juristisch zu interpretieren.