Helgoland : Hummerfischer vom Aussterben bedroht
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„Klar, das ist Käpt’n Iglo“: Detlef Nitze auf See. Bild: Tadday, Lilo
Hummer werden in Deutschland nur vor Helgoland gefangen. Der Genuss der Delikatesse hat jedoch seinen Preis. Der Bestand der Krebstiere ist akut gefährdet – und auch Helgolands Hummerfischer kämpfen ums Überleben.
Frühmorgens, wenn die roten Klippen langsam erst wieder Farbe bekommen, wollte uns Iglo nicht mitnehmen: zu gefährlich! Mit all den Seilen und den Körben an Deck, die er und Scholle aus bis zu 20 Metern Tiefe hochholen. Womöglich dazu lange, glitschige Streifen Seetang, auf denen die Fotografin und die Reporterin ausrutschen und über Bord gehen könnten. 86 rechteckige Käfigkörbe mit Metallrahmen und Netzbespannung leeren sie bei jeder Fahrt, das muss schnell gehen: Hummer von hinten packen, die breiten Scheren vorne mit Kabelbinder fesseln, ab in die Kiste. Das alles in einem offenen Boot, das auf den Nordseewellen schaukelt.
Vielleicht wollte er uns auch nur den Anblick ersparen, wie sie die gefangenen Taschenkrebse noch an Deck töten, ihre Körper zurück ins Meer werfen („fressen die Fische“), die abgedrehten Sceren in riesigen Plastikkörben sammeln. Vier davon, bis oben hin gefüllt, landen sie an diesem Morgen im Binnenhafen an, dazu nur ein paar Hummer. Das ist seit Jahren das Beute-Schema: viel Taschenkrebs, wenig Hummer. Homarus gammarus, der Europäische Hummer, steht auf der Roten Liste, sein Bestand ist aber nur gefährdet. Auch im einzigen deutschen Fanggebiet rund um Helgoland. Vom Aussterben bedroht sind hingegen die, die ihm hier nachstellen. Die letzten Hummerfischer auf der Insel, es sind nicht mal mehr eine Handvoll. Mit ihnen wird ihr Beruf verschwinden wie der des Fischbeinausreißers und des Wasserstiefelmachers.
Iglo heißt eigentlich Detlef Nitze. So nennt ihn aber kaum jemand auf Deutschlands einziger Hochseeinsel, seit eine Besucherin vor Jahren miterlebte, wie der große, kräftige, bärtige Mann mit bloßen Händen beim Fischen mit Stellnetzen ackerte: „Klar, das ist Käpt'n Iglo“, soll sie gerufen haben – und Nitze hatte einen neuen Namen. Weil sein Mitarbeiter Andreas Schulz als Kind auf Sylt Schollen mit dem Dreizack fing, wird der Mann mit dem grauen Zopf „Scholle“ gerufen, so steht es auch in schwarzer Blockschrift auf dem Brustlatz seiner knallorangefarbenen Fischerhose. Acht Jahre schon fahren die beiden gemeinsam zur See, beliefern aus Nitzes „Werkstatt“ im kleinen Industriegebiet am Hafen die örtlichen Restaurants mit Hummern und den Scheren des Taschenkrebses, die im Helgoländer Friesisch, dem Halunder, „Knieper“ genannt werden.
Beliebtes Fingerfood für Einheimische und Touristen
Von Mitte April bis Anfang Oktober ist es das liebste Fingerfood der 1500 Einheimischen, der rund 3000 Urlauber und der bis zu 3000 Tagesgäste, die von Hamburg, Cuxhaven, Büsum, Bremerhaven und Sylt für drei, vier Stunden herbeischippern. Ein Wirt belegt sogar Pizza mit Knieperstückchen. „Die hohe Nachfrage können wir mit Ach und Krach bedienen“, sagt Iglo. Das Fleisch der braun-schwarzen Scheren kann für viele geschmacklich mit dem des Hummers mithalten.
Auch deshalb dümpelt der Hummer, obwohl selbst ein Großkrebs und sogar eine Delikatesse, in den kostspieligen Gefilden der Speisekarte. Mit rund 200 Euro für ein ganzes 1,5-Kilogramm-Tier, eine Portion für zwei, ist er den meisten aber vor allem zu teuer. Entsprechend wenig Order gehen dafür bei Iglo ein. Er selbst verkauft die Hummer zum Großhandelspreis von gut 30 Euro das Kilo. Auch direkt an Touristen, die ihn sich in der Ferienwohnung selbst zubereiten. Oder wie neulich diesen Viereinhalb-Kilo-Kerl, „der passte kaum in die Kiste an Bord“, direkt beim Anlegen an einen Helgoländer, „der bevorzugt die großen“. Den Zahlen nach ist Nitze ein Knieperfischer, aber sein Herz, das gehört dem Hummer.