
Möbel-Replikate : Klassiker zum Schnäppchenpreis
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Auch unter autorisierten Einzelhändlern, die Originalware verkaufen, regt sich Unmut über die Preispolitik großer Hersteller – nicht nur von Vitra. Offen sprechen will darüber keiner der Händler, zu groß ist die Angst vor einem Lieferstopp. „Bei der Lizenz zum Gelddrucken endet die Kultur des Gutes“, sagt Jens Semjan. Der Kunsthistoriker aus dem Münchner Umland betreibt den Onlineshop midmodern.de, auf dem er seit mehreren Jahren die lizensierten Designklassiker verkauft. Nur: bei ihm sind die Originale bis zu 20 Prozent günstiger. „Ein Wettbewerb existiert faktisch nicht“, klagt er. „Die meisten Hersteller bekannter Klassiker haben ein Interesse daran, den Preis zu halten und tendenziell zu erhöhen. So wundern sich meine Kunden, dass sie bei Preisvergleichen im Internet nahezu keine Preisdifferenzen finden.“
Einige Hersteller wollen Semjan nicht direkt beliefern. Deshalb bezieht er seine Ware unter der Hand über autorisierte Händler für wenig mehr als den Einkaufspreis. „Der Einkaufspreis von Möbeln liegt grob zwischen 42 und 50 Prozent unter dem vom Hersteller gewünschten Verkaufspreis“, sagt Semjan. „Der Händler schleust die Ware nur zu mir durch. Aber er hat auch fast keinen Aufwand damit.“ Für die Händler scheint das riskant und zunächst wenig gewinnbringend, ist aber trotzdem ein gutes Geschäft: Verkaufen sie viel, belohnen sie die Hersteller oft mit besonderen Rabatten.
Mit seinem Online-Shop erwirtschaftet Jens Semjan mittlerweile einen hohen sechsstelligen Jahresumsatz, auch wenn er manchen Herstellern ein Dorn im Auge ist. „Ich betreibe meine Seite seit 2014, seitdem sind mir drei Handelspartner weggebrochen.“ Durch anonyme Testkäufe ist es möglich, an Auftragsnummern zu gelangen und darüber die autorisierten Händler ausfindig machen, die Semjan mit Ware versorgen. „Ich halte es für nicht ausgeschlossen, dass diesen Händlern nahe gelegt wird, mich nicht mehr zu beliefern, um nicht eine Kündigung des Vertragsverhältnisses zu riskieren.“ Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Ein Hersteller ließ sogar Online-Werbeanzeigen für seinen Online-Shop löschen, mit der Begründung, bei dem niedrigen Preis müsse es sich um Plagiate handeln – Semjans Anwalt mahnte dafür ab. „Die betroffenen Hersteller wissen, dass sie sich auf dünnem Eis bewegen."
Es ist eine Grundsatzfrage, die viele Menschen im Netz umtreibt. Was treibt die Preise mancher Klassiker in astronomische Höhen? Wieso sind zum Beispiel Eames-Möbel so teuer, obwohl Charles und Ray Eames und viele andere Designer ihre Entwürfe explizit für eine industrielle Massenproduktion entworfen hätten? Es ist eine Kritik, der sich auch Herman Miller ausgesetzt sieht, der amerikanische Lizenznehmer. Das Eames-Credo, heißt es, sei immer gewesen: „Vom Besten so vielen wie möglich, so viel wie möglich für so wenig wie möglich“. Mark Schurman, Sprecher von Herman Miller, hält dagegen: „Die Eames haben nie ,billig‘ gesagt. Es war schon immer ein Luxusprodukt in Bezug auf seine Ausführung, sein Design und seine Qualität. Die Leute interpretieren das falsch.“ Dem schließt sich auch Vitras Designchef an: „Wenn Sie sich die Preise von Klassikern anschauen, gibt es keinen, der heute doppelt so teuer ist wie früher.“ Vergleiche, in denen damalige Möbelpreise auf heutige Verhältnisse hochgerechnet werden, ließen außer Acht, dass über die Jahre auch die Einkommen entsprechend gestiegen seien.