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Ein Land der Autofahrer

Von THOMAS PETERSEN
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17.08.2017 · BMW oder Mercedes? Elektroauto oder Verbrennungsmotor? Fahrverbote oder nicht? Das Institut für Demoskopie Allensbach hat für uns in einer großen Umfrage die Autonation Deutschland untersucht.

W er die aktuelle Berichterstattung zu verkehrspolitischen Themen verfolgt, könnte glauben, das private Automobil sei zum Aussterben verurteilt. Die Geschichten über Leihfahrräder und Carsharing-Programme wecken den Eindruck, es gebe modernere, intelligentere und umweltfreundlichere Methoden der Fortbewegung als das private Auto. Parteien und Stadtverwaltungen überbieten sich mit Plänen für den Rückbau von Straßen zugunsten von Fahrrad-Schnellwegen, Straßenbahnlinien, Busspuren. Dazu kommt die Diskussion über die Luftverschmutzung durch den Straßenverkehr. Mehr als 50 Städte haben Umweltzonen eingerichtet, in die ältere Autos mit höherem Schadstoffausstoß nicht mehr fahren dürfen. Mehrere Städte streben Regelungen an, die auch jüngere Dieselfahrzeuge von den Innenstädten fernhalten sollen. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen fordert ein Verbot der Zulassung von Verbrennungsmotoren vom Jahr 2030 an. Da wundert es nicht, dass kürzlich eine Wochenzeitung auf ihrer Titelseite die Frage stellte: „Ist das Auto am Ende?“



Wer im Zentrum einer Großstadt lebt und arbeitet, von einem vorzüglich ausgebauten S- und U-Bahn-Netz profitiert und täglich sieht, wie sich Fahrräder an Autos vorbeischlängeln, die im Stau stehen, mag tatsächlich den Eindruck gewinnen, das private Automobil sei ein Auslaufmodell. Doch diese Vorstellung geht an der Lebenswirklichkeit der meisten Deutschen weit vorbei. Rund 45 Millionen Privatwagen waren im Jahr 2016 in Deutschland zugelassen, fast dreieinhalb Millionen mehr als 2010. 82 Prozent der Haushalte verfügen nach den Umfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach über mindestens ein Auto, 78 Prozent der Deutschen ab 18 Jahren fahren zumindest gelegentlich selbst, das sind 20 Prozent mehr als vor 20 Jahren.

In den vergangenen Jahren ist zwar der Anteil der Autofahrer in der jungen Generation unter 30 Jahren etwas zurückgegangen. Doch das ändert nichts daran, dass das Auto im Alltag der meisten Deutschen eine größere Rolle spielt als je zuvor. Das wird auch durch die Ergebnisse einer Repräsentativumfrage bestätigt, die das Allensbacher Institut im Auftrag des Frankfurter Allgemeinen Magazins erstellt hat. Sie zeigt unter anderem, wie sehr das Automobil heute für viele zu einem unentbehrlichen Alltagsgegenstand geworden ist. Auf die Frage „Könnten Sie sich vorstellen, auch ohne Auto im Haushalt auszukommen?“, antworteten 59 Prozent der befragten Autofahrer mit „Nein“. Weitere 32 Prozent sagten, das wäre für sie nur schwer vorstellbar. Lediglich neun Prozent konnten sich einen Verzicht auf das eigene Auto leicht vorstellen.



Dabei verschließen die Bürger keineswegs die Augen vor den problematischen Aspekten des Autofahrens. Das zeigen die Ergebnisse eines Assoziationstests. Die Interviewer lasen verschiedene Begriffe vor und baten die Befragten, zu jedem Begriff anzugeben, ob man, wenn man an das Stichwort „Auto“ denke, an den jeweiligen Begriff denken könne. Daraufhin sagten 92 Prozent der Befragten, man könne beim Stichwort Auto an „bequem“ denken, 76 Prozent dachten an technischen Fortschritt, 72 Prozent an Freiheit, aber immerhin 68 Prozent auch an Umweltverschmutzung. Der Gedanke ans Auto ruft bei den Deutschen überwiegend positive Assoziationen hervor – aber nicht ausschließlich positive.



Dementsprechend aufgeschlossen sind viele Bürger für Einschränkungen des Autoverkehrs zugunsten des Umweltschutzes. 61 Prozent der Bevölkerung insgesamt und 59 Prozent der Autofahrer sagten in der Umfrage, sie fänden die Einrichtung von Umweltzonen in vielen Städten sinnvoll. Nur 27 Prozent aller Befragten und 29 Prozent der Autofahrer widersprachen ausdrücklich. Skeptischer zeigen sich die Deutschen gegenüber geplanten Fahrverboten für Dieselfahrzuge in Innenstädten. Während eine knappe relative Mehrheit von 42 zu 39 Prozent der Gesamtbevölkerung solche Verbote für sinnvoll hält, liegen die Mehrheitsverhältnisse unter den Autofahrern mit 40 zu 43 Prozent umgekehrt. Wenig begeistert sind verständlicherweise die Fahrer von Diesel-Fahrzeugen. Sie befürworten die Idee nur zu 22 Prozent. Fast zwei Drittel – 61 Prozent – lehnen sie ausdrücklich ab.







Besonders groß ist die Lücke zwischen politischer Diskussion und Lebenswirklichkeit der Menschen beim Thema Elektroauto. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in Politik und Medien verkündet wird, Verbrennungsmotoren hätten ausgedient, und dem Elektroauto gehöre die Zukunft. Schaut man sich die Umfrageergebnisse an, kommt man um die Erkenntnis kaum herum, dass es sich um eine recht ferne Zukunft handeln muss. Dabei ist weniger entscheidend, dass Elektroautos zur Zeit noch ein Nischendasein führen. Auf die Frage „Ist Ihr jetziges Auto ein Benziner, ein Diesel oder ein Auto mit Elektro- oder Hybridantrieb?“ antworteten 71 Prozent, sie führen ein Auto mit Benzinmotor, 26 Prozent gaben an, einen Diesel zu besitzen. Nur ein Prozent der Befragten besaß ein Hybridfahrzeug. Der Anteil derer, die ein Elektroauto haben, lag bei unter einem halben Prozent.

Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach (Juni 2017), F.A.Z.-Grafik Brocker

Elektroautos sind offenbar auch nach Jahren intensiver publizistischer und politischer Förderung für die Bevölkerung nicht attraktiver geworden. Das zeigen die Antworten auf diese Frage: „Käme es für Sie in Frage, in den nächsten Jahren ein Elektroauto zu kaufen, oder käme das für Sie eher nicht in Frage?“ Für 30 Prozent kommt es in Frage – das sind ungefähr so viele wie 2011 (28 Prozent). Die Zahl derer, die den Kauf eines Elektrofahrzeugs ablehnen, ist ebenfalls so gut wie gleich geblieben: 2011 waren es 52, in diesem Jahr sind es 50 Prozent.



Wenn man nun diejenigen, für die der Kauf eines Elektroautos nicht in Frage käme, nach ihren Gründen fragt, stechen drei Argumente heraus. Mit Abstand an erster Stelle, genannt von 33 Prozent, steht die Aussage, Elektroautos seien zu teuer. Danach folgen Verweise auf die geringe Zahl von Aufladestationen (21 Prozent) und die geringe Reichweite der Fahrzeuge (20 Prozent). Nur vergleichsweise wenige Bürger hingegen glauben, dass Elektroautos technisch noch nicht ausgereift seien, ihre Handhabung zu kompliziert sei oder dass sie nicht so umweltfreundlich seien, wie oft behauptet wird.



Bemerkenswert ist, dass die Skepsis gegenüber Elektroautos auch dann groß bleibt, wenn man im Fragetext die beiden größten technischen Probleme dieses Fahrzeugtyps ausklammert. Eine Frage lautete: „Wenn so ein Elektroauto so weit wie ein herkömmlicher Wagen fahren könnte, ehe es wieder aufgeladen werden muss, und wenn es an jeder Tankstelle Schnelladestationen für Elektroautos geben würde: Käme ein Elektroauto für Sie in Frage, oder käme das für Sie eher nicht in Frage?“ 2008, als die Frage zum ersten Mal gestellt wurde, sagten 47 Prozent, unter diesen Umständen käme der Kauf eines Elektroautos für sie in Frage. Heute sind es noch 38 Prozent. Deutlicher könnten die Hinweise auf den Widerwillen der Bevölkerung kaum sein: Selbst wenn die Batterieleistung deutlich verbessert und die Zahl der Aufladestellen massiv erhöht würde, bliebe – trotz aller Förderungsprogramme – das Argument des hohen Preises übrig. Angesichts dieser Befunde wäre es eine Überraschung, wenn sich der Anteil der Elektroautos auf deutschen Straßen in absehbarer Zukunft nennenswert erhöhen ließe.

Trotz aller Umweltdiskussionen haben sich die Deutschen ihren Spaß am Autofahren bisher nicht nehmen lassen. Der Aussage „Autofahren macht mir immer großen Spaß“ stimmten im vergangenen Jahr 50 Prozent der Autofahrer zu, 1985 waren es 53 Prozent gewesen. Dabei scheint die Zahl der Hindernisse, die dem Vergnügen entgegenstehen, zugenommen zu haben. So sagten in der aktuellen Umfrage auf die Frage „Haben Sie den Eindruck, dass es in diesem Jahr mehr Baustellen auf den Straßen gibt als zuvor, oder eher weniger, oder gibt es da keinen Unterschied?“ 57 Prozent, es gebe heute mehr Baustellen als früher. Weniger als 0,5 Prozent glaubten, dass die Zahl der Baustellen kleiner geworden sei. 2012 hatten nur 47 Prozent den Eindruck gehabt, die Zahl der Baustellen sei gegenüber den Vorjahren gewachsen.



Doch anscheinend nehmen die Autofahrer solche Hindernisse mit wachsendem Gleichmut hin. Das zeigt die Frage: „Wie ist es, wenn Sie mit dem Auto in einen Stau geraten: Ärgern Sie sich dann jedes Mal, regen Sie sich richtig auf, oder nehmen Sie es gleichmütig hin, wenn Ihnen das passiert, oder finden Sie einen Stau sogar ganz unterhaltsam, als eine Art Abwechslung?“ Es ist verständlich, dass nur drei Prozent der Befragten antworteten, sie fänden Staus ganz unterhaltsam. Doch bemerkenswert ist, dass eine klare Mehrheit von 52 Prozent sagte, sie nähmen Staus gleichgültig hin, während nur 34 Prozent meinten, sie würden sich in einer solchen Situation ärgern. Noch vor acht Jahren hatte eine relative Mehrheit von 45 Prozent angegeben, sie ärgere sich, wenn sie in einen Stau gerät, während nur 41 Prozent berichtet hatten, dass sie in einer solchen Situation gleichmütig blieben. Offenbar hat die Bevölkerung in dieser Hinsicht eine gewisse Leidensfähigkeit entwickelt. Nach Angaben des ADAC haben die Zahl und die Länge der Verkehrsstaus in Deutschland allein von 2015 auf 2016 um 20 Prozent zugenommen. Vor diesem Hintergrund deuten die Umfrageergebnisse auf einen Gewöhnungseffekt hin: Wenn Staus mehr und mehr zum Alltag gehören, sind sie auch immer weniger ein besonderes Ereignis, das unerwartete Komplikationen zur Folge hat und damit Anlass zur Aufregung wäre.

Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach (Juni 2017), F.A.Z.-Grafik Brocker

Nimmt man alle Umfrageergebnisse zusammen, gewinnt man den Eindruck, Autofahren sei für die Deutschen so selbstverständlich geworden, dass ihr Blick auf das Auto nüchterner und pragmatischer ist, als man angesichts des Klischees vom Auto als „liebstem Kind der Deutschen“ annehmen könnte. Ein Hinweis darauf sind die Antworten auf die Frage nach dem Traumauto. „Wenn Sie es sich frei heraussuchen könnten“, so lautete die Frage, „und der Preis keine Rolle spielen würde, von welchem Hersteller würden Sie dann ein Auto kaufen? Zu welcher Marke gehört Ihr Traumauto?“ Wer glaubt, die Befragten gäben da vor allem Luxusmarken wie Maserati, Bentley oder Lamborghini an, irrt. An erster Stelle steht BMW, genannt von 26 Prozent, gefolgt von Mercedes-Benz (25 Prozent), Porsche (20 Prozent) und Audi (19 Prozent). Nicht weit dahinter rangiert mit 16 Prozent die Marke VW, deutlich vor so schillernden Namen wie Jaguar und Ferrari. Die Autoträume der Deutschen sind ziemlich bodenständig. Vielleicht hat das Auto für die Bevölkerung ein wenig von seiner früheren Faszination verloren. Doch dafür ist es im Alltag wichtiger als je zuvor. Von seinem Ende kann jedenfalls keine Rede sein.

Quelle: F.A.Z.

Veröffentlicht: 17.08.2017 11:37 Uhr