Eiskunstlauf-EM : Berliner Eislauf-Factory als Markenbegriff
- -Aktualisiert am
Ein harmonierendes Eislauf-Paar: Minerva-Fabienne Hase und Nolan Seegert. Bild: dpa
Bei der EM liefern zwei deutsche Paare den Beleg für die gute Arbeit am Stützpunkt Berlin. Minerva-Fabienne Hase und Nolan Seegert sowie Annika Hocke und Robert Kunkel kommen gut miteinander aus und treiben sich zu Bestleistungen an.
Als Teil eins der bisher schwersten Kufengratwanderung dieser Saison geschafft war, stand der Chef des deutschen Paarlaufprojekts schon mit ausgebreiteten Armen parat. „Das habt ihr so schön gemacht“, lobte Bundestrainer Alexander König den ersten Auftritt der deutschen Meister Hase/Seegert bei der Eiskunstlauf-Europameisterschaft in Graz. Die drei Berliner waren am Mittwochabend glücklich über eine fehlerfreie und bei Preisrichtern wie Publikum gut angekommene Vorstellung ihres Kurzprogramms, das die Vorjahrssechsten der EM vor der entscheidenden Kür an diesem Freitagabend auf Rang fünf hievte – mit guten Aussichten auf Medaillenplatz drei, den das russische Paar Tarasowa/Morosow belegt.
Uneinholbar voraus muten nur die Gewinner der Kurzkür, das russische Meisterpaar Boikowa/Koslowski, an. Dass sich auch das zweite deutsche Paar, Hocke/Kunkel, nervenstark und selbstbewusst präsentierte und Platz sieben belegte, rundete den Beleg für die gute Arbeit, die unter Königs Regie im neuen Berliner Paarlaufzentrum geleistet wird, ab.
„Jedes Element hat gestimmt, in der Ausführung war es das Maximum“, pries selbst die zu ausuferndem Eigenlob nicht neigende Minerva-Fabienne Hase den Grazer Auftritt. Deutschland hat wieder ein Paar mit Perspektive, das sich dazu schon daheim in produktiver Konkurrenz zu Annika Hocke und Robert Kunkel, die erst seit dem Sommer gemeinsam ihr sportliches Glück versuchen, behaupten muss.
Mehr Paare ans Paarlaufzentrum
„Die vier kennen sich seit Jahren, können miteinander und ergänzen sich gut“, beschrieb König in Graz das Binnenklima am Paarlauf-Stützpunkt Hohenschönhausen. Dass das Quartett angesichts der Comebackpläne der alle überragenden Paarlauf-Königin Aljona Savchenko nicht in helle Begeisterung ausbricht, versteht sich schon deshalb, weil in Berlin die Karrieren von Hase/Seegert und mehr noch von Hocke/Kunkel eben erst Konturen annehmen, während in Oberstdorf, wo Savchenko lebt und trainiert, die laut Annika Hocke „Paarläuferin schlechthin“ über eine Fortsetzung ihrer nachdenkt. „Wir können es nicht ändern, wenn sie zurückkommt“, sagt Nolan Seegert, „aber wenn sie wieder da ist, ist sie herzlich willkommen.“
Auch König, 2018 Trainer und inspirierende Kraft hinter den Olympiasiegern Savchenko/Massot, dem Paar mit der Jahrhundertkür zur Musik aus dem Dokumentarfilm „La Terre vue du ciel“, hält sich bei diesem Thema bedeckt. Der Meistertrainer „weiß noch nicht“, ob er die beiden für den Fall des Falles aufs Neue mit seinem Knowhow und seinen Ideen begleiten würde. „Das sind Dinge, die mir erst dann durch den Kopf gingen, wenn es so weit wäre. Es wäre nicht so leicht, das hinzubekommen vor dem Hintergrund meiner jetzigen Tätigkeit.“
In der blüht der 53 Jahre alte ehemalige Paarläufer auf – an der Seite seiner Trainerkolleginnen und -kollegen Romy Oesterreich, die Hase/Seegert Schritt für Schritt nach oben bringt, Rico Rex, der Hocke/Kunkel binnen kurzem zu einem Paar mit verheißungsvoller Zukunft gemacht hat, Knut Schubert und dem gelegentlich aus Moskau einfliegenden Technikfachmann Dimitri Sawin. Fachkräfte, die den Betrieb mit zehn Paaren in Schwung halten und mit immer wieder neuen Ideen zu neuen Taten animieren. Ginge es nach König, würde das neue Paarlaufzentrum der Deutschen Eislauf-Union um weitere Paare und Trainer aufgestockt. „Wir haben viele Ideen“, sagt er, „aber das kostet auch Geld. Mir wäre ein cooler Sponsor ganz lieb.“
In der Gegenwart versucht das Berliner Paarlauf-Kollektiv, spürbare Kontrapunkte zur russischen Dominanz im europäischen Paarlauf zu setzen. Mit dem Mut zu Experimenten sollen eigene Akzente gesetzt werden. So werden derzeit mit Hilfe eines professionellen Tanzpaars Elemente aus der Sparte Contemporary Dance, also der zeitgenössischen Bühnentanzkunst, in die Überlegungen zu den künftigen Paarlaufküren eingeflochten. Mit konzeptioneller Kreativität, situativen Überraschungsmomenten und gelegentlichen Botschaften, wie der auf den Schutz der Erde abzielenden Olympiakür von Savchenko/Massot, will die Berliner Paarlauf-Factory zu einem Markenbegriff werden.
Ein langer Weg, der König und seinen Mitstreitern viel abfordert. Hase/Seegert und Hocke/Kunkel haben sich schon in den Grand-Prix-Wettbewerben der Senioren und Junioren mit dritten Plätzen für ihr Verständnis vom Paarlauf belohnen können. In Graz haben beide Paare auf Anhieb gezeigt, dass es in dieser Teildisziplin auch in der Zeit nach oder vor Savchenko/Massot frische Potentiale gibt. Hocke/Kunkel sollen sich als Nächstes läuferisch stetig verbessern; Minerva-Fabienne Hase und Nolan Seegert, beide für Paarlaufverhältnisse groß gewachsen, imponieren mit ihren akrobatischen Fertigkeiten, ihrer Sicherheit und Nervenstärke. Wo sie noch zulegen können, ist in puncto Tempo und Ausdruckskraft. Bei den Feinheiten also, die aus Programmen Erlebnisse machen. Alexander König sagt: „Geborene Goldmedaillengewinner haben wir nicht, aber mit Arbeit kann man auch weit kommen – vielleicht sogar weiter.“
Eiskunstlauf-Paar Hase/Seegert bei EM auf Platz fünf
Die Berliner Paarläufer Minerva Fabienne Hase und Nolan Seegert haben bei der Eiskunstlauf-EM in Graz in der Kür den fünften Platz verteidigt und eine Medaille klar verfehlt. Für ihre Darbietung am Freitag mit zwei Patzern erhielten sie 186,39 Punkte. Ihre Klubkollegen Annika Hocke/Robert Kunkel blieben mit 166,10 Punkten auf dem in der Kurzkür erreichten siebten Rang. Mit den Top-Zehn-Rängen sicherten die Duos für die EM 2021 in Zagreb drei Startplätze. Den ersten EM-Titel gewannen die Vorjahresdritten Aleksandra Boikowa/Dimitri Koslowskii (Russland) mit 234,58 Punkten. (dpa)