Interview : "Schöne Sprünge sind wie eine Sucht"
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Hannawald: „Millionstelsekunde entscheidet über kurz - oder Granate” Bild: LEHTIKUVA
Sven Hannawald im F.A.Z.-Sportgespräch über Angst, Diäten, Teamgeist und Popkultur. Ein Karriereende auf dem Höhepunkt der Laufbahn hält der Skispringer für „Quatsch“. „Solange es gutgeht, koste ich es aus.“
Auch Sven Hannawald ist kein junger Hüpfer mehr - seit einem Monat ist der gebürtige Sachse, den so viele für einen waschechten Schwarzwälder halten, 29 Jahre alt. Mit der Nationalmannschaft Olympiasieger und Weltmeister, gelangen ihm seine größten Einzelerfolge von Flugschanzen: 2000 und 2002 wurde er Skiflug-Weltmeister. Bei der Vierschanzentournee 2001/2002 gelang Hannawald Historisches: Als erster Springer gewann er alle vier Wettbewerbe - und damit natürlich die Gesamtwertung.
Die Saison hat mit dem Sturz des Österreichers Morgenstern in Kuusamo dramatisch begonnen. Leidet Ihre Arbeitsmoral unter so einem Vorfall?
Nein. Das sind zwar Dinge, die die Konzentration ein wenig ablenken, aber ich schaue dann, daß ich so schnell wie möglich wieder in Form komme. Die Konzentration richtet sich auf die nächsten Wettkämpfe.
Die Jury wurde in Kuusamo heftig dafür kritisiert, daß sie die Springer am Sonntag bei gleich schlechten Bedingungen noch mal starten ließ. Wissen die Funktionäre überhaupt, was wirklich oben los ist?
Sie haben einen schwierigen Job, den ich nicht haben möchte. Ich will mich nicht in die Reihe der Klugschwätzer stellen, ich halte mich raus.
Aber die Jury entscheidet darüber, wie hoch Ihr Gesundheitsrisiko ist. Gab es nie Entscheidungen, die Sie aufbrachten?
Oft ist es zweifelhaft, ob man starten kann oder nicht. Wir Springer hätten in Kuusamo gut auf den zweiten Wettbewerb verzichten können. Ich frage mich aber ganz allgemein: Warum überhaupt Kuusamo? Wir fahren jedes Jahr dahin und haben jedes Jahr dieselben Probleme mit dem Wind. Mir leuchtet nicht ein, warum man immer wieder diese Orte auswählt, von denen man weiß, daß dort schwierige Bedingungen herrschen. Zumindest sollte man mehr Tage einplanen.
Haben Sie Lieblingsschanzen?
Klar ist, daß ich mich nie mit einer 90-Meter-Schanze anfreunden werde. Je weiter es runtergeht, um so schöner.
Wann wissen Sie, daß Ihr Sprung gut ist?
Direkt beim Absprung, wenn das Gefühl, das einem die Schanze gibt, direkt erwidert wird.
Was meinen Sie mit "Gefühl, das die Schanze gibt"?
Jede Schanze hat eine gewisse Charakteristik. Kuusamo war relativ flach vom Anlauf her. Da wird man durch die Anfahrtsgeschwindigkeit nicht so sehr zusammengedrückt. Man merkt sofort, welchen speziellen Druck die jeweilige Schanze auf den Körper aufbaut. Und den Druck kann man erwidern mit seinem Körper. Es gibt verschiedene Arten von Schanzen: Oberstdorf, mit großem Druck, oder die alte Schanze in Innsbruck, die hat sehr großen Druck fabriziert. Die neueren Schanzen sind eher flacher, da muß man sich den Druck eher künstlich erzeugen. Man muß die Schanze fühlen und herausfinden, wie sie lebt - in Anführungszeichen.
Wie erleben Sie den Absprung?
Da kommt es auf jede Millionstelsekunde an.
Millionstelsekunde? Das ist doch nicht zu steuern?
Man meint es steuern zu können. Wenn man gut in Form ist, hat man auch das im Griff. Diese Millionstelsekunde entscheidet über kurz - oder Granate.
Wie nahe waren Sie dem perfekten Sprung?
Da gab es einen Sprung in meiner Supersaison. Es war der 2. Dezember 2001 in Neustadt. Da bin ich im Probe- oder Qualifikationsdurchgang mit 145 Metern Schanzenrekord gesprungen. Der Sprung war nahezu perfekt. Aber das kann man nicht planen. Ein Österreicher hat mal einen schlauen Spruch gemacht: Gute Sprünge macht man, perfekte Sprünge passieren. Da müssen die Bedingungen stimmen. Ähnlich gut ging es beim dritten und vierten Springen der Vierschanzentournee 2001/2002. Da bin ich hintereinander in Innsbruck und Bischofshofen Schanzenrekord gesprungen.
Das war wohl Ihre Traumphase?